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Kulturindustrie - eine Polemik

von am 14.06.2010 22:48, Rubrik philosophisches-politisches

Vor nun schon etwas längerer Zeit sah ich ein Plakat zu einer Veranstaltung mit dem Titel “Kulturindustrie – Oder: Warum Nazis ‘Herr der Ringe’ und ‘Matrix’ toll finden”. Da wusste sofort, was mich an diesem unsäglichen Begriff stört.


Gleich vorneweg: Ich habe die Texte zum Thema “Kulturindustrie” von (höchstwahrscheinlich) Adorno nicht gelesen. Und ganz ehrlich, wenn ich so guck, wie in den diversen linken Grüppchen mit dem Begriff geschleudert wird, vergeht mir auch die Lust dazu. Ich gebe deshalb jetzt mal wieder, wie der Begriff meiner Erfahrung nach so gebraucht wird… und was ich daran banal bis bescheuert finde.

“Kulturindustrie” wird in der Regel synonym gebraucht mit dem, was man mit den USA verbindet, genauer gesagt als dessen Zuspitzung und liebstes Beispiel Hollywood. Es ist industriell gefertigte Kultur, Massenware; dazu da, um blinden, verdummenden Konsum zu befriedigen und hervorzubringen. Kurz: Propaganda, um den Geist der Menschen mit kapitalistisch-faschistoider Konsumideologie-Propaganda zu vergiften. Das Ganze ähnelt stark den Thesen der Situationisten (Spektakel-Dingsbums… genauer Titel entfallen und da dies eine Polemik ist, sowieso unwichtig!). Immer umschwebt die Erzeugnisse der Kulturindustrie eine Aura der Künstlichkeit und damit einhergehend fehlt ihr jegliche Authentizität. Das ist dann auch das Kriterium bzw. die Kategorie, anhand der unterschieden wird: Authentizität.
Der unauthentischen industriellen, hirnlosen Kultur aus der Fabrik steht die authentische wirklich Kultur gegenüber. Wie soll die aber ausschau’n? Nun, an dieser Stelle driftet der ganze Kulturkritik-Diskurs meist entweder in etwas seltsam anmutende ethnizistisch-esoterische bis kleinbürgerlich-völkische Vorstellungen (also in Bezug auf Inhalt) oder in Kategorien der Herstellungsart – sprich: Handwerk und Fließbandarbeit – ab. Erstere produzieren genau das, was der Kulturindustrie vorgeworfen wird, nämlich seltsame Propagierung einer in irgend einer Art authentischen Lebensweise als Ideal. Letzteren mangelt der kausale Zusammenhang zwischen Herstellungsart und Inhalt, denn wieso soll handwerkliche Kunst automatisch authentisch sein.
Was mich stört, ist zum einen das Hantieren mit extrem schwammigen Begriffen wie “Kultur” (ich glaube, St. Marx könnte ein ganzes Hauptwerk nur zu diesem Jargonbegriff verfassen) und “Authentizität”, die mir in meinen Erfahrungen mit Kulturindustrie-Ausführungen nie wirklich befriedigend definiert werden konnten, weil die Vorstellung von “Kultur” entweder zu weit oder zu eng ist.
Zum anderen stört mich, dass sich hinter Kritik an der Kulturindustrie sehr oft platter Antiamerikanismus versteckt. Kulturindustrie wird synonym mit USA und ganz besonders gerne eben Hollywood verwendet. Durch die Polarität der Unterscheidung wird zudem natürlich jeglicher Art von Gegenkultur zur bösen Konsumkultur sofort Authentizität eingeräumt.
Zuletzt stört mich bei der ganzen Sache auch dieser Hauch von “Die da oben wollen uns manipulieren!”, der das ganze umweht (auch das Spektakel-Dingsbums) und mit einem Bein in der Verschwörungstheorie steht.

Besonders aber die angebliche authentische Kultur ist mir ein Dorn im Auge. Nach welchen Kriterien authentisch? Wer bestimmt das? Beraubt das die Kultur nicht ihrer Geschichtlichkeit (immerhin ein zentraler Bestandteil der Marx’schen Theorie)? Wenn wir von einer Geschichtlichkeit in der Kultur ausgehen, dann ist doch gerade das, was unter Kulturindustrie verstanden wird insofern total authentisch.

Anfechtungen und Zwischenrufe erwünscht!

P.S.: Was mich auch nicht unerheblich störte an dem anfangs ziterten Veranstaltungstitel ist die Quantifizierung von Nazismus. Dass natürlich ein moralischer Wertmaßstab wie jeder Maßstab einen Orientierungspunkt braucht ist mir klar, ebenso, dass Nationalsozialismus und deren Manifestation in der jüngeren Geschichte als Orientierungspunkt in Sachen moralischer Verwerflichkeit naheliegt. Aber muss man deshalb wirklich die moralische Fragwürdigkeit bzw. Verwerflichkeit von Ideen, Parteien, Strukturen, whatnot anhand der darin enthaltenen Menge von Nazihaftigkeit gemessen festgemacht werden?! Diese Quantifizierung kommt in meinen Augen auch schon wieder einer Verunglimpfung bzw. Verharmlosung der Nazi-Gräuel gleich. Aber das ist wohl Stoff für eine andere Polemik.


Kommentare

Hier liegt insofern ein Missverständnis vor als das der Autor meint Polemik sei die Vulgärform von Oberflächlichkeit: “Rings nichts als Stupor, Gebanntsein von dem betörenden Zauber der Idee, keine zu haben.”

KKraus · 15.06.2010 10:06 · #

Fehdehandschuh aufgenommen. Man dankt. Antwort folgt demnächst.

St.Max · 15.06.2010 10:08 · #

@st.max:
wer ist st.marx?
ein verwandter von ihnen?

muad'dib (former known as mhrks) · 15.06.2010 10:14 · #

st.marx ist im derridaschen mythos von der urgeschichte der philosophie der verabsolutierte marx und hat mit dem heiligen max (schutzpatron derer die im forum immer recht behalten) nichts zu tun.

St.Max · 15.06.2010 10:40 · #

ich lehne mich zurück und genieße die polemik. auf dass es ein spannender austausch wird!

naturgemäß werd’ ich mich dann auch einklinken ;)

r. · 15.06.2010 11:03 · #

vielen dank st.max.
ich nahm an, dass st.marx der schutzpatron der ogibogi’s (umgangssprachlich) sei.
man lernt nie aus..

muad'dib (former known as mhrks) · 15.06.2010 11:13 · #

Ja, die USA kommen bei diesem Terminus eher schlecht weg. Einer muss ja auch im kulturellen Sinne der Antichrist sein – welche Städte bieten sich sonst noch besser für den Sündenpfuhl der Moderne an außer New York oder Los Angeles? Babylon steht ja bekanntlich nicht mehr;)

Ana · 15.06.2010 12:02 · #

Die USA kommen hier nur in die Rechnung, wenn man, wie der geschätzte Polemiker hier, die Texte die man kritisert nur nach den Titeln beurteilt.

St.Max · 15.06.2010 16:58 · #

hat schon wer die “aura” eines authentischen kunstwerks angesprochen?

ich finde, die idee einer “bösen” kulturindustrie ist tatsächlich eine nachwehe der deutschen/kontinantalen idee, dass genialität eine voraussetzung für “gute” kunst ist und der kunstwert invers linear zum finanziellen erfolg gemessen werden kann (hehre kunst ist nicht massentauglich — massentaugliches und beliebtes kann nicht kunst sein, außer wenn das werk dann kanonisiert ist). dem entgegengesetzt gibt es die puritanisch/angelsächsische auffassung, genialität könne man in nachvollziehbare und reproduzierbare einzelschritte zerlegen und es gibt für alles ein rezept oder eine bauanleitung — ob die anleitung jetzt von Syd Fields oder von Aristoteles oder von Martin Opitz stammt ist wurscht, ein tüchtiger autor schafft es mit harter arbeit auf die bestsellerliste. da verhält es sich eben umgekehrt, die anerkennung erfolgt über den fianziellen erfolg, das paradies auf erden, und der beweis der neigung der kunstgötter ganz im sinne der puritan work ethic ist für einen angelsächsischen autor eben ein erfolgreiches buch zu verfassen, und sein wertesystem dann eben die rahmenbedingungen der kulturindustrie.

r. · 15.06.2010 17:12 · #

„Es ist an der Zeit, die Kultur in Verruf zu bringen, damit es sich nicht mehr lohnt, sie im Dienste der Politik oder der Industrie zu erniedrigen.“ (Nicolás Gómez Dávila)

PV · 16.06.2010 00:39 · #

@St.Marx: Ich kritisiere ja ausdrücklich nicht die Texte, die ich ja wie zugegeben nicht gelesen habe. Ich kritisiere, wie in manchen Kreisen mit dem Begriff hantiert wird.

Stephan mit ph · 16.06.2010 01:51 · #

Ja. Ich polemisiere ja auch nur. :) Übrigens: nicht Marx – verdammt nochma – sondern MAX! ;)
Mich würde nur interessieren welche “Kreise” das genau sind. Klingt ja übelst nach Verschwörungstheorie. Weil die “Kreise” von denen das von dir erwähnte Plakat stammt kenne ich teilweise und die würden keine von deinen Unterstellungen als ihre Position beschreiben. Deshalb wärs ja wichtig nicht nur an der bunt schillernden Oberfläche unseres Kulturbetriebs zu schnuppern sondern schon auch zu schauen, was wirklich drinnen ist. Aber eine Polemik erfordert das ja nicht. Ich denke wir sollten eine Diskussionsgrundlage erstellen. So weit ich gehört habe ist eine in Arbeit und kommt Ende der Woche als Replik auf die wunderschöne Polemik. :)

St.Max · 16.06.2010 12:36 · #

Verzeihung! Freud’scher Fauxpas.
Ich wurde Zeuge einiger Diskussionen, die sich auf jenes Plakat bezogen.

Stephan mit ph · 18.06.2010 12:58 · #

Wiedermal kann man sich nur fragen, ob bei der Beobachtung einer Diskussion es nicht auch sinnvoll wäre zumindest die Grundaussagen der Texte, mittels derer die Diskussion geführt wird, zu kennen, um allzu starkes Ressentiment zu vermeiden. Vielleicht irre ich mich ja auch.

St.Max · 18.06.2010 13:39 · #

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