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Ob deutsche Knackwurst oder Käsekreiner - es sind überall Schweine drin

von am 12.01.2009 18:43, Rubrik Leben

eine chronik


Mich hat vor dem Sandmännchen immer geekelt, schon als Kind tat es das. Und zwar vor einem ganz bestimmten Sandmännchen, dem Sandmännchen aus dem ZDF. Es hatte eine blau-weiß gemusterte Ganzkörperbedeckung um, die wahrscheinlich als Pyjama gedacht war und was noch viel schlimmer war, einen Kinnbart. Nun sind ein Outfit in den bayrischen Nationalfarben und ein Kinnbart an sich nichts ungewöhnliches, sind im Gegenteil sehr vertraute Alltagsgegenstände, wirken aber zu tiefst abartig, wenn sie bei einem Kinderkörper auftreten. Ich nämlich dachte immer das Sändmänchen sei ein Kind. Und deshalb hat der Bart ganz einfach nicht dahin gepasst, ein Stilbruch sozusagen, den ich dem ZDF als Ungeheuerlichkeit und typisch deutsche Abartigkeit (um nicht zu sagen Perversion) auslegte. Es verursachte unerträglichen Abscheu in mir und Ekel. Es wiederte mich an. Dieses Sandmännchen. Der Ekel, den es in mir hervorrief war kein grausender Ekel, es war ein verstörender Ekel so wie ihn Kinder empfinden, wenn ihnen etwas mißfällt, was eigentlich gedacht war ihnen zu gefallen. Aber nicht das Sandmännchen allein war eine vom ZDF in die Welt gesetzte Scheußlichkeit, erschwerend hinzu kamen die Mainzelmännchen (wieder dieses verniedlichende männchen im Namen). Mit ihren Wurstfingern und ihren Wurstfingergliedmaßen, zu tiefst abstoßend und abartig. Man sah sie oft nackig oder bunt, aber uniform gekleidet. Die Mainzelmännchen beim duschen, die Mainzelmännchen beim Blumen gießen oder einander Blumen schenkend, die Mainzelmännchen beim Schnarrchen in ihren Betten und und und. Sie sollten lustig und putzig wirken und so – nicht? Aber das taten sie nicht. Nicht auf mich jedenfalls, ich fand sie gräßlich, verstörend und hätte ich damals bereits eine sexuelle Reife erreicht, ich hätte sie pervers gefunden. Aber wäre dies der Fall gwesen, was selbstverständlich nicht so war, ich nämlich bin immer ein übergesundes und übergescheites Kind gewesen, wäre ich wohl so was wie ein fleischgewordenes Mainzelmännchen gewesen. Was sich das ZDF bei diesen Trickfiguren gedacht hat – man wird es wohl nie ganz herausfinden und werde ich diese Aufgabe den Psychoanalytikern überlassen. Auf alle Fälle hat das ZDF in seiner Kopflosigkeit sich selbst übertroffen. Das ZDF in Mainz. In der Stadt der Medien, Gutenbergs Stadt. Um 1455 soll er hier den Buchdruck mit beweglichen Metalllettern entwickelt haben, Johannes Gutenberg. Und also ist Mainz allseits die Medienstadt. So sieht sich Mainz aus der Ferne und die Ferne Mainz. Ich selbst bin einmal durch Mainz durchgefahren, als junge Erwachsene zwanzigjährig. Eigentlich nicht durch die Stadt durch, sondern durch den Bahnhof. Ich befand mich auf der Rückreise nach Wien von Dortmund wo ich meine Mutter besucht hatte. Aus dem Zug sah die Stadt auch ganz nett aus aber dann stiegen einige Leute ein, so auch eine Reisegruppe, eine Mainzer Reisegruppe aus lauter Pensionisten bestehend, die eine Kuikentfahne hatten und schlohweiße Gesundheitslatschen trugen, Marke Birkenstock. Natürlich setzten sich die meisten davon in mein davor leeres und jetzt mit lauter Pensionisten gestecktes Abteil wo sie ihren alte Leute Geruch ausdünsten würden und es selbstverständlich auch taten. Senioren sind für gewöhnlich ganz erträglich, so man ihnen allein, also einzeln begegnet. Dann kann man sie leichter abschütteln, wenn sie einem mit ihrer Redseligkeit zu lästig werden, man kann ihnen ganz autöritär das Wort abschneiden ohne wirklich unhöflich dabei zu sein, indem man ihnen zu essen gibt oder sie in ein Buch vertieft. Treten sie aber im Rudel auf wird es happig. In der Gruppe sind Senioren und vor allem deutsche Senioren eine übermächtige Qual – Frauen wie Männer. Redselig und präpotent ist ihnen mit ihrem Oberlehrergetue kein Einhalt geboten. Ohne Unterlass wird diskutiert wie der Streuselkuchen damals ´55 in Bad Salzuflen (wo sie bereits langsam in die Jahre kamen und auf Kur gehen mussten) schmeckte und sie dazu einer Schubertsonate lauschten. In der Gruppe verjüngen sich Senioren zu Schulkindern, nur weniger beweglich, dafür aber gleich geschwätzig. Sie sind genau wie Halbstarke in ihrem Übermut nur zum Unterscheid nicht mehr jung und dumm, sondern altklug. Es gibt nichts schlimmeres als altkluge Deutsche. Höchstens alte, altkluge Deutsche. Und mit diesen in einem Abteil zu sein ist das schlimmste überhaupt. Also beschloß ich dem ganzen rasch ein Ende zu machen, hatte aber nicht genügend zu Essen oder Valium mit mir dabei, weshalb ich meine Sachen packte und in ein anderes Abteil umzog. In diesem Abteil – es war das mit den wenigsten Personen – saß eine Dame mittleren Alters. Sie saß mir gegenüber am Fenster und trug einen praktischen Kurzhaarschnitt, dunkelblond mit Stirnfransen. Sie sah harmlos aus. Ganz friedlich. Ich ärgerte mich immernoch über die Mainzer und noch heute hege ich einen Groll gegen diese Leute. Geschwätzig und obergescheit, ganz wie das Fernsehen. Die Mainzer sind wie das Fernsehen, um nicht zu sagen die Mainzer sind das Fersehen. In Endlosschleife ohne Sendepause. Und hatte ich ehedem ein akademisch-germanistisches Bild von dieser Stadt, als Stadt des Buchdrucks und Kulturstadt, so hat dieses Bild jetzt einen Sprung. Und ist kaputt für immer kaputt.

Die Frau mir gegenüber, so stellte sich bald heraus kam aus Wien, ihr Akzent verriet sie, aber auch ihre Lebensgeschichte, die ich (ungefragt) zu hören bekam. Aufgewachsen war sie in Währing, dem achtzehnten Wiener Gemeindebezikt, in dem auch ich damals wohnte, ein “Randbezirk” wie sie sagte. So hatten wir auch schon eine Gemeinsamkeit, ich hatte nämlich aus Höflichkeit kund getan, dass ich dort seit c.a einem jahr ansässig bin und schon trug die einseitige Sympathie ihererseits Früchte. Sie fing gleich an zu erzählen von ihrer Jahreskarte für die Wiener Staatsoper und über was für ein seltenes Privileg sie damit verfügte. Mit der Jahreskarte. Eine recht begeisterte Theatergängerin sei sie und eine noch viel begeistertere Operngängerin. Sie und ihr Mann. Erst küzlich seien sie in den Don Karlos und in den Don Carlo gegangen, also in Verdis Don Carlo und in Schillers Don Karlos, in das Theater Don Karlos und in die Oper Don Carlo. Verstanden? Und es hat ihr nicht gefallen (was von beiden, das weiß ich nicht mehr so genau und wage zu bezweifeln dass ich es damals verstanden habe) es war einfach alles deplaziert gewesen, die ganze Aufmache – deplaziert. Das war ihr Lieblingwort. Sie verwendete es mehrmals in der Minute und im ganzen Text, manchmal auch öfter in einem Satz. Ich fand es sehr treffend das Wort, es passte gut in die gegenwärtige Situation. Ich fand es sogar schön – das Wort natürlich, die Unterredung weniger, was denkbar. Sie war überaus mühselig und langwierig. Sie wusste von allen möglichen Nebensächlichkeiten in aller Ausführlichkeit, geradezu detailverliebt zu bereichten und am besten hätte sie in die Mainzer Reisegruppe gepasst, als Frühpensionierte als die ich sie verdächtigte. Die Wiener und ihr Theater. Sie gehen immer dahin, schlüpfen da hinein wie in ihre Kleidung. Es ist zuweilen eine Ersatzhandlung der Wiener dieses Theatergegehe, eine Kompensation wie man so schön dazu sagt für ihr sprödes nur selten vorhandenes Liebesleben. Wäre ich Wienerin, auch ich würde mich vor meinen Mitmenschen grausen, wie vor dem Sandmännchen im ZDF. Und es ist mir in hohem Maße schleierhaft wie diese Stadt noch immer Bestand hat, häßlich wie die meisten hier sind. Ich schwor mir nächstes Mal nicht mehr so zu geizen und mit dem Flugzeug zu reisen, das ich diesmal aus Feigheit gemieden habe, mit fatalen Folgen für mein Nervensystem. Und als könnte sie meine Gedanken lesen und meine Flugangst riechen, fing die Dame gegenüber an von ihrem ersten Flug in den frühen siebziger Jahren zu reden, in einer russischen Tupolev, die damals aus Allzweck und soziopragmatischen Überlegeungen – was man mit ehemaligen Rüstzeug denn so alles machen könnte – zum Personentransport umfunktioniert wurde. Sie und ihr Mann seien darin geflogen. Und sie hatte nie in ihrem Leben so viel Angst gehabt, doch hätte sie diese Angst damals abgehärtet und nun sei Fliegen nicht mehr ein Problem. Vielleicht sollte ich es ihr nachmachen. Jedenfalls verstrickte sie mich fast bis nach Wien weiterhin in ihre Theaterbesuche bis sie meinte sie wolle mal eben nach ihrem Mann sehen! Der sei da vorne im Großraumwagen, wo es ihr zu wider gewesen war, wegen der schlechten Luft (wahrscheinlich viel zu viele anderen Atmer) und so sei sie in ein Abteil gegangen, fröhlich abgeschirmt, die Frau aus dem ersten Wiener Gemeindebezirk die den Don Karlo oder Don Carlos nicht so toll fand, damals. Es waren bis dahin tatsächlich mehrere Stunden vergangen. Er aber hatte sie wahrscheinlich nicht großartig vermisst, was verständlich. Und ich tat es auch nicht als sie das Abteil verließ. Was ich tat, war das Bordrestaurant aufzusuchen und deutsches Bier zu kaufen. Ein paar Kölsch – was gut, das wenns hochkommt einzig Gute auf dieser Reise. Und mit Bier im Abteil und generell auf Reisen ist man mehr oder minder gewappnet vor lästigen Zwangsgesprächen. Niemand will mit einer (Bier)trinkerin sprechen, das ist wohl klar. Und weil ich oft auf Reisen bin, habe ich mir das Trinken angewöhnt. Geradezu exzessiv. So sind mir des biereswegen auch die Süddeutschen die liebsten, mit Ausnahme der Bayern, die hasse ich ganz einfach aus Prinzip. Das Zugfahren hat mich zur alkoholikerin gemacht. Wien haben sie mir vergrault und auch das bistümlich verspannte Mainz, aber das Bier, das haben sie mir schmackhaft gemacht. Und ich trinke jetzt auch wenn ich nicht fahre!


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