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Das Morden aus der zweiten Reihe

von am 11.01.2011 13:42, Rubrik philosophisches-politisches

„Liberale, freiheitliche Staatsmänner sind unendlich bedrohter, weit weniger gut geschützt als die Gewaltherren …“ (HGS8: 334)

„Great part oft that order which reigns among mankind is not the effect of government. It has its origin in the principles of society and the natural constitution of man.“ (Paine1999: 107)


Die Prinzipien der Gesellschaft und die natürliche Konstitution des Menschen haben uns ihre abscheulichen Gesichter zur Genüge gezeigt. Dem modernen demokratischen Rechtsstaat verdanken wir in den Teilen der Erde wo er sich ernsthaft durchgesetzt hat eine vorläufige Atempause von diesen Grundfunktionen der Vernichtung.
Wenn in den USA in Fernsehen und Radio durch Beck und Limbaugh diese zutiefst menschlichen Eigenschaften wieder heraufbeschworen werden wird es Zeit den Atem wieder anzuhalten und gespannt hinzusehen. Wenn die Macht des Hinterwaldes in der Maske der Flintenfrau auf die Bühne der Politik tritt und die legitime Regierung eines Präsidenten als Tyrannei bezeichnet sollten sich nicht nur demokratische Politiker sorgen machen. Der Mordversuch an Gabrielle Giffords zeigt die Funktion eines politischen Konzeptes, dass sich Fundamentalisten in der ganzen Welt miteinander teilen.
Herrschaft beinhaltet die Abgrenzung zwischen oben und unten und beruht auf der Organisation der einzelnen Machtgruppen gegen die jeweils unteren. Die Funktion dieser inneren Organisation liegt im Selbstschutz der so organisierten Gruppen, aber auch im Schutz der jeweils unteren, solange diese nach den jeweiligen Regeln funktionieren. Zugehörigkeiten zu politischen Parteien, Staaten, Nationen, Bildungsgrad erfordert die Anerkennung eines Gesellschaftsvertrags und die Teilnahme an einem Racket.
„Legale und illegale Titel, Zugehörigkeit zur Welt und Unterwelt sind dadurch unterschieden, dass die Welt über eine umfassende Organisation verfügt, keiner soll ihrem Schutz entgehen, wen ihre Agenturen proskribieren, der ist verloren.“ (HGS12: 289)
Im Racket erhält sich Allgemeines und Besonderes in unversöhnlichem Gegensatz der durch die ständige Bemühung der „Ideen von Einheit und Gemeinschaft“ verhüllt wird. Dabei wird die Gewalt aus der Regierungstechnik scheinbar ausgeschlossen nur um durch eine zweite Kolonne, ein niedereres Racket ausgeführt zu werden. „Die Brutalität der Unteren, vor der man das Geheimnis der Regierung bewahren muss, ist nicht primär, sondern gesellschaftlich erzeugt.“ (HGS12: 291)
Die zweite Kolonne sind Außenseiter wie Jared Loughner. Sie übernehmen die Drecksarbeit die rechte Ideologen und religiöse Fundamentalisten verbal vorbereiten. Die Position der Gruppen die diese Form von Gewalt verbal unterstützen, wird trotz der prinzipiellen gesellschaftlichen Ächtung stärker. Das Gedächtnis der Menschen ist stark geprägt vom Gedächtnis der Medien. Nach dem ersten Schock und der dazugehörigen Empörung über die Gewalt wird das Tagesgeschäft der verbalen Vorbereitung der Vernichtung wieder aufgenommen. Die Rackets arbeiten als Wohlfahrts- und Schutzorganisationen für ihre Klientel. Sie errichten eine eigene Volksgemeinschaft in der Zivilbevölkerung des jeweiligen Landes und verwenden diese wie einen Staat im Staat. Wie die Hisbollah im Libanon Häuser für die Armen errichtet um darin ihre Raketenabschussrampen zu platzieren, liebäugeln Politiker der Tea Party mit den bewaffneten Mobs und paramilitärischen Verbänden und wahnsinnigen Einzeltätern.
Das Daraus entstehende Spektakel und eben die von Thomas Paine erwähnten natürlichen Prinzipien der Gesellschaft sorgen für die gesellschaftliche Normalisierung der Wahnsinnstat und ihres Kontextes. Die Sprache deckt letztlich alles zu. Die Mörder, die Waffennarren, die Rassisten behalten Recht, weil sie die unsichtbare Schrift ihrer Ideologen lesen können: Gewalt ist die Sprache unserer Gesellschaft, Gewalt das Prinzip auf dem wir unsere Herrschaft errichten.
Der Charakter des Spektakels, in diesem Fall das mörderische politische Spektakel der Rackets, fordert die passive Hinnahme, wie Guy Debord feststellt, da es sich als „unerreichbare Positivität“ darstellt. Es erscheint unwiderlegbar und es scheint keine Verantwortlichen zu geben. Aber die Wurzel des Spektakels erweist sich als die „älteste gesellschaftliche Spezialisierung, die Spezialisierung der Gewalt“ (Debord 1996: 21). Die Gewalt bleibt als Faktum unwidersprochen stehen und exkulpiert die verantwortlichen Rackets durch den Charakter der Gesellschaft von jeder Verantwortung.

Der über die Massenmedien und das Internet beteiligte neugierige Zuschauer trägt zu diesem Zustand auch noch bei, wie Wolfgang Sofsky zuspitzt. „Faszination gilt dem Handeln nicht dem Leiden. Das blasse Mitgefühl wird überlagert von der Bewunderung für den Täter, für seine unbegreifliche, rastlose Energie, seine Unerbittlichkeit. Der Beobachter verspürt das Verlangen, an dieser Kraft teilzuhaben. Er schätzt das Leiden, weil der Täter vollstreckt, was ihm selbst versagt ist.“ (Sofsky 1996: 108)
Aber die Angst, die Gewalt könnte auf die Umstehenden übergehen bleibt bestehen und hinterlässt auch in den neugierigen Zuschauern ein Gefühl der Bedrohung. Schwierig anders zu verstehen, dass die Flintenlady für (ihre) die Opfer beten will.

Im Übrigen glaube ich, dass wir am Freitag den 14. Jänner um 18 Uhr vor der ungarischen Botschaft [Bankgasse 4-6, 1010 Wien] erscheinen sollten

Literatur
Debord, Guy: Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996.
Paine, Thomas: Rights of Man, New York 1999.
HGS: Schmid Noerr, Gunzelin [Hg.]: Max Horkheimer. Gesammelte Schriften, 18 Bände, Frankfurt 1985.
Sofsky, Wolfgang: Traktat über die Gewalt, Frankfurt 1996.


Kommentare

Der Kurzschluss rhetorischer Formeln, (um nicht zu sagen Auswürfen), mit einer Semantik des Krieges, bereitet eine wortwörtlich geladene Atmosphäre auf, bei der man schon mal das eine für das andere nimmt, Taten für Worte und nur konsequent daraus, Worte für Taten. Von daher wundert es nicht, wenn ein republikanischer Politiker eine demokratische Kongressabgeordnete, die zufällig Gabrielle Giffords heißt metaphorisch zum Abschuss frei gibt und ein junger Mann im Kreuzfeuer:) amerikanischer Wahlkampfschlachten:) diese Aufforderung in ihren wörtlichen Sinn verkehrt.

Die Clausewitz Hypothese, dass der Krieg, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, dürfte (auch wenn ein gewisser Philosoph das etwas differenzierter sieht, vereinfache ich es mal an dieser Stelle), in umgekehrter Reihenfolge ebenfalls zu seiner Berechtigung kommen. Und so bestärkt das Attentat auf die US Politikern einmal mehr, dass die Politik zur Fortsetzung des Krieges mit selben Mitteln gedeiht…

Ana · 11.01.2011 17:13 · #

“Und es sind zwei Sprachen oben und unten. Und zwei Maße zu messen. Und was Menschengesicht trägt, kennt sich nicht mehr. (B. Brecht)” — hängt bei einem Kollegen in der Redaktion an der Pin-Wand.

r · 11.01.2011 17:32 · #

Also in dem Fall sind ja grad nicht zwei Sprachen. Sondern die “oben”, Palin, spricht exakt die Sprache von denen unten. Sie surft die Welle des hasserfüllten Ressentiments. Eines Ressentiments, das sich verbal ziemlich klar und unverhohlen gewaltverherrlichend artikuliert.
Dafür müssen wir übrigens nicht mal nach Amerika schauen. Man gucke sich nur diverse KSV-ÖH-Wahlplakate an. Die geben sich nicht weniger martialisch: Bilder von Partisaninnen und darunter “Seid furchtbar und wehret euch”. Oder ich erinnere mich an den Audimax-Slogan “Den Hahn abdrehen”, was letztlich auch nicht viel anders ist, als politische Gegner mit Fadenkreuzen zu markieren.

Stephan mit ph · 12.01.2011 17:25 · #

Man könnte sich ja wirklich fragen ob man da differenzieren soll. Gewalt hat doch eine normative Prägekraft für jegliche Auseinandersetzung mit Gesellschaft. Das Racket ist der Titel für die Unfähigkeit der bürgerlichen Gesellschaft ihre Grundlagen kritisch zu erfassen.

St.Max · 12.01.2011 17:41 · #

Also ich würde mal platt sagen, semantisch ist es schlicht das selbe, ob ich politische Gegner mit einem Fadenkreuz markiere oder dazu aufrufe sie “ozudrahnen”.
Wo ich wirklich differenzieren würde, ist, ob Gewalt im Sinne einer “normativen Prägkraft” wirklich die Gewalt einer Aufforderung zum Töten politischer Gegner ist. Ich mag es auch nicht so recht, den Begriff “Gewalt” inflationär zu gebrauchen, weil das dann letztlich auf eine Nivellierung hinausläuft. Gewalt bedeutet für mich wirkliche Gewalt in Wort und Tat.

Ich weiß auch nicht, ob ich der Analyse zustimmen kann, dass die “Oberen” sich der Grundlagen ihrer politischen Sprache nicht bewusst sind, die “Unteren” die aber verstehen und in die Tat umsetzen.
Wie schon gesagt, sehe ich da eher den Fall, dass Palin die Sprache der “Unteren” spricht. Wenn der niveauloseste Stammtisch von “Oberen” zur politischen Agenda “geadelt” wird (Palin ist ja eigentlich sozusagen Establishment), kann schon mal jemand auf die Idee kommen, das zu tun, “was getan werden muss”. Sprich: Das in die Tat umzusetzen, was vorher nur verbales Sozialisierungsgröhlen ist und dann “eh nicht so gemeint” war. Was der Vorfall vor allem aufzeigt, ist, dass die Republikaner, die mit der Tea-Party-Bewegung kuscheln, nicht wirklich die Bewegung vereinnahmen können. Sie können auf der Welle mitsurfen und vielleicht trägt diese sie in die angestrebten Positionen. Aber die Bewegung ist und bleibt ein Sammelbecken extremer Wirrköpfe und wird sich nicht in eine demokratische Partei integrieren lassen oder gar in die Gründung einer neuen parlamentarischen Kraft kumulieren.
Der Mob hat seine hässliche Fratze gezeigt und ich hoffe, so hat wenigstens die Romantisierung der Tea Party als eine Art konservative 68er-Bewegung (der ja sogar die “Presse” erliegt) ein Ende.

Eine Frage habe ich aber noch an den Artikelschreiber: Was soll das mit dem Racket jetzt genau bedeuten? Ich hab zwar den Schmäh mit Unterwelt usw. gecheckt, aber so richtig erschließt sich mir der Begriff bzw. seine Relevanz zum Umschriebenen trotzdem nicht.

Stephan mit ph · 13.01.2011 15:45 · #

Die “Oberen” sind sich ihrer Sprache sehr wohl bewusst, das ist ja zu kritisieren. Nur das die “Oberen” und die “da Unten” ja gesellschaftliche Begriffe sind und also nichts über die individuellen Befindlichkeiten aussagen. Palin ist ja eher selbst von der ungebildeten Sorte obwohl Führungskraft.
Das Normative am Gewaltbegriff erschliesst sich aus der Tatsache gesellschaftlicher Herrschaft.

Racket ist ein Begriff von Horkheimer um ein Strukturelement der durch Herrschaft strukturierten Gesellschaft zu bezeichnen, das sich eben dadurch auszeichnet für die eigene Klientel als Wohlfahrts- und Schutzmechanismus zu funktioniert aber beständig Abgrenzungen produziert. Racket ist das gesellschaftliche Faktum der sozioökonomischen Disposition. Die Rackets dominieren den Gesellschaftsaufbau und kaschieren dabei gleichzeitig diese heterogene und kontingente Struktur in der sich das Prinzip des Tauschs als Determinante durchgesetzt hat.

St.Max · 13.01.2011 19:32 · #

Aber wenn sich “die Oberen” ihrer Sprache bewusst sind und “die da Unten” auch, worin liegt dann die Unfähigkeit der bürgerlichen Gesellschaft, ihre Grundlagen kritisch zu erfassen? Es wissen ja eh alle Bescheid.

Das Racket als solches ist mir schon klar. Nur der Konnex zur Tea Party nicht. Wo funktioniert die Tea Party-Bewegung als Wohlfahrts- un Schutzmechanismus für ihre eigene Klientel? Das sehe ich nicht gegeben.
Die Tea Parties sind meiner Ansicht nach weniger eine einheitliche Gruppe, sondern mehr ein heterogener Mob. Man gucke sich nur mal Fotos von Tea Party-Kundgebungen an. Wenn man mal allein die Vielzahl der wirren und teilweise konträren Aufdrucke auf T-Shirts und Transparenten betrachtet, wird schnell klar, dass es sich hier nicht um eine einheitliche Bewegung handelt. Das einzig Verbindende ist ein diffuses Gefühl der Bedrohung durch einen Staat der in die Freiheit persönlicher Lebensentwürfe, religiöser oder politischer Überzeugungen eingreift. Dies ist allerdings weder unter irgendwelche allgemeine Gesetzmäßigkeiten von Herrschaft subsumierbar, noch kann man dem – das sage jetzt ich – den Horkheimer aufpfropfen.
Die Tea Party Bewergung ist ein spezifisch amerikanisches Phänomen und geht direkt aus der dortigen Geschichte und Kultur hervor. Das zentrale Konzept ist hierbei das des Libertarianism, und damit eines, das so weitläufig wie chamäleonartig ist und das gesamte politische Spektrum abdeckt.
Im übrigen ist sich die US-amerikanische Gesellschaft ihrer politischen Kultur und Geschichte so bewusst wie kaum ein anderer Staat. Der ganze klassische Western ist eine Aufarbeitung und Beschäftigung mit der konflitreichen Allianz zwischen Zvilisation und gewalttätiger Barbarei bei der “Eroberung des Westens”. Das ganze geschieht geradezu klassisch in der Form des Mythos. Einem Mythos, auf den sich gerade die ganzen waffenstrotzenden Eigenbrötler in den Grenzregionen (wie etwa Arizona) beziehen und in dessen Tradition sie sich sehen.
Das ist ja auch mit ein Grund, wieso der republikanische rechte Flügel die Bewegung vereinnahmen will: die uramerikanischen Werte. “Werte”, nach denen die Republikaner nach der Sinnkrise in Folge des Versagens der Neocon-Ideologie lechzen.

Stephan mit ph · 18.01.2011 18:24 · #

P.S.: Das Remake eines ebensolchen klassischen Western, nämlich “True Grit”, war jüngst auf Platz 1 der amerikanischen Kinocharts und ist bisher der erfolgreichste Film der nicht wenig erfolgsverwöhnten Coen-Brüder.

Zeitgeist, ich hör’ dich umher schleichen…

Stephan mit ph · 18.01.2011 18:32 · #

Na ich würde sagen, wenn “eh alle bescheid wissen” dann befinden wir uns, wie Kant sagen würde, im Zustand selbstverschuldeter Unmündigkeit und dann stimmt das mit dem Racket sehr genau. Bescheid wissen die Leute ja nur um das Unmittelbare, um die Gewalt. Aber das das im Konzept von Herrschaft angelegt ist will niemand wahrhaben. Darauf deuten auch deine Hinweise auf die Heterogenität hin. Natürlich ist das ein wilder Haufen, aber so tritt ein Racket ja auch auf, weil sich die darin organisierten Individuen nicht als Teile eines Ganzen das auf Gewalt basiert sehen (wollen). Oder in Form einer “konformistischen Revolte” eben genau das verschleiern will. btw: gegründet wurde das Tea Party Monster als Antwort auf den, als unameriaknisch wahrgenommenen Obama und seine Gesundheitsreform die genau den Mittelständlern der Bewegung auf die Tasche gefallen wäre. Und die republikanischen Politiker (verschiedene Internetquellen bezeugen das) argumentieren schon mit ökonomischem Neid und damit, dass sie (wie eben auch eine politische Wohlfahrtsorganisation) ihre Klientel vor einem terroristischen System, das sie ausbeuten will, beschützen.

Natürlich ist der Versuch solche gesellschaftlichen Untergründe/Abgründe von einer theoretischen Seite aus zu erklären immer schwierig und das ist ja auch die problematische Seite von marxistischen Theorien. Natürlich müsste man da eine empirische Basis entwickeln und immer wieder neu abwägen. Aber die andere Variante ist zu sagen: man kann nix sagen. [Das ist alles kontigent, heterogen, kontextabhängig, historisch, individuell usw.] Und das ist mir angesichts der Gewalt, die ja alle Individuen miterfasst, auch wenn sie sich raushalten (oder eben für differenziertere Betrachtung plädieren) einfach zu wenig. Da nehme ich diese Vereinfachung in Kauf bevor mir die Puste für die Kritik ausgeht. Aber das kann ja jeder halten wie er will.

Ich meine Horhkeimers Definition von kritischer Theorie als “entfaltetes Existenzialurteil” über die Gesellschaft (so in etwa aus meinem Kopf) enthält natürlich auch den Pathos marxistischen Messianismus. Aber darum ist es ja auch ein Werkzeug der Kritik und nicht in erster Linie der Deskription, Klassifizierung und Analyse von Gesellschaft.

St.Max · 18.01.2011 19:24 · #

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