Neulich, das heißt jüngst und irgendwie gestern brachten meine Schwester und ihr Freund ganz lustige Heftchen mit nach Hause, die sie bei einer Erotikmesse ergattert hatten. Und weil ich noch nie derart explizit pornographisches Material im Hause hatte und ich irgendwie zu faul war die Sonntagszeitung aus dem Plastikgriffel gleich unter meiner Wohnung zu stehlen, habe ich also einen zugegeben etwas neugierigen Blick in die einschlägigen Hefte gewagt. Als Morgenlektüre, das gleich vorab, bieten sich die Dinger nicht wirklich an, zum einen weil es darin nicht viel zu lesen gibt und zum anderen weil sich die Handlung auf jeder Seite irgendwie auf gleiche Art entlädt. Überall nur Menschen beim Koitus. Menschen beim Koitus auf Seite eins, Menschen beim Koitus auf Seite zwei und Menschen beim Koitus auf den restlichen sechsundsiebzig Seiten. Immerhin – ein fast achtzig Seiten starkes “Heftchen”, wenn auch handlungstechnisch ein bisschen monoton gehalten. Aber Sex ist ja bekanntlich immer toll und deshalb soll´s auch am besten so viel wie möglich davon sein. Das gehört in dieser Branche schließlich zum Arbeitsethos.
Jedenfalls habe ich in meinen Leben noch nie so viele Genitalien auf einen Haufen gesehen. Genitalien über Genitalien. Ganz schön beeindruckend diese Füllmenge im Heft, man setzt ganz eindeutig das Gewicht auf Quantität. Und als ich mir die Gesichter zu den Genitalien angesehen hatte, musste ich eindeutig feststellen, dass die Genitalien bedeutend schöner als ihre Besitzer waren und der Blick sozusagen nicht umsonst auf einen ganz bestimmen Fokus lenekt wird. Auf – man wird es sich bereits denken – die Genitalien nämlich. Die meisten waren irgendwie ineinander gefügt oder mit irgendwelchen prekären Dessous garniert (von denen es die wenigsten Fotos gab – offenbar hält man in dieser Szene nichts von Erotik und von Kleidung sowieso nicht) oder einzeln in Passfotogrösse. Wie ein Steckbriefchen, das den Typ von Genital erkennbar werden lässt (eventuell auch Alter und Geschlecht) mit einer aufgegebenen Annonce, gleich unter dem Bildchen, die selbstevetrständlich mit betont aufgeladener Hemmungslosigkeit zu unartigen Spielchen einlädt. “Unausgelastete Ehefrauen” freuen sich auf einen “solvente[n]” Liebhaber “über Nacht”, vorzugsweise im “reiferen” Semester oder wenn die Interessenten es etwas freier, also lediger wollen, dann gibst eine “schlanke, zierliche” Frau, die sich selbst ganz frivol als “schluckfreudig” attribuiert und Herren kennen lernen will, die ihr zeigen “wie schön Natursektspiele” sein können. Die Sprache ist beeindruckend zügellos und obgleich man eine seiner intimsten Stellen offenbart, bleibt so paradox es klingen mag, Anonymität gewahrt. Sie überspringt jegliche Floskeln oder Formalitäten und folgt einem ungenierten Jargon, der schon in ein paar Sätzen ein beachtliches Quantum an Erregung evozieren will und muss, weil oft – und das merkt man bald – die Genitalien allein eben nicht überzeugen können. Nach ein paar Seiten waren es bereits so viele, dass man drohte den Überblick zu verlieren und daher manche Geschlechtsteile gar nicht eindeutig zuzuordnen waren. In anderen Worten es gestaltete sich schwierig zu sagen, ob es sich nun um ein weibliches oder männliches Geschlechtsorgan handelte. Diese Tendenz zum Hermaphroditismus hat gegen Ende des Hefts auffallend zugenommen. Auch und vor allem beim Koitus. Das scheint ein beliebter Topos beim Sex zu sein. Frauen mit Penissen haben offenbar derzeit Hochkonjunktur in der Branche, Sex mit Transvestiten soll wie es die Fotos nahelegen besonders befriedigend sein. Dass sich damit eine Vermittlungsinstanz als bipolarer Körper zwischen den Geschlechtern auftut, ist aber eher nicht der Fall. Das üblichen Machtgefälle in Form von Herr- Knecht Spielchen zwischen und unter den Geschlechtern war so gut wie allen Fotos eingeschrieben. Dass Sex in Kombination mit marktaffinen Produkten fast notorisch nach einer Ökonomie der Ausbeutung funktioniert, ist in diesem Sinne wunderbar stimmig, fast schon unhintergehbar und an den meisten Bildern auch abzulesen. Sex und Freiheit, (und dass nicht etwa nur in der Freiheit der freien Marktwirtschaft;)) können offenbar nur in einem ambivalenten Spannungsverhältnis koexistieren. Dem hedonistische Programm des freien Ausleben aller wie auch immer geeichten sexuellen Vorlieben, Wünsche und Orientierung(en) entspricht auf der Kehrseite nämlich der freie stets verfügbare Sex, den man überall abrufen kann, (solange die monetäre Basis mitspielt und das Fleisch noch nicht allzu abgefickt ist. Erlaubt ist schließlich was gefällt. -Ob´s aber auch allen gefällt sei mal vorsichtig dahingestellt).
Aber kehren wir zu unserem Heftchen zurück und gehen diesen Herr Diener Spielchen etwas genauer nach. Besonders aufschlussreich ist dazu die Bildgeschichte “spritzige Sexparty auf der Alm” in der Mitte des einschlägigen Heftchens. (Wenn man an dieser Stelle aus der Logik des Marktes her argumentieren möchte, steht selbstverständlich das in der Mitte, was am besten ankommt und damit auch der Gefügigkeitstopos im Zentrum des einschlägigen Heftchens). Spritzige Sex Party auf der Alm ist das ultimative Highlight und erstreckt sich über ganze acht Seiten als “Foto“Love“Story” mit Susanne, der weiblichen Hauptakteurin. Susanne ist ein Name der zwar mehr zu dem Habitus einer langweiligen Deutschlehrerin mit dicker Brillenfassung passen würde als auf den einer Nymphomanin, aber damit wird auch schon ein Stück der Wirkung auf den Zuschauer antizipiert. Die Bilder nämlich, die räumlich den meisten Platz auf den acht Seiten beziehen, haben – auch wenn sie narrativ angelegt sind und wir den Tathergang sozusagen problemlos nachvollziehen können ohne den Text zu Rate zu ziehen – eine stumme wie banale Evidenz. Es wird immerzu Geschlechtsverkehr vollzogen, aber in einer steten Invarianz, selbst dann, wenn Susanne und ihre Liebhaber eifrig verschiedene Stellungen ausprobieren. Auch die Nahaufnahmen bei denen man sozusagen genau zu sehen bekommt wie´s zur Sache geht, halten nicht wirklich was sie versprechen und lassen obendrein auf manchen Bildern auch noch klar ein Kondom identifizieren! Es herrscht so dreckig die Sexspielchen sein wollen, eine Sterilität in dem ganzen, die ein bisschen langatmig wirkt. Kurz gesagt: Es tut sich nicht gerade viel und damit geht die Performance von Susanne auf der Alm durch die unbewegten Bilder, auf denen es angeblich heiß hergehen soll, übel verlustig.
Den Kitt zwischen Bild und Bewegung oder sagen wir besser Erregung, schafft im Grunde genommen erst der Text. Der Text hat eine kinetische Funktion in dem Arrangement und steuert das Geschehen. Er steuert es nicht nur, er entwirft es und verpasst dem Dargestellten eine spezifische Aufladung, die einem die Langeweile vertreiben soll. Im Text wird Susanne als williges Mädchen inszeniert die wie es heißt kaum darauf wartet “gefüllt zu werden” und sich naturgemäß in freier Wildbahn von jeder Menge Schwänzen durch ficken lässt. Susanne ist derart notgeil, das sie im Text selbstverständlich immer nach mehr verlangt und so das klassische Bild, der nimmersatten Frau bedient, die ihre vielseitige Sexualität fröhlich auslebt, was von den Sexfotos, die drum herum angelegt sind, zwar visuell unterstützt, aber nicht notwendiger Weise expliziert wird. Ohne die Vorgaben des Textes, würde die Geschichte schlicht und ergreifend floppen. Dort wo es heißt: “Der Vorsatz [nicht zu früh zu kommen] war zwar da, doch einige Herren schafften es nicht mit der Selbstkontrolle. Als Susanne so hingebungsvoll an ihrem Schwanz (an ihrem eigenen? oder ihren, der Herren Schwänze?) lutschte, sah man bei ihnen ein heftiges Zucken, einige harte Stöße der Gang Bang Lady genügten und schon hörte man dann den Lustschrei, mit dem sie ihr das Sperma tief in den Mund spritzen”, fehlt das entsprechende Bild dazu. Man sucht vergeblich nach der Abbildung, nirgends auch nur ein Tröpfchen vom versprochenen Sperma und schon gar nicht ein befriedigtes Gesicht. Nur das dümmliche Grinsen von Susanne und ihren Partnern, die den Eindruck erwecken als würden sie unter dem Einfluss von Psychofarmaka stehen. Auch dass Susanne “es kaum erwarten kann, gleich darauf der Reihe nach durchgevögelt zu werden” lässt sich schwer überprüfen. Zumal die Herren sich doch eben erst entladen haben. Man ist, wenn man die Bilder länger und öfter betrachtet so gar versucht, die Vermutung anzustellen, dass Susanne emotionslos ihrem Job nachgeht, wie einer monotonen Fließbandarbeit – weil ihr Gesicht erschreckenderweise auf jedem Foto dasselbe ist. Unpassend oder einfach nur schwer nachzuvollziehen scheint ebenso das Argument sie sei nach dem Gruppenfick mit mehreren Männern erst so richtig in Fahrt gekommen, weil wie gehabt Gesichtsausdruck und Handlung wie gestanzt auf jedem Foto dieselben sind.
Mit Hilfe der Beschreibung nimmt der Betrachter eben die Bildgeschichte anders wahr und bekommt einen Teil zu “sehen”, den man nur schwer auf einem Foto nachprüfen kann. Der Text eröffnet eine ganz neue Perspektive auf die Körperöffnungen, die sich unter dem Aspekt der Literatur am besten beschreiben lassen. Um den Begriff der Literatur für diese Zwecke aber etwas abzugrenzen und damit geschickt den aporetischen Fragen der Definition auszustellen, soll vor allem dessen basales Element herausgeschält werden mit dem das Heft notorisch operiert: Der Fiktion. Dem Betrachter wird eine immaginative und damit fiktionale Aufladung aufgedrückt die aber und das ist dann schon sehr problematisch nicht notwendigerweise die seine ist oder mit den abgedruckten Bildern korrespondiert. Wenn ich also Sex konsumieren will, dann darf ich das offenbar nur unter den Auflagen eines Autors, der mir sagt was ich zu sehen habe. Wenn ich fantasiere, dann macht das ein Fremder, der mir meine Gedanken und sexuellen Präferenzen vorlebt. Eine traurige Bilanz, wenn man bedenkt was dabei rauskommt, nämlich immer dasselbe: Nimmersatte, gefügige Frauen auf der einen Seite und unkontrollierte Männer andererseits. Das sind die Denkfiguren die als Endlosschleife abgespult werden und die vom Käufer einverleibt werden. Man lässt sich schließlich gerne das Denken abnehmen, warum sollte das beim Sex also anders sein.