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rechtsaußen ist die neue mitte

von am 15.09.2010 10:42, Rubrik

während die grünen gemeinderatskandidaten zum sommerausklang (und implizitem wahlkampfauftakt) im museumsquartier mit politikwissenschafterinnen und journalistinnen darüber diskutieren ob die rechtsextremen in der mitte der gesellschaft angekommen sind, macht eine standard – umfrage das diskussionsthema zu einer rethorischen frage.


die mitte ist ein arithmetischer wert — in der mathematik der rechnerisch gleiche abstand zwischen zwei punkten, in der politik ist die mitte genau da, wo man das höchste stimmenpotential ortet. nirgends ist die mitte so flexibel, fast so fluide und eigentlich nur im nachhinen fassbar wie der zeitgeist.

dass die mitte zum beispiel in österreich immer eher rechts liegt, ist altbekannt. aber bis in die 90’er jahre wurde die mitte eigentlich immer empirisch in den sogenannten großen koalitionen ermittelt, praktisch ausgependelt zwischen roten und schwarzen schwergewichten, unter ausschluss der öffentlichkeit — und nur wenn dringendst nötig — an den filzbespannten tischen der verschiedenen sozialpartnerschaften und stiftungs-, aufsichts- und anderen beiräten feinjustiert. was die kronen-zeitung schrieb, was die rechtsextreme opposition am viktor adler platz und von bierzelt-bühnen in der oberösterreichischen provinz blökte, vermeintlich stellvertretend für, oder quasi aus der seele des sprichwörtlichen kleinen mannes (und wahrscheinlich auch der kleinen frau) auf der straße konnte ohne viel nachdenken als folklore oder kurioser lokalkolorit abgetan werden. der braune und rechtsextreme rand fungierte lange zeit als identitätsbildend, aber nicht bestimmend, ähnlich wie leberkäse, erster-mai-aufmärsche im gemeindabau, opernball und mozart — jedem sein steckenpferd, je nach milieu. über den Waldheim hatte sich schließlich eigentlich nur das ausland wirklich aufgeregt.

aber seit 2000 sind die dämme praktisch gebrochen, das gleichgewicht ist — man kann es nicht anders sagen — aus dem gleichgewicht gekommen. und vor allem am rechten rand hat sich so einiges material angesammelt. die politische bühne gleicht einem schiff mit schlagseite. die schieflage wirkt wie ein sog, an deck gibt es wenig woran man sich klammern könnte, die themen werden von der schieflage bestimmt. und der schwerpunkt — also die mitte — hat sich durch die schieflage eh schon verlagert. momentan schlittern zum beispiel die Grünen und teile der wiener SPÖ wie betrunkene seeleute über das politische parkett. die einen verloren, die anderen sich dem rechten rand anbiedernd.

also ist es für außenstehende durchaus unterhaltsam die ersten tapsigen gehversuche der Grünen in sachen populismus zu beobachten — wie zum beispiel ein David Ellensohn vorstrafen von law-and-order verfechtern in den reihen der FPÖ aufdeckt, oder Karl Öllinger mit verschiedensten kellernazis klage-ping-pong spielt. nüchtern betrachtet ist diese sisyphusarbeit, sich gegen rechtsaußen zu wehren mehr als lobenswert, aber — man verzeihe mir die wortwahl — wenig ergebnisorientiert. sprich: wahlen gewinnen wird man damit kaum. denn was die Grünen zurecht als wahlweise rechtsradikal und neonazistisch (über akademische unterschiede zwischen den zwei begriffen schaue ich mal populistisch hinweg) und diskriminierend brandmarken, wird von den meisten wählern offenbar als “gut und recht” empfunden. so lange pauschal von “den asyl-missbrauchern” und “den integrationsunwilligen ausländern” und “den ostbanden” etc usw gesprochen wird, ist es eigentlich vernachlässigbar ob im dorf eine flüchtlingsfamilie untergebracht ist gegen dessen abschiebung sich die gemeinde wehrt, auf der stiege mehr menschen mit ausländischen pass wohnen und es im haus eigentlich nie probleme gegeben hat, oder die brieftasche in der straßenbahn von einem autochthonen österreichischen kleinkriminellen gefladert wurde. die logik der populisten besticht trotzdem, weil der postnazistische hausverstand ja sagt, die gut integrierten ausländer, die hilfsbedürftigen flüchtlinge und der fladerant aus den eigenen ethnischen reihen waren alles ausnahmen, welche die regel bestätigen. und die wahlurne verpfeift einen ja nicht, wenn man dann doch bei der FPÖ sein “kreuzerl” macht.

aber mit der standard-umfrage ist wieder ein mal ein damm gebrochen, bzw die erste blaue welle hat die letzten ausharrenden von deck gespühlt. die faustregel, rechtsradikale und sogenannte umstrittene parteien oder “hardliner”-kandidaten sind an der wahlurne eigentlich immer erfolgreicher als bei umfragen ist plötzlich in frage gestellt. oder scheint in österreich für die FPÖ nicht zu gelten. früher konnte man annehmen der eine oder andere Strache-Wähler geniert sich doch, das offen zuzugeben, welche claims er da durch sein kreuzerl unterschreibt (die sich dann oft genug eh als leeres bellen herausstellen), und die FPÖ blieb in den umfragen unter ihrem tatsächlichen potential. aber mittlerweile ist die FPÖ etabliert, mainstream, eine partei der mitte. wie die anderen großen parteien. auch in umfragen.


Kommentare

Die Aussage “dass die Mitte eher rechts liegt” ist paradox und sinnfrei.
Wahrscheinlich ist damit gemeint, dass sich ein immer größerer Teil der Bevölkerung die Lösung von Problemen wünscht, welche von linken Eliten als “rechts” stigmatisiert werden.

Es fällt auf, dass sich die etablierten Volksparteien in Europa von ihren Spin-doctors immer mehr zur unverfänglichen Beliebigkeit trimmen lassen. Mittlerweile kann man die angeblich konservativen Volksparteien fast kaum mehr von der Sozialdemokratie unterscheiden. Und umgekehrt. Wer die finanzpolitischen Äußerungen Steinbrücks im Rahmen der Präsentation seines Buches “Unterm Strich” gelesen hat, wer die gesellschaftspolitischen Analysen des tollkühnen Thilo Sarrazin gelesen hat, wer die Einlassungen Merkels, Wulffs und wie sie alle heißen zum Tagesgeschehen und etwa die unfaire parteiinterne Kritik an der brillianten Erika Steinbach registriert hat, der sieht wie durchlässig die Trennwände zwischen den großen Lagern in ihrer Profillosigkeit geworden sind. Wenn – und ich bleibe beim Beispiel Deutschland, welches als wichtigste Nation Europas als Aschauungsbeispiel für einen allgemeinen europäischen Trend dienen soll – ein Dr. Thilo Sarrazin zunächst von den meinungsmachenden Eliten des Landes gnadenlos für seine Äußerungen gegeißelt wird, dann aber von der Mehrheit der Bevölkerung überwältigende Unterstützung erfährt, dann zeigt das, dass die Großparteien die Themen, die eine Mehrheit der Bevölkerung bewegen, aus Angst vor der veröffentlichten Meinung, trocken ignorieren. Wenn eine Erika Steinbach sich wünscht auch den Wahlergebnissen nach wieder wirklich zur Volkspartei zu werden und auf Zeiten unter Alfred Degger verweist, dann hat sie nicht Unrecht. Eine Profilschärfung nach Rechts der christlichen Volksparteien und eine Profilschärfung nach Links der Sozialdemokratie, würde ein Phänomen wie die FPÖ undenkbar machen. In Deutschland gibt es zur Zeit noch keine Alternative zur CDU. Eine ernstzunehmende Partei rechts der CDU, etwa unter Führung eines Friedrich Merz oder ähnlicher Persönlichkeiten, würde zu einer identen Situation wie in Österreich mit der FPÖ führen. Es ist nicht so, dass die Menschen “bösartiger” werden, sondern, dass sie täglich mit realen Problemen, wie etwa der seit Jahrzehnten fehlgeleiteten Integrationspolitik konfrontiert sind und bemerken müssen, dass die bisherigen Großparteien aus Angst vor der veröffentlichten Meinung linker Medien und Personen des öffentlichen Lebens, die sich ohne großen intellektuellen Aufwand profilieren und produzieren wollen, ihre Probleme im besten Fall schönreden und im schlechtesten Fall ignorieren.
Es ist begreiflich, dass sich da viele nach politischen Alternativen umsehen.

PV · 16.09.2010 19:02 · #

Ich denke, der Ruck nach Rechtsaußen, der ja nicht nur in Österreich sondern in ganz Europa feststellbar ist, muss auch im größeren Kontext gesehen werden.
Letztlich kommen wir doch immer wieder an den 11. September 2001 zurück. Ab da war der Islam plötzlich die Bedrohung. Und diese Angst wussten gerade die Parteien rechtsaußen gekonnt zu nutzen. Vorher war nie von “den Moslems” die Rede, immer nur von “den Türken” oder whatever. Der politische Schlagabtausch wird zunehmend religionsgeladener. Bestes Beispiel ist ja wohl der Wien-Wahlkampf, wo Strache bewusst um die orthodoxen Serben gegen die muslimischen Türken wirbt.
Die ganze Integrationsdebatte hier und gerade in Deutschland ist auch nichts anderes. Wenn gerade Konservative gegen die angeblich integrationsunwilligen Moslems wettern und Sarrazin beipflichten, dann hat das nicht zuletzt auch damit zu tun, dass traditionell sozialdemokratische Wählerschichten diffamiert werden sollen. Mal von der Heuchelei abgesehen, dass gerade konservative Kreise jahrzehntelang Integration abgelehnt haben in der Mentalität: “Das sind Gastarbeiter, die gefälligst wieder abhauen sollen”.

Stephan mit ph · 21.09.2010 17:40 · #

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