I
Dass sich Eva Herman nach den Maßstäben von “politisch-korrekt” häufig und gerne in der Ebene vergreift oder ganz einfach mal in Fettnäpfchen tritt, hat sie jüngst wieder der wogenden deutschen Medienlandschaft nachdrücklich unter Beweis stellen müssen. Problematisch bei Frau Herman dürften wohl ihre ohne großen Hehl, mitunter sogar stur und resolut zur Schau gestellten alttestamentarischen Überzeugungen sein, die sie immer wieder in eine seltsam trübe Melange mit den Wertvorstellungen heutiger Ethik zu bringen bzw. diese gar damit zu ersetzten versucht. Aber was heißt schon bitte reaktionär. Angesichts der Zeitlichkeit, die Frau Hermans Vorstellungen in ein phylogenetisches Erdaltertum zurückwerfen, wär selbst die Bezeichnung “Anachronistisch” noch ein purer Euphemismus, völlig lächerlich. Atavismus dagegen schon sehr viel pointierter, wenn nicht sogar zur Gänze zutreffend. Und in der Logik des atavistischen Weltbildes, das Frau Herman zu Tage legt und es auch noch laut Hals, ganz in messianischer Tradition als frohe Botschaft in die Welt hinausschreit, könnte man sie ohne Bedenken mit dem Prädikat “Meinungsmissbildnerin der Stunde” belegen (um den sowohl ätiologischen- wie spirituellen Implikationen dieses Begriffs Rechnung zu tragen). Hart verdient – aber fair will ich meinen.
Die jähen Aussagen Eva Hermans zu der erst kürzlich eskalierten Technoparty, der Loveparade, haben einige Gemüter ob der eklatanten Formulierungen der genannten Dame kräftig hoch gehen lassen. Und mit ein bisschen Fantasie weiß man nach der Lektüre von Frau Hermans Artikel “Sex und Drogenorgie Loveparade: Zahlreiche Tote bei Sodom und Gomorrha”, den die ehemalige Nachrichtenberichterstatterin der ARD für den Internetableger des Kopp Verlages verfasst hat, welche scharfe Zeitdiagnose Frau Hermann damit postuliert wissen will. Der Titel hält auf jeden Fall was er verspricht, eine moralinsaure Litanei über den sündigen Abfall aller Normen, die entsetzliche Freizügigkeit mancher Mädchen, die gar barbusig (!) auf der Parade tanzen (seien wir jetzt mal froh, dass Frau Herman das nicht selbst tut) und dass es dort, auf der Loveparade, doch gar nicht um Liebe, sondern doch nur ums Ficken geht! So hört sich Eva Hermans Grundtenor an, der zugegeben nicht ohne unfreiwillige Komik, die verkalkten Töne einer “Fünfziger Jahre” Semantik parasitiert, als der Aufstand der Kinder los ging und sich dabei, wahrscheinlich ohne selbst davon Notiz zu nehmen, wie ein altes, belehrendes Großmütterchen gebart. Wirklich fundierte Kritik, kann das nicht sein, eher das Anwerfen einer Gebetsmühle, aber um eine kritische Position geht es Frau Herman auch gar nicht. Ihre Art, ist eine belehrende.
Die Loveparade mag man finden wie man will. Wer auf warmes Bier und dessen Ausdünstungen auf fremden Leibern steht mit denen man in der Menge unweigerlich in Kollision gerät, darf sich freuen und gerne auch stolz darauf sein, keine Berührungsängste zu haben. Wer lieber auf Alkoholvergiftung und kitschiges Musikantenstadl steht, wird sich in alpinen Gefilden offensichtlich wohler fühlen. Exzesse kennen keine ideologischen Grenzen, nicht mal -oder erst Recht nicht dann, wenn sie selbst ideologisiert werden. Dass weiß die aufmerksame und aufgeklärte Leserschaft, die sich auf Frau Hermans Aussagen deshalb zunächst darüber gelangweilt geben darf, nichts neues von der Journalistin zu vernehmen. Aber das ist ja gerade das Programm von Frau Herman, die, ob des auf den zuvor schon hingewiesenen Atavismus, ganz bei sich selbst ist, wenn sie mal wieder aus dem Alten schöpft. Bestimmt glaubt sie sich noch der Häresie schuldig, wenn sie selbst die Fäden in die Hand nimmt, und das Schicksal, Gottes Plan in Frage stellt – ihr Zeitalter ist nicht das der Empirie. Eine zugegeben überspitze Formulierung, ein zynischer Seitenhieb auf die Autorin hier, der aber gar nicht mal so ungerechtfertig scheint, wenn man sich den immer groteskere Züge annehmenden Atavismus Hermanns gewahr wird, der im Text auffallend zu nimmt. Da heißt es plötzlich in einer etwas entrückt und weltfremden Manier:
“Liebe? Oder Triebe? Man muss nicht ausgesprochen prüde sein, um sich hier nach kurzer Zeit mit Grausen abzuwenden. Riesige dunkle Wolken der Enthemmung und Entfesselung treiben über dem Geschehen, die jungen Menschen wirken, als hätten sie jegliche Selbstkontrolle abgegeben, ekstatisch und wie im Sog folgen sie dem finsteren Meister der sichtbaren Verführung.”(Hermann, Eva; Kopp Online).
Finsterer Meister der sichtbaren Verführung? Da muss wohl der Satan höchstpersönlich am Werke sein, der da so vielen Menschen, die Selbstübergabe einfordert und sie auf die schiefe Bahn, direkt in den Tunnel bringt. Sicher, nur der, der den Teufel anbetet, kann sich zu derart heftigem Sex- und Drogenkonsum verleiten lassen. So könnte man, wenn man Eva Hermann Exegese betreibt, es hier zwischen den Zeilen lesen, allegorisch. Passend scheint genannte Aussage zu dem letzt veröffentlichten Beitrag von Stefan Marx zu sein, nachdem auch diese Dame mit einem obskuren Illusionismus flirten dürfte, der offenbar ein noch weit verbreiteterer Realitätsersatz zu sein scheint, als bisher vermutet. Frau Herman aber weiß diese Position geschickt zu relativieren und übersetzt den finsteren Meister der sichtbaren Verführung in sein säkulares Pendent und schiebt alle Schuld verkifft freizügiger Freizeitgestaltung auf die bösen Achtundsechziger und deren Konzept von “Befreiung” wie sie entrüstet schreibt.
“Selten wurde ein Begriff [Liebe] mehr durch den Dreck gezogen als bei der Loveparade. Man fragt sich verzweifelt, welche Definition von »Liebe« die jungen Menschen durch derartige und leider selbstverständlich gewordene Falschbezeichnungen für das eigentlich Schönste und Höchste in dieser Schöpfung erhalten müssen? Die unheilvollen Auswüchse der Jetztzeit sind, bei Licht betrachtet, vor allem das Ergebnis der Achtundsechziger, die die Gesellschaft »befreit« haben von allen Zwängen und Regeln, welche das »Individuum doch nur einengen«. Wer sich betrunken und mit Drogen vollgedröhnt die Kleider vom Leib reißt, wer die letzten Anstandsrnormen feiernd und tanzend einstürzen lässt, und wer dafür auch noch von den Trägern der Gesellschaft unterstützt wird, der ist nicht weit vom Abgrund entfernt. Die Achtundsechziger haben ganze Arbeit geleistet!” (Hermann, Eva; Kopp Online)
Befreiung – was für ein ungnädiges Wort. (Warum Herman ausgerechnet die Achtundsechziger verachtet, bleibt, ob ihrer eigenen Fehde mit der Bildzeitung jedoch ein Rätsel). Ein Hinweis auf die Römische Dekadenz hätte in diesem Kontext vielleicht auch nicht schaden können, aber die Römer hielten sich immerhin dankenswerterweise Sklaven und waren damit Vertreter der Unfreiheit. Also doch kein so gutes Beispiel für Zwanglosigkeit. Vermeint man eingangs, dass Frau Hermann sich nun ein etwas griffigeres Feindbild geschnitzt und den Sprung von einem atavistischen Weltbild zu einem reaktionären geschafft hat, will man sich zunächst über den persönlichen Fortschritt der Autorin freuen, aber da kippt sie auch schon wieder in alte Muster, wenn sie den Ausgang der Technoparty, der aufgrund einer Massenpanik 21 Todesopfer, darunter größtenteils junge Menschen, forderte, mit einer zweifelhaften Logik der Vergeltung beschreibt.
“Viele sind durch das ausgeuferte Unglück ernüchtert und wach geworden, herausgerissen aus der falschen Traumwelt. Etliche der jungen Leute werden sich das nächste Mal genau überlegen, ob sie sich noch einmal auf eine solche »Massenparty« einlassen. Den Familien und Angehörigen der Toten gebührt tiefstes Beileid, sie haben schwerste Zeiten vor sich.
Für die Zukunft wurden jedoch Weichen gestellt: Denn das amtliche Ende der »geilsten Party der Welt«, der Loveparade, dürfte mit dem gestrigen Tag besiegelt worden sein! Eventuell haben hier ja auch ganz andere Mächte mit eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen. Was das angeht, kann man nur erleichtert aufatmen! Grauenhaft allerdings, dass es erst zu einem solchen Unglück kommen musste.” (Hermann, Eva; Kopp Online)
Die Semantik einer Traumwelt scheint hier die Autorin wieder selbst zu bedienen. In geradezu alttestamentarischer Grausamkeit, hat hier womöglich ein zürnender und eifersüchtiger Gott, den Sodom und Gomorrha- haften Exzess gestraft und an 21 Menschen ein Exempel statuiert. Eventuell natürlich, wie Frau Hermann ihre Position zum wiederholten Male aufweicht. Nichts ist offenbar wirklich sicher, erst Recht nicht in der Welt der Gläubigen. Bedenklich ist allenfalls, dass Frau Hermann nicht stärker den Duisburger Oberbürgermeister Sauerland und die wirklich Verantwortlichen in die Pflicht ruft, anstatt farbigen Rauch zu produzieren und andere Mächte am Werk bei der Katastrophe glaubt, die auch noch in ihren Augen, endlich positive Auswirkungen zeitigen wird.
II
Dass Eva Hermann in ihrem Schlusssatz bedauert, kann ihr wohl niemand wirklich abnehmen. Niemand außer Kopp-Kollege Udo Ulfkotte. Er veröffentlichte nach der schmutzigen Presse rund um den Herman Beitrag zur Loveparade, einen Artikel in Kopp Online, der Eva Hermans Position heldenhaft verteidigt und sich in einem offenen Brief an Deutschlands Journalisten, ebenfalls voller Empörung über das Verhalten der Raver auslässt, alles mit erhobenem Finger versteht sich.
“Liebe Journalisten, haben Sie die Live-Bilder gesehen, auf denen Teilnehmer der Loveparade neben den Rettungs- und Leichenwagen tanzten, in denen die Opfer des Unglücks abtransportiert wurden? Die Bilder sind inzwischen auch an zahlreichen Stellen im Web dokumentiert. Es waren nicht einzelne Jugendliche, sondern viele. Sie tanzten in Ekstase um die Rettungs- und Leichenwagen. Könnte es sein, dass nicht Frau Herman, sondern diese Teilnehmer der Loveparade pietätlos waren?
und weiter:
Liebe Journalisten, haben Sie die zahlreichen Interviews Ihrer Kollegen mit Teilnehmern der Loveparade gesehen, bei denen Jugendliche mit den schlimmen Ereignissen konfrontiert wurden und dann in die Mikrofone brüllten, das sei ihnen völlig egal, sie wollten weiterfeiern? Auch das waren keine Einzelfälle. Wer hat denn hier die Opfer der Loveparade verhöhnt? War es Frau Herman oder waren es die zugekifften Teilnehmer der Loveparade, die trotz der Toten weiterfeiern wollten?” (Ulfkotte, Udo; Kopp Online)
Bezeichnend auch hier wieder wie im vorausgehenden Artikel “Der fröhliche Fundamentalismus der Gleichgültigkeit” der mehr als bedenkliche Versuch das eigene Fehlverhalten durch den Verweis auf die blinden Flecken der anderen aufzuwiegen. Doch Herr Ulfkotte hat noch einiges mehr aufzubieten, vor allem dann, wenn es um den offen zur Schau gestellten, christlichen Fundamentalismus seiner von der Presse verfemten Kollegin geht, die es jetzt gilt, als Märtyrerin darzustellen, weil sie den heimischen sensationsgeilen Journalisten Gelegenheit gibt, das vakuumierende Sommerloch mit bösen Geschichten über Eva Hermann zu füllen, anstatt den wahren Feind dieser Gesellschaft ins Auge zu fassen. Udo Ulfkotte verweist diesbezüglich auf eine ethnisch deutlich auffälligere Gruppe, die sich im Vergleich zu der Frau Hermann, doch einiges mehr heraus nimmt, als ihr zu steht.
“Liebe Journalisten, wenn Sie einmal sehen wollen, wer die Opfer wirklich verhöhnt, dann rufen Sie einfach einmal diese Internetseite deutscher Muslime auf – da werden die Toten »Kuffar« (Ungläubigen) als Strafe Allahs für ihren Lebenswandel dargestellt. Erregt sich auch nur ein Journalist der BILD-Zeitung darüber, dass deutsche Muslime den Tod der »Raver« als »Strafe Allahs« für die »Ungläubigen« und ihren Lebenswandel bezeichnen? Unsere muslimischen Mitbürger dürfen sich ungestraft so äußern – sie sind in diesem Land ja inzwischen auch Menschen erster Klasse. Eva Herman aber ist eine ethnische Deutsche, dazu noch blond und intelligent. Sie darf ihre Auffassung nicht einmal andeuten, sonst wird sie im Sommerloch zur willkommenen Sau, die eine Journalistenmeute johlend mit Stockschlägen durchs Dorf treibt.” (Ulfkotte, Udo; Kopp Online)
Ob sich Herr Ulfkotte darüber aufregt, dass seine muslimischen Mitbürger, eine semantische wie ideelle Isomorphie mit Eva Hermans Vokabular und Weltanschauung pflegen, ist wohl eher nicht anzunehmen. Womöglich schwebt es dem Mann nicht vor, auf die Ähnlichkeiten extremistischer Positionen hinzuweisen, sondern auf das Privileg, das den Muslimen zu kommt, mittlerweile in Deutschland Menschen erster Klasse zu sein, wovon eine ethnische Blonde wie Frau Hermann ja nur mehr träumen darf! Und merkbar wird der Verlust der eigenen Macht ja selbstverständlich immer nur dann, wenn der Fundamentalismus in den Minderheiten seltsam übergewichtig wird. Da will man dann in den eigenen Reihen ordentlich aufstocken. Und natürlich immer alles ohne fiktive Grundierung.