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Foto vom Tahrir-Platz

von am 02.02.2011 09:56, Rubrik philosophisches-politisches

Die Welt bewegt sich und mit ihr die Menschen. Tunesien und Ägypten entmachten ihre Unterdrücker unter der Zuhilfenahme einer Kernkompetenz demokratischen Selbstbewusstseins: Protest. Der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen fällt zu diesem emanzipativen Akt nur mäßig aufmunterndes ein.


In seiner “Hymne des Widerstandes” (Standard 1.Feb. 2011) polemisiert Tarafa Baghajati in gewohnt pathetischer Art (aber zurecht) gegen westliche Doppelstandards und kommt dann auf eine verblüffende Feststellung, weshalb niemand Angst vor einer islamistischen Machtübernahme in Ägypten haben muss.
Die westliche Darstellung von Islam und Demokratie als Gegensätze sei grundlegend falsch weil: “Die demonstrierenden, großteils muslimischen Massen strafen nun diese Behauptung Lügen.”
Geht man naiv an die Sache heran und schlägt Meyers Universalatlas mit Länderlexikon auf, so kann man leicht herausfinden, dass 90% der Menschen in Ägypten sunnitische Muslime sind, der Islam ist dort Staatsreligion. Die “großteils muslimischen Massen” die für Demokratie demonstrieren wären also im Libanon ein ermutigendes Signal, in Ägypten sind sie eine Selbstverständlichkeit weil dort die Nichtmuslime in der klaren Minderheit sind.

Auf dem Foto vom Tahrir-Platz in Kairo, wo die Demonstranten zu hunderttausenden den Rücktritt Hosni Mubaraks fordern sieht man die große Mehrheit der Demonstranten beten, im Vordergrund prangt ein Minarett.
Das Foto will etwas suggerieren, das mediale Bild der muslimischen Welt ist kein objektives. Wir werden von Medienunternehmen mit Informationen versorgt die Geld damit verdienen uns Klischees zu verkaufen. Um nicht auf den Orientalismus hereinzufallen wäre es am besten die Ereignisse abzuwarten bis man ein Urteil fällt. Warum Baghajati sich diese Zeit nicht nehmen will ist eine Frage, die im Abschlussteil seiner “Hymne des Widerstandes” klar wird: “die israelische Führung wird einen rauen Wind zu spüren bekommen”, egal wer sich gegen den Diktator Mubarak durchsetzt. Der strebsame Funktionär muslimischer Interessen weiß um die Kernkompetenz und die Anliegen seiner Klientel. Zumindest bedient er ihr Klischee. Und was Baghajati von demokratischen Individualrechten hält hat er im Rahmen seiner Forderung die Ganzkörperverschleierung von Frauen auch vor Gericht zuzulassen schon gezeigt.
Ein Absatz aber ist in Bezug auf sein Demokratieverständnis besonders erhellend, zumal er ja lautstark Doppelstandards kritisiert:
“Der syrische Staatschef Bashar Al Assad könnte hier ein Beispiel geben, wenn er freie Wahlen durchführt. Er könnte sie sogar demokratisch gewinnen, zumal er bei breiten Schichten der Bevölkerung durchaus beliebt ist und seine Hände nicht mit Blut befleckt sind.”
Warum scheint Baghajati dieser autokratisch regierende Diktatorensohn so vertretbar? Weil an seinen Händen (wirklich?) weniger (kein?) Blut als an den Händen jedes anderen Diktators klebt? Oder weil dieser das Klientelthema wirkungsvoll besetzt hält und allein deshalb schon einen Anspruch auf politische Vertretung imaginierter (und von Baghajati kollektivistisch instrumentalisierter) muslimischer Interessen hat?
Denn in einer Rede am 15. August 2006 sprach Baschar al-Assad von einem „siegreichen Widerstand“ der Hisbollah im Libanon und bezeichnete Israel als einen „Feind“, mit dem es keinen Frieden gebe. Die Qualifikation zur legitimen Volksvertretung erwächst also wie es scheint eher aus der feindlichen Haltung gegenüber Israel als aus anderen eventuell demokratischeren Gründen. Somit kann es Baghajati auch egal sein ob die neuen Machthaber in Ägypten demokratisch legitimierte Muslimbrüder, säkulare Parteien, oder eine Konsensregierung stellen, wichtig ist die aussenpolitische Doktrin.


Kommentare

Zitat: “Somit kann es Baghajati auch egal sein ob die neuen Machthaber in Ägypten demokratisch legitimierte Muslimbrüder, säkulare Parteien, oder eine Konsensregierung stellen, wichtig ist die aussenpolitische Doktrin.”

Und was unterscheidet ihn dahingehend von uns (?) anderen im Westen?

fh · 02.02.2011 14:08 · #

Wer ist bei dir der “Westen”? Genau das kritisiere ich ja. Dieses Pauschalisieren und Instrumentalisieren ist das Problem. Und ich sage ja, dass er einen richtigen Punkt anspricht mit der Passivität europäischer Staaten gegenüber diesen Diktaturen. Aber er ist offenbar nicht selbstkritisch genug diese Argumentation bei sich selbst zu erkennen. Das ist mein Kritikpunkt.

St.Max · 02.02.2011 14:43 · #

Was wäre denn mit einem Muslimbruderstaat, gedeckt von den US-Amerikanern? Für den Friedensprozess in Palästina ein sehr interessantes Szenario: Womöglich würde sich Abbas’ Autonomiebehörde auflösen, die Hamas stärker denn je und die Israelis müssten endlich handeln!

Obama und die Moslembrüder:
http://www.aina.org/news/20110203104344.htm

fh · 03.02.2011 18:32 · #

Das kann ich nicht beurteilen und die Intention des Aufsatzes ist auch nicht politische Zukunftsforschung zu betreiben. Es geht um die Argumentationsstruktur eines Österreichers zu dem Thema.

St.Max · 03.02.2011 19:27 · #

@ fh: Nichts für ungut, aber ich halte das “Frontpage Magazin”, dessen Autor bzw. Artikel Du empfohlen hast nicht wirklich für eine seriöse Quelle, wenn gar für eine ziemlich radikale und fragwürdige. Es ist hinlänglich bekannt, dass konservative US Politiker und Journalisten Barack Obama als einen moslemaffinen Präsidenten darzustellen versuchen, zwecks negativer Propaganda. Es gab sogar jetzt nicht explizit von den Frontpage Leuten aber doch von ultrakonservativen Treibkräften immer wieder Hinweise, dass ja Obama eigentlich einer von denen und damit zu bekämpfen ist.

Ich denke es klingt sehr nach Verschwörungstheorie und politischer Blindheit, wenn man diplomatische Annäherungsversuche an den Iran, die Obama ja während seiner Amtszeit leider mit vergeblichem Erfolg, getätigt hat, als islamistische Tuchfühlung beschreibt. Es müssen ja nicht immer gleich Köpfe oder Bomben fliegen…

Damit möchte ich selbtsverständlich kein Pladoyer für die Politik Obamas einführen, die hat zweifelsohne ihre porösen Stellen, ich finde es nur wichtig sich nicht von so reißerischen Medien allzu sehr vereinnahmen zu lassen …

Ana · 03.02.2011 19:50 · #

Deine Skepsis verdient Lob, die Informationen des Artikels lassen sich aber weitesgehend nachprüfen.

Hier findest du eine Auflistung jener Organisationen in den USA, denen enge Kontakte zur Moslembruderschaft zugeschrieben werden (etwas runterscrollen): http://globalmbreport.org/?p=5

Arif Alikhans Verbindung zum “The Muslim Public Affairs Council (MPAC)” (siehe Auflistung) wird im folgenden Verweis ersichtlich:
http://www.mpac.org/events/be-the-change-support-our-young-leaders-programs.php

Und Ingrid Mattson ist Präsidentin der “Islamic Society of North America”.

Reißerisch hin oder her (die Republikaner werden Obama diese Kontakte sicher zur Last legen) – die Verbindungen bestehen nun einmal und vieles deutet daraufhin, dass sich Obama mit einem Ägypten, in welchem die Moslembrüder eine wesenltiche Rolle spielen, anfreunden kann (http://www.npr.org/2011/02/03/133455504/post-mubarak-muslim-brotherhood-could-play-role).

Ich würde zwar nicht so weit gehen und das allein auf die Moslembrüderlobby zurückführen, doch sie hatte gewiss auch Einfluss auf Obamas gegenwärtige Haltung.

fh · 03.02.2011 21:54 · #

Gut, darüber kann ich leider im Detail nichts sagen, mir sind auch nicht alle Filationen amerikanischer Politiker bekannt.(Ob Obamas Haltung etwas mit seinen Kontakten zu tun hat, weiß ich auch nicht so genau. Ich weiß nur das günstige Kontakte in der arabischen Welt, die Familie seines Vorgängers nicht daran gehindert hat, in den Nahen Osten einzumarschieren).
Aber – die USA können sich sicher mit solchen dubiösen Dachorganisationen anfreunden, da stimme ich zu, ob das jetzt christlich fundamentale oder muslimische sind. Und Demokratie scheint (polemisch gesprochen) wohl nur für einige gewisse Staaten reserviert… Ich fand den Artikel vom frontpage magazine nur wie gesagt sehr reißerisch und irgendwie schlecht recherchiert.

Mal schauen wie es wirklich für Ägypten ausgeht. Ich bin gespannt.

Ana · 04.02.2011 12:37 · #

Ich glaube, was aus Tarafa Baghajatis Äußerungen wie aus den Diskussionen um die Moslembruderschaft klar wird, ist, dass sich die Politik des Nahen und Mittleren Ostens scheinbar weder von innen noch von außen abseits der religiösen Schemata betrachtet werden kann.
Die Moslembruderschaft ist sicherlich zwielichtig, aber ist auch nicht einheitlich. Da gibt’s verschiedene Flügel usw. Dass die nun politisch eingebunden werden, ist die einzige Möglichkeit, die Organisation zumindest lokal zu demokratisieren.

Dass die arabische Seite die ägyptischen Umwälzungen vor allem in Bezug auf die Außenpolitik betreffend Israel betrachtet, kann man allerdings kaum irgendwem zum Vorwurf machen. Immerhin wird ja quasi jegliche Art politischer Veränderungen in der Region in Bezug auf Israel bzw. Palästina gesehen. Das ist nun mal die (bedauernswert) beschränkte Perspektive auf die Region.

Ägyptens Zukunft ist spannend.

Stephan mit ph · 07.02.2011 21:51 · #

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