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Sneak Peek: Gerhard Scheit im Gespräch mit aerosol.cc über Kitsch und Kabarett

von am 10.03.2010 18:45, Rubrik heft

Jetzt mal ehrlich, liebe Leser und liebe Leserinnen,
ist es nicht etwas kitschig im 21. Jahrhundert ein gedrucktes Literaturmagazin herauszubringen, jetzt in Zeiten des Internets und der e-books, wo Printmedien schon Totgesagt sind und allerhöchstens noch als Liebhaberobjekte für Bibliophile Absatz finden? Was liegt also näher als Liebe, Kitsch und Tod als Heftthema für diese zweite Ausgabe von aerosol.cc zu wählen?

Als Vorschau auf das kommende Heft ein Ausschnitt aus unserem Interview mit Gerhard Scheit über Kitsch und Kabarett von Stefan Marx und Ana Ilic.


aerosol.cc: Was ist literarischer Kitsch. Es gibt diesen Ausspruch von Adorno in der „Ästhetischen Theorie“: „Der Kitsch lauert in der Kunst. Er ist also kein Abfallprodukt.“ Wie eng ist die Verbindung zwischen moderner Literatur und Kitsch? Wie erkenne ich subtile Formen von literarischem Kitsch? Wie kann ich mich dagegen wappnen, wenn ich will?

Gerhard Scheit: Die Frage „Was ist Kitsch?“ ist ungefähr so schwierig oder so leicht wie die Frage „Was ist Kunst“. Im Grunde denke ich, dass man da gar nicht in dieser Allgemeinheit weiterkommt. Es ist unfruchtbar zu versuchen, die Frage abstrakt zu beantworten. Sobald man etwas Substantielles darüber sagen möchte, muss man schon konkret werden. Konkret werden heißt, sich auf ein einzelnes Artefakt, sei es ein Produkt, das man als Kunst betrachtet oder das man als Kitsch betrachtet, einzulassen und zu benennen, was daran kitschig sei und dies auch zu begründen. bzw. was daran den Anspruch erheben könne, Kunst zu sein.
Wenn man ganz allgemein über Kitsch sprechen möchte und so eine Art Definition des Kitsches versucht, aber eben mit der Einschränkung, dass man auf dieser allgemeinen Ebene nicht weiterkommt als zu den allerallgemeinsten Bestimmungen, dann könnte man sagen, Kitsch zeichnet sich dadurch aus, dass er – mit Bewusstheit würde ich sagen, obwohl man über diese Bewusstheit auch sprechen müsste, weil Kitsch entsteht ja auch aus einer gewissen Spontaneität heraus – dass Kitsch immer die Widersprüche unterdrückt; dass Kitsch darin besteht, die Widersprüche nicht zur Geltung zu bringen, nicht zuzulassen.
Dadurch entsteht diese spezifische Atmosphäre des Kitschigen. Man kann nicht einmal sagen: Kitsch ist eine falsche Versöhnung, denn soweit kommt es gar nicht, dass die Widersprüche irgendwie entfaltet werden, sodass sie dann auf falsche Weise versöhnt werden könnten, sondern Kitsch lässt die Widersprüche erst gar nicht zu. Und daraus ergibt sich die Stimmung des von vornherein Versöhnten, dass also überhaupt keine Versöhnung nötig sei.

(…)

Zuletzt habe ich noch eine Frage, die sich auf den Hauptdarsteller aus deinem Buch „Hanswurst und der Staat“ bezieht. Du schreibst, das Fernsehen wäre der neue Wurstel und die Haupt- und Staatsaktion fände in der modernen Mediengesellschaft in den Massenmedien statt und nicht mehr im Theater. Diese Rolle der neuen Medien, kann diese die Rolle des Kitsches beeinflussen. Ist der Kitsch im Fernsehen ein anderer als der in der Literatur beziehungsweise nimmt er andere politische Ästhetisierungen vor? Macht das überhaupt Sinn, danach zu fragen?
Wäre ein Stück wie Shylock in unserer aktuellen österreichischen Gesellschaft als Film, als eine neue Produktion etwas anderes? Angenommen der ORF produziert Soko-Donau und das Thema ist ein solches.

Nein. Ein solches Thema meidet man weitgehend, weil man da in des Teufels Küche kommt.
Das eine wäre, dass Literatur gar nicht umhin kann, sich mit den Produktionen der neuen Medien, der Massenmedien zu konfrontieren. Sie kann nicht umhin, die Erzeugnisse der Kulturindustrie als Material zu verwenden. Das ist die Ausgangslage für die moderne Kunst. Im Hanswurstbuch habe ich das Fernsehen mit der Hanswurstfigur verglichen. Das geschah aber zu dem Zweck, deutlich zu machen, dass im Fernsehen eine ähnliche Regression stattfindet wie in der Figur des Hanswurst. Es wird eine Unmittelbarkeit erzeugt, die Reflexion entbehrlich macht. Die technisch äußert aufwendig erzeugte Unmittelbarkeit der Bilder, diese von aller Inhalt-Form-Problematik und allem Nichtidentischen gereinigte Einheit von Bild und Ton, dieser allumfassende Eindruck der Aktualität, das ist wahrscheinlich der ideologische Kern des Fernsehens, und ist so überwältigend, dass die Reflexionsfähigkeit gar nicht dazwischen kommen kann. Die Frage ist, ob da die Bezeichnung Kitsch überhaupt noch einen Sinn macht. Dieses vollständige Überwältigt-Werden durch die Aktualität; dieses Gefühl dabei zu sein, obwohl man ja eigentlich nicht dabei ist; die Art und Weise, wie man persönlich angesprochen wird, obwohl man persönlich gar nicht gemeint sein kann… Günther Anders hat in dieser Hinsicht eine luzide Phänomenologie des Fernsehens entworfen in seinem berühmten Buch „Die Antiquiertheit des Menschen“.

(…)

Kennst du die Sendung „Willkommen Österreich“? Es gab früher ein Nachmittagsprogramm, das wäre eher dem Kitsch zuzuordnen, weil es eine unheimliche Gemütlichkeit vermittelt hat, wo man eigentlich eine Nachmittagsbetreuung für ältere Leute gehabt hat.
In dem Programm „Donnerstag Nacht“ tut der ORF momentan so, als gäbe es da keine Regeln und es treten Kabarettisten wie Alfred Dorfer auf und die machen sich über den ORF lustig. Dadurch wird eben diese Freiheit suggeriert.

Ja, wie Fasching oder Fastnacht.

Kennst du Sterman und Grisseman?

Ja. Ich habe sie aber nur einmal kurz gesehen.

Da müsste man doch fragen, ob man da nicht doppelt reingelegt wird. Oder sich Universum anzuschauen und sich zu denken, da wäre das anders. Also da werde ich nicht nur bekitscht, sondern das hat ja einen Sinn.
Sterman und Grissemann interessieren mich deshalb, weil sie nicht mehr in Kärnten auftreten dürfen, nachdem sie nach dem Unfall des ehemaligen Landeshauptmanns nicht betrauert, sondern in ihrer Sendung zum Thema gemacht haben und gesagt haben: „Naja der war ja betrunken.“

Lässt sich so ein Auftritt überhaupt durch eine Landesregierung unterbinden?

In Kärnten wahrscheinlich schon.

(Lachen)

Oder ist das nur eine Werbestrategie?

Ja, das ist die Frage. Es suggeriert, so widerständig zu sein und ist auch beim Zuschauen auch auf diese Art und Weise unterhaltsam. Das funktioniert manchmal auch.

Manchen Fernsehakteuren gelingt es tatsächlich, gesellschaftliche Verhältnisse sichtbar zu machen. Sogar manchen Kabarettisten. Aber die Form des Kabaretts ist an sich bloßes Kunstgewerbe, also eine Form, die erst negiert werden muss, um gesellschaftliche Widersprüche zur Geltung bringen zu können. Denn im Genre des Kabaretts ist so ein Einverständnis zwischen Publikum und Kabarettisten von vornherein gesetzt: das Einverständnis, dass es lustig sein soll. Das ist die Form, die durchbrochen werden muss. Und selbst die Provokation – jeder Kabarettist provoziert auch ein bisschen das Publikum – gehört fast schon zu diesem Apriori, setzt selber das Einverständnis zwischen Publikum und Kabarettisten voraus. Das Kabarett ist darin sehr verwandt der Sitcom, und die Pointen beim Kabarett sind so angelegt, dass man genau weiß, wann man lachen muss. Ein Komödie von Molière oder von Nestroy lebt hingegen nicht nur davon, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt, dass die Verzweiflung immer wieder hervortreten kann, sondern dass durchaus Unsicherheit erzeugt wird, und das gerade in den kleinsten sprachlichen Details, was denn nun daran eigentlich lustig sein soll.
Bei der Sitcom gibt’s dann auch noch den Laugh-stream und insofern ist das die Vollendung der Kulturindustrie. Wenn jemand nicht mitkommt, weiß er trotzdem genau, wann er lachen muss. Beim Kabarett sind die Pointen meistens so plump gesetzt, dass man auch ohne eine solche technische Maßnahme darauf hingestoßen wird. Auch weil es diesen Laugh-stream nicht gibt, müssen die Pointen meistens noch täppischer sein als bei der dümmsten Sitcom, damit eben jeder weiß, dass er jetzt lachen muss. Das ist dieser Rhythmus des Kabaretts, der im Kabarett alles zu ruinieren droht und der es unmöglich macht, die Widersprüche zu entfalten. Und das ist eben der Unterschied zu einem Stück von Beckett, wo die Pointen plötzlich fehlen und man dadurch vor den Kopf gestoßen wird. Man müsste sich eigentlich ein Kabarett ohne Pointen wünschen.

[das ungekürzte interview im gedruckten heft — erhältlich ab 18. märz 2010]


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