Michael fürchtet sich vor überfremdung und wüsste gerne die bräuche und die kultur (und die geschichte?) der indigenen volksgruppe geschützt. Er findet, daß die zuwanderung für die deutsche volksgruppe südlich des brenners identitätsbedrohend sei. Michael bringt in diesem kontext einen vergleich mit Berlin-Kreuzberg, den David in seinem beitrag wohl ausführlich genug entkräftet hat. deshalb möchte ich diesen kleinen blogeintrag dem thema identität (und sukzessive der angst vor identitätsverlust) widmen.
Aber bevor ich also anfange muss noch ein weiteres steinchen aus dem weg geräumt werden. Und zwar der begriff “Minderheit”. Eine minderheit stellt sich ausschließlich einer mehrheit entgegen, sonst wäre eine gruppe homogen. die minderheit stellt per definitionem also einen bruchteil der gesamtbevölkerung dar die sich in irgend einem punkt (oder mehreren) von einer bedeutend größeren gruppe unterscheidet. Reine mengenlehre. Und ein bisserl Cultural Studies, weil ich voraussetze daß sich die minderheit (respektive die mehrheit) gegeneinander als das Other definiert, und die (gefühlte) Otherness die gruppe der minderheit[en] und die gruppe der mehrheit konstituiert. Die gruppenmerkmale die eine minderheit von der “mehrheit” unterscheidet sind willkürlich. In südtirol ist es hauptsächlich die sprache, anderswo die religion oder die hautfarbe.
(anm: man verzeihe mir das etwas tolpatscherte mischmasch aus deutschen und englischen begriffen, aber ich bin gewohnt solche essays ausschließlich in englischer sprache zu schreiben, auch die fachbegriffe)
Um aber nicht abzuschweifen schauen wir uns also an was die “deutsche minderheit” von der “italienisch-romanischen nicht-minderheit” unterscheidet (eine auswahl):
1) die sprache
2) traditionen, bräuche, einen vernachlässigbare anzahl religiöser/profaner feste im laufe des jahres
zählen wir zusammen was die beiden gruppen gemeinsam haben (ebenfalls eine auswahl):
1) eine vielzahl von religiösen/profanen festen im laufe des jahres
2) die selbe religion, damit die selbe ethik und weitgehend die mit diesen punkten zusammenhängende wertesystem (also ethik und moral, für nicht religöse menschen)
3) die hautfarbe
4) ähnlich verteilte geschlechterrollen
Wir halten also fest daß die gruppen sich in recht wenigen punkten unterscheiden. Und daß die punkte in denen sie sich unterscheiden hauptsächlich performative formen von identität sind. Also eher ausdruck von identität sind, die aktiv von mitgliedern einer gruppe mit der absicht der festigung ihrer zugehörigkeit zu einer gruppe ausgeführt werden. Es sind keine nicht abänderbare oder von der natur verliehene merkmale wie z.B. hautfarbe, haarfarbe (oder überhaupt, das vorhanden sein von kopfhaaren ;-)) und … anzahl von fingern einer hand von mir aus, um nicht die form der augen oder was auch immer als diskriminierendes detail heranzuziehen.
Aber ohne daß ich jetzt zu weit ausufere halte ich fest, Identität ist eine Performance. Man kann aktiv identität schaffen und identität wechseln. Ein teil der Identität als Performance sind die sog. Erfundenen Traditionen, im Original von Zacharasiewicz mit anleihen von Barthes wenn ich mich jetzt aus dem stehgreif richtig erinnere – also ist es vulgo ein schmäh daß das Recht auf Heimat des einen dort endet, wo das Recht auf Heimat des anderen endet. Eine minderheit kann sich sehr wohl eine gemeinsame identität mit einer mehrheit teilen, und wenn eine weitere gruppe (oder weitere gruppen) dazustoßen kann man die eigenen erfundenen traditionen sowie die performance seiner identität ebenfalls so abändern daß die mitglieder der neuen gruppe integriert werden können.
Andersrum: wenn nicht andauernd auf die (unsinnige, weil ja willkürliche – und als willkürliche auch willkürlich änderbare) Identität der [deutschsprachigen] Südtiroler gepocht wird, wird auch eine integration von (volks)gruppen die ebenfalls nach südtirol einwandern und einwandern werden nie klappen. Und daß ausgerechnet die verfechter des erhalts der südtiroler identität trotz – bzw wider gesellschaftlichen veränderungen die unaufhaltsam und quasi darwinistisch natürlich passieren – dies mit einem aufruf zu mehr integrationswillen koppeln ist irgendwo tragikomisch.
Nun, wenn man bei kebap und meraner würstel einen kompromiss machen kann, warum dann nicht zum beispiel bei der zweisprachigen schule? Eine reihe von sinnvollen kompromissen würde doch gezwungener maßen zu einem friedlichen zusammenleben der verschiedenen gruppen mit ihren verschiedenen sprachen, religionen und invented traditions führen, oder?