rss-feed RSS Feed
Share on Facebook Share on Facebook
weitersagen Share on Twitter
Bookmark on Delicious Bookmark
Share this post at StumbleUpon StumbleUpon
drucken Diese Seite drucken

Rubriken:

Die Ästhetik der Kulturindustrie

von am 01.07.2010 14:49, Rubrik

Was schön ist, ist auch Gut. Und was Gut ist, wird gekauft.


Das wohl Unmittelbarste an einem Objekt, ist die Oberfläche. Sie bedarf buchstäblich keiner Vermittlung, die Oberfläche ist eben da – zugänglich. Die Oberfläche ist das erste das man sieht, unter umständen berühren kann. Die Oberfläche ist eine Verpackung die oft auf das darunter, also den Inhalt – zum Beispiel bei einem Geschenk – schließen lässt. Ganz nach dem Motto, was drauf steht, sollte auch drin sein. Naturgemäß kann die Oberfläche oder die Verpackung auch Etikettenschwindel betreiben, weswegen viele doch lieber auf Nummer sicher gehen und hübsch und aufwendig verpackte Geschenke vorher nochmal schütteln, oder das Gewicht abschätzen. Ist es ein Buch? Eine CD? Ist ein teures Parfum in der eingepackten Schachtel? Oder doch nur Pralinen? Eine schöne Verpackung, eine ansprechende Oberfläche lässt (bei neugierigen Menschen zwar nur kurz) den Inhalt oder das sich unter der Oberfläche befindende in den Hintergrund treten. Sehr schöne Verpackungen – wie zum Beispiel feine Lingerie bei Frauen oder sexy Unterwäsche bei Männern – reißt man nicht einfach so weg.

Die Idee der „Schönen Verpackung“ die auf den Inhalt schließen lässt, geht zurück auf die Antike. Platon prägte die Auffassung, dass die äußere Schönheit (also die Oberfläche, die unmittelbar fassbare Form eines Dings oder eines Menschen) auf die innere Schönheit beziehungsweise auf die Tugend schließen lässt. Das Konzept der Kalokagathia, also der salopp aus dem Griechischen übersetzt „Schön-und-gutheit“ wurde im Mittelalter christlich überformt und findet sowohl in den klassischen Märchen als auch in Hollywood niederschlag. Die böse Hexe erkennt man ja schon an ihrem grausligen Aussehen, der ruchlose Despot hat naturgemäß einen Buckel oder eine Narbe im Gesicht, ebenso klar wird auch die hübsche blonde weibliche Hauptfigur ihren Mr. Right am Ende des Films abkriegen und die intrigante Brünette ausstechen – Kalokagathia in Aktion.

Naturgemäß klappt sehr einfach gehaltene Gleichung Schöner Körper = Schöner Geist in der Kunst und in Zeiten von Photoshop nur bedingt. Oder besser gesagt: die Gleichung gibt es noch, aber die Rechnung geht nicht immer auf. Kunst existierte lange Zeit im fragilen Dreieck zwischen Künstler, Auftraggeber und Tradition – die Person des Künstlers war die ausführende Kraft, die mehr oder weniger nach den Vorstellungen des Auftraggebers in einer bestimmten Tradition ein Kunstwerk schuf. Wenn man die Idee der Kalokagathia verkürzt als Tradition hernimmt, und man annimmt, dass ein Auftraggeber sich in einem Portrait seinen Zeitgenossen und der Nachwelt möglichst vorteilhaft präsentieren möchte, so steht außer Frage, dass der Maler den Dargestellten im Sinne der Kalokagathia idealisierend und schöner als „in Echt“ abbilden wird. Hier muss angemerkt werden, dass dieses Beispiel mit dem Portrait und dem Portraitmaler zwar sehr anschaulich ist, aber eigentlich ein denkbar schlechtes Beispiel. In der Portraitmalerei – die verhältnismäßig jung ist – überwiegt naturgemäß der Einfluss des Auftraggebers. Bei anderen Bildgattungen zum Beispiel waren und sind die Künstler viel unabhängiger vom Wunsch ihrer Auftraggeber, Kalokagathia funktioniert da aber ebenso. Ist der, die oder das Dargestellte positiv konnotiert, so wird die Darstellung immer idealisierend und vorteilhaft ausfallen, ist der, die oder das Dargestellte negativ konnotiert, dann überwiegen Makel und Hässlichkeit. Oder hat schon je wer einen hässlichen oder einfach nur übergewichtigen Herkules, eine Venus mit Hängebrüsten (abgesehen von der Venus von Villendorf) oder eine Madonna mit Hakennase gesehen?

Man kann sagen, die Aufgabe der Kunst ist es, die Wirklichkeit schöner zu gestalten, zu überhöhen. Ähnlich wie das Geschenkpapier um das – etwas triviale, nach dem Geschmack der Bestsellerlisten ausgesuchte – Buch oder die Klassik-CD soll sie der Realität eine zweite, höhere Ebene geben. Selbst in der Renaissance, die unter Laien den Ruf hat, extrem auf sogenannten „Realismus“ und „Naturalismus“ ausgerichtet zu sein, hatten die Künstler den Anspruch die Natur nicht nur wissenschaftlich genau abzubilden, sondern die Natur in ihrer Kunst noch schöner als in der Wirklichkeit abzubilden. Die Renaissancekünstler beschäftigten sich wissenschaftlich genau mit der Wirkung des Lichts, die Bewegung und stellten sogar anatomische Untersuchungen an Leichen an, um herauszufinden wie der Mensch unter seiner Hülle funktioniert – nicht aber um die so gewonnenen Erkenntnisse über die Natur eins zu eins ins Bild zu setzten, sondern um aus den einzelnen empirischen Befunden das Ideal konstruieren zu können. Die Kunst der Renaissance gibt vor die Natur peinlichst zu imitieren, was aber auf die Leinwände und Decken der Kirchen und Paläste gebannt wird ist tatsächlich larger than life.

Die Werbung hat aus der Gleichung Schön = Gut seit je her Kapital geschlagen. Und das sprichwörtlich. Waren schauen – mit einigen Ausnahmen – in der Werbung immer besser aus, als „in Echt“. Denn ähnlich wie in der Kunst, ist es die Aufgabe der Werbung die Ware schöner ausschauen zu lassen, begehrlicher zu machen und den Apfel, die Handtasche oder die Sonnenbrille oder das Auto überhöht darzustellen, so schön, so toll, so gut und so „stylish”, dass man es einfach haben muss. Dabei erzeugt die Werbung – ähnlich wie die Kunst – eine Wirklichkeit die artifiziell ist, aber auch gleichzeitig real. Weil das Bild – oder die Anzeige – als solches zeigt ja das Produkt (oder den Herrscher, die Heilige, die Auenlandschaft im Sonnenuntergang… whatever), die es eigentlich nicht gibt, aber die im Bild fassbar scheint. Der Betrachter einer Ray-Ban Werbung ist sich sehr wohl bewusst, dass er genau so eine Sonnenbrille, wie die abgebildete Sonnenbrille im Geschäft kaufen kann, aber dass genau die abgebildete Sonnenbrille (zum Beispiel eben das Sonnenbrillenmodell in einem Katalog) nicht zu erwerben ist. Es wird mit dem Originalentwurf Werbung gemacht, aber der Konsument bekommt nur die seriell hergestellte Massenware. Abgebildetes verfügt immer nur über eine artifizielle Präsenz – was man auf einer Leinwand im Museum, auf der Homepage eines Versandhauses oder auf einer Doppelseite in einem Hochglanz-Magazin sieht, gibt vor eine 1:1 Korrespondenz in der „echten“ Welt zu haben, die es aber unter Umständen so nicht gibt (oder nicht mehr gibt bzw gar nie gegeben hat). Lambert Wiesing hat ein feines, lesenswertes Büchlein genau über dieses Problem der „Artifiziellen Präsenz“ geschrieben.

Es besticht also das Bild, die Oberfläche ohne Substanz, das eigentlich nicht greifbare, aber anschaubare. Der rote Apfel in der Lebensmittelwerbung funktioniert wie das Model eines Haute Couture-Labels: es vertritt anschaulich die Idee des perfekten Apfels, die Idee des perfekten Trägers der Kleidung des Labels. Dabei ist es egal ob die satte röte des Apfels oder die makellose Haut des Models das Resultat gekonnten Einsatzes von Filtern und Weichzeichner, und die schmale Taille und die langen Beine des Models nur dank Photoshop existieren – es geht ja weniger um die akkurate Darstellung der Realität bzw der Natur, sondern um die Aussage des Bildes im Einklang mit der gewünschten Werbewirkung für das Produkt oder die Marke. Die Natur wird quasi so dargestellt, wie sie eigentlich in der Logik des Bildermachers sein sollte – da unterschiedet sich die Werbung kaum von der Renaissancekunst.


Kommentare

Wenn man die Gleichung dann weiter denkt, müsste man folgern, dass es GUTES gar nicht gibt, sondern nur Abziehbildchen eines Guten für das man sich die Mühe gemacht hat nur einen Prototyp herzustellen, damit den alle sehen, aber keiner diesen je haben darf. Ganz schön fies…aber zumindest ein guter Text – ein Original;)

Ana · 03.07.2010 11:12 · #

“Das Wort Kunst dürfte in diesem Jahrhundert überhaupt nicht mehr ausgesprochen werden. Es gibt keine Künstler mehr. Wir sind Geschäftsleute. Wir sind Händler. Es gibt keine Kunst mehr.”
(Im Playboy 1979)

Marlon Brando · 06.07.2010 15:27 · #

|