Den vielen Platz vor seinem Haus, der sich zu einem Gutteil dem Sichtbaren entzog, hatte mein Onkel an einer Stelle für einen kleinen Schlachtbereich weise gekürzt und an einen Schlachter vermietet. Damit seinen geliebten Tieren ein besonders qualvoller Transport erspart bliebt, und um sie in der heimisch-vertrauten Atmosphäre besonders human ableben zu lassen. Aber so wie es die Humanität sinngemäß einfordert, wird sie im Kern von allerhand Hintergedanken zusammengehalten, die sie nach außen hin mit dem Feigenblatt christlicher Moral bedeckt hält. Ihr monströs aufgeheucheltes Übergewicht. Denn das Fleisch sollte vorzugsweise nicht mehr als ein paar Stunden tot sein, bevor es eingenommen wird und also (warm) auf dem Teller landet. Schon die kleinste farbliche Veränderung, ein leichtes Erhärten der Oberfläche wären Anzeichen von Verfall und damit ungenießbar. Ich wusste nur zu genau wie es auszusehen hatte, welchen Geruch es haben sollte und welcher der ideale Farbton war. Beim Schlachten war ich früher manchmal behilflich gewesen, um mir etwas dazu zu verdienen, ein Taschengeld. Dazu musste ich mir stets eines der Kuhbeine krallen und es mit meinem ganzen Körpergewicht beschweren, es hinunterziehen. Solange bis der Schlachter mit dem Messer eindrang und den Hals weit geöffnet hatte. Ich spürte dabei wie die Beine der Tiere zitterten, heftige kurzwellige Erschütterungen, die gegen meine Brust schlugen – ein ungutes Gefühl, den Tod so nah an sich heranzulassen, aber loslassen, das ging dann auch nicht mehr. In den Momenten als ihnen das Bewusstsein verloren ging und sie uns schon langsam weg delirierten, warfen wir die Tiere vorne über in ein Becken mit Blechverkleidung, um sie in Ruhe ausbluten zu lassen. Ein übles Geschäft, das Töten, aber man wird später doch einigermaßen entlohnt. Wenn es erst einmal gehäutet als Steak auf Deinem Teller liegt, verzeiht man sich die kurze Grausamkeit wie der Schlachtermensch wohlwollend meinte. Ich hatte mich anfangs oft bei diesen Schlachtprozessen übergeben müssen, nicht beim ersten Mal, da fehlte mir noch genügend Geistesgegenwart, aber in Folge dann immer häufiger. Ich übergab mich nie während der Arbeit, erst nachdem ich hinaus an die frische Luft trat und ein paar Schritte versuchte, da überraschte mich das Gepäck meiner Magensäure, die gelblichen Fetzen der letzen Mahlzeit. Der Geruch von Blut und sterbendem Fleisch, verwesten Hautresten und ausgeweideten Tiermägen hing im Schlachthaus wie eine Luftblase über unseren Köpfen, die unpassende Gedanken absperrte und wir betraten sie wie einen entäußerten Raum bei dem ich im Nachhinein immer das Gefühl hatte, etwas vergessen zu haben.
Um mir diesen meinen Brechreiz auszutreiben, hatte mir der Schlachter einmal unaufgefordert tieferen Einblick in sein Handwerk gegeben. Mit den besten Absichten, versteht sich, wenn auch der Anblick in den Einblick mehr war, als ich mir zu sehen gewünscht hatte. Er passte mich eines Abends im Hof meines Onkel ab, schnapstrinkend und gesellig, bot mir von seiner Flasche an und lud mich ein, ihm zu folgen. Er wollte mir etwas zeigen, es würde auch nicht allzu lange dauern, aber das hinge auch ganz von mir ab. Worte, denen ich zu dem Zeitpunkt keine großartige Bedeutung beimaß, Gerede von Betrunkenen, phrasenbrüchig und gehaltlos. Der aufgerötete Himmel teilte am Horizont die Welt in scharfen Kontrast zu dem sich verdunkelnden Grün der Wiese, abgesteppt durch die von Kuhbeinen aufgetretene Erde. Ein seltsam farbiger Abend. Wir waren tiefer ins Feld hinein gegangen. Vieh graste darauf eine letzte Ration Futter in den Dreiraum seines Magens und der Schlachter gab Befehl, mir eines aussuchen, eine Kuh unter den Kühen, ganz nach freier Wahl. Ich verstand nicht, worauf dieser Mensch hinaus wollte, lachte etwas zurückgeblieben daher und protestierte zunächst: „Was soll ich mit einer Kuh?“ Ein Missverstehen, das der Schlachter mir als Arroganz auslegte und mich deshalb mit seinem übel riechenden Gesöff bedrohte. Er schlug es mir ein paar mal ins Gesicht, nicht sehr fest, aber gerade so, dass es Wirkung zeigte und ich mich seinem Willen beugte. Ich sah die Tiere vor mir stehen in ihrer stumpfen grasenden Gemütlichkeit Methan produzierend. Risse auf der fleckig ins gräulich gehenden Haut, eine abgetragene Schicht Pergament, auf der die Bekanntschaft mit dem Stacheldraht ihre Begegnungen nachhaltig dokumentiert hatte. Ich entschied mich für eine Kuh mit Blässe auf der Stirn, „eine richtig gute Partie“ wie der Schlachter meinte, während er meinen Gehorsam an der Wange tätschelte und mir zur Belohnung einen kräftigen Schluck von dem vergärten Getreide aufzwang. „Und jetzt sei so gut und hol deine Braut zu uns rüber, wir wolln´ uns ein bisschen mit ihr amüsieren.“ Eine leichte, aber gut gemeinte Gewalt des Schlachters gegen meinen Hintern delegierte unsere erzwungene Zweisamkeit, mich und Kuh, ins Schlachthaus. Honigmond war angesagt. Er drückte mir eine nach oben hin gewölbten Klinge feierlich in die Hand mit der Aufforderung das Tier damit zu töten. Ich zitterte wie sonst die zur Schlachtbank gezerrten Kälber, deren Beine ich zu fixieren gewohnt war und sah der Kuh in die Augen. Die leckte etwas gelangweilt meine Hand ab und prüfte sie nach etwas essbarem. Ein schwer zu zuordnendes Geräusch erweckte ihre Aufmerksamkeit und drehte ihr massiges Schädelteil günstig zur Seite. Ein Moment, den ich zu nutzen wusste, um mit dem Messer aktiv zu werden. Doch die Methode, schien dem Schlachter so gar nicht gefallen wollte, weshalb er meine Hinterhältigkeit verdient mit einem heftigen Tritt zu Boden strafte und mich einen Feigling nannte. Dann drehte er den blutenden Kopf des Tiers in seine Richtung, lispelte der Kuh ein paar Anzüglichkeiten ins sterbende Gesicht und korrigierte meinen schüchternen Schnitt einmal um die eigene Achse. Der vom Kopf zu einem Gutteil abgetrennte Körper traf mit einer heftigen Erschütterung auf den in Stein gehaltenen Boden des Zimmers. „Und nun, [meinte der Schlachter] wird uns dein Schätzchen zeigen, was es so alles zu bieten hat!“ Mit Augenmaß, aber durchaus geschult, wurde ein Schnitt über den Kuhkörper appliziert, eine laterale Zeichnung der Silhouette, die dann mit bloßen Schlachterhänden gehäutet wurde, unbeschwert als würden sie einen Fisch transchieren. Ein bisschen Anatomieunterricht hat so ziemlich jeden sensiblen Studentenmagen abgehärtet. Und so erhoffte sich der gute Freund meines Onkels ähnliche Erfolge auch bei mir. Er konturierte diverse Teile im Fleisch, begrenzte alle essbaren Stellen und gab Erklärungen ab. Oben das Halskammgrat, darunter das Schulterspitz, das sich als Braten besonders gut eignen würde, gegenüber Hochrippe, Roastbeef und Filet, dann Hüfte und drunter die Beinscheiben, die er zärtlichst karessierte und anschließend mit seinen feuchten Händen zum Brustteil hinüber strich, wo die letzten Teile aufgereiht wurden. Im ganzen ein ziemlich komplizierter Körper, ganz zu schweigen von dem, was er unter der Muskelschicht alles verbirgt, das mir aber vom Schlachter diesmal großzügig erspart blieb. Dafür musste ich eine Kostprobe tun. Ad hoc ein Stück versuchen, wie ich es sonst auch auf dem Teller machen würde, so das eindringliche Argument meines selbsternannten Lehrmeisters. „Na los, jetzt such dir schon was aus.“ Eine solche Auswahl, geradezu unbelassen und jungfräulich, würde sich mir wohl kaum ein zweites mal bieten. „Also schnapp Dir endlich ein Stück und dann runter damit!“ Meine Wahl traf auf einen Teil der Hüfte, ein geradezu vielversprechender Ort, der allerhand wichtige Organe unter Verschluss hält, durchkreuzt von weißen Fettschichten, lieblich marmoriert. Davon tat ich meine Kosteprobe, schnitt eine gewürfelte Scheibe aus dem Tier und legte sie mir auf die Zunge. Der metallische Geschmack wurde bald von der Eigenheit des Fleisches abgedrängt. Nie zuvor hatte ich derart Zartes in meinem Mund genommen, nie einen größeren Genuss erlebt, als diesen Bissen, der direkt aus der Kuh kam und noch warm war. Als ich Anstalten machte mich der Rohheit wegen zu übergeben, nahm der Schlachter in weiser Voraussicht meinen Kopf und presste ihn in die kleine Lücke, die ich dem Tier verursacht hatte. Ich würde mein Essen doch nicht Ankotzen wollen, die guten Hüften meiner Liebsten…