die mitte ist ein arithmetischer wert — in der mathematik der rechnerisch gleiche abstand zwischen zwei punkten, in der politik ist die mitte genau da, wo man das höchste stimmenpotential ortet. nirgends ist die mitte so flexibel, fast so fluide und eigentlich nur im nachhinen fassbar wie der zeitgeist.
dass die mitte zum beispiel in österreich immer eher rechts liegt, ist altbekannt. aber bis in die 90’er jahre wurde die mitte eigentlich immer empirisch in den sogenannten großen koalitionen ermittelt, praktisch ausgependelt zwischen roten und schwarzen schwergewichten, unter ausschluss der öffentlichkeit — und nur wenn dringendst nötig — an den filzbespannten tischen der verschiedenen sozialpartnerschaften und stiftungs-, aufsichts- und anderen beiräten feinjustiert. was die kronen-zeitung schrieb, was die rechtsextreme opposition am viktor adler platz und von bierzelt-bühnen in der oberösterreichischen provinz blökte, vermeintlich stellvertretend für, oder quasi aus der seele des sprichwörtlichen kleinen mannes (und wahrscheinlich auch der kleinen frau) auf der straße konnte ohne viel nachdenken als folklore oder kurioser lokalkolorit abgetan werden. der braune und rechtsextreme rand fungierte lange zeit als identitätsbildend, aber nicht bestimmend, ähnlich wie leberkäse, erster-mai-aufmärsche im gemeindabau, opernball und mozart — jedem sein steckenpferd, je nach milieu. über den Waldheim hatte sich schließlich eigentlich nur das ausland wirklich aufgeregt.
aber seit 2000 sind die dämme praktisch gebrochen, das gleichgewicht ist — man kann es nicht anders sagen — aus dem gleichgewicht gekommen. und vor allem am rechten rand hat sich so einiges material angesammelt. die politische bühne gleicht einem schiff mit schlagseite. die schieflage wirkt wie ein sog, an deck gibt es wenig woran man sich klammern könnte, die themen werden von der schieflage bestimmt. und der schwerpunkt — also die mitte — hat sich durch die schieflage eh schon verlagert. momentan schlittern zum beispiel die Grünen und teile der wiener SPÖ wie betrunkene seeleute über das politische parkett. die einen verloren, die anderen sich dem rechten rand anbiedernd.
also ist es für außenstehende durchaus unterhaltsam die ersten tapsigen gehversuche der Grünen in sachen populismus zu beobachten — wie zum beispiel ein David Ellensohn vorstrafen von law-and-order verfechtern in den reihen der FPÖ aufdeckt, oder Karl Öllinger mit verschiedensten kellernazis klage-ping-pong spielt. nüchtern betrachtet ist diese sisyphusarbeit, sich gegen rechtsaußen zu wehren mehr als lobenswert, aber — man verzeihe mir die wortwahl — wenig ergebnisorientiert. sprich: wahlen gewinnen wird man damit kaum. denn was die Grünen zurecht als wahlweise rechtsradikal und neonazistisch (über akademische unterschiede zwischen den zwei begriffen schaue ich mal populistisch hinweg) und diskriminierend brandmarken, wird von den meisten wählern offenbar als “gut und recht” empfunden. so lange pauschal von “den asyl-missbrauchern” und “den integrationsunwilligen ausländern” und “den ostbanden” etc usw gesprochen wird, ist es eigentlich vernachlässigbar ob im dorf eine flüchtlingsfamilie untergebracht ist gegen dessen abschiebung sich die gemeinde wehrt, auf der stiege mehr menschen mit ausländischen pass wohnen und es im haus eigentlich nie probleme gegeben hat, oder die brieftasche in der straßenbahn von einem autochthonen österreichischen kleinkriminellen gefladert wurde. die logik der populisten besticht trotzdem, weil der postnazistische hausverstand ja sagt, die gut integrierten ausländer, die hilfsbedürftigen flüchtlinge und der fladerant aus den eigenen ethnischen reihen waren alles ausnahmen, welche die regel bestätigen. und die wahlurne verpfeift einen ja nicht, wenn man dann doch bei der FPÖ sein “kreuzerl” macht.
aber mit der standard-umfrage ist wieder ein mal ein damm gebrochen, bzw die erste blaue welle hat die letzten ausharrenden von deck gespühlt. die faustregel, rechtsradikale und sogenannte umstrittene parteien oder “hardliner”-kandidaten sind an der wahlurne eigentlich immer erfolgreicher als bei umfragen ist plötzlich in frage gestellt. oder scheint in österreich für die FPÖ nicht zu gelten. früher konnte man annehmen der eine oder andere Strache-Wähler geniert sich doch, das offen zuzugeben, welche claims er da durch sein kreuzerl unterschreibt (die sich dann oft genug eh als leeres bellen herausstellen), und die FPÖ blieb in den umfragen unter ihrem tatsächlichen potential. aber mittlerweile ist die FPÖ etabliert, mainstream, eine partei der mitte. wie die anderen großen parteien. auch in umfragen.