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Die Revolution und ihre Bürger(lichen)

von am 15.02.2011 03:55, Rubrik philosophisches-politisches

Von der Französischen Revolution über die Februarrevolution bis hin zum Zusammenbruch des Ostblocks: Überall weiß Hans Rauscher in seiner Wochenendkolumne ein aufklärerisches, progressives, liberales, intellektuelles Bürgertum am Werk.


Im Wochenend-Standard veröffentlichte Hans Rauscher eine Kolumne mit dem Titel Wie bürgerlich-liberale Revolutionen enden können. Darin gibt er einen Abriss über die Geschichte bürgerlich-liberaler Revolutionen und woran diese gescheitert sind. Das sieht in Rauschers Interpretation dann so aus:

Am Anfang stand das aufstrebende liberale Bürgertum, das mehr politische Mitsprache in der absoluten Monarchie und Feudalherrschaft wollte. Dazu kamen die Massen der ausgebeuteten Bauern. Die Entladung dieser Spannung führte jedoch zunächst zur Machtübernahme von gut organisierten Radikalen, die in einer Schreckensherrschaft rund 40.000 “Klassenfeinde” ermordeten. In diesem Chaos errichtete ein erfolgreicher, junger General, Napoleon Bonaparte, eine Militärdiktatur und krönte sich später selbst zum Kaiser aller Franzosen. Die bürgerlich-liberale Revolution endete in einer Ein-Mann-Diktatur (mit drei Millionen Toten in Europa durch Napoleons Kriege).

Und weiter:

Die russische Revolution von 1917 begann im Februar (nach julianischem Kalender) und wurde ebenfalls von einer Elite aufgeklärter, gebildeter Bürger angeführt, auch sie zunächst in einer Koalition mit entrechteten Bauern. Im Oktober ergriffen jedoch die gut organisierten Radikalen, die Bolschewiki unter Lenin, die Macht (es war keine Revolution, sondern ein Putsch). In dieser Kaderpartei setzte sich dann der diabolische Apparatschik Stalin durch. Die bürgerlich-liberale Revolution endete in einer jahrzehntelangen Ein-Mann-Diktatur mit Millionen ermordeten “Klassenfeinden”.

Von der Verkürzung der Ereignisse einmal abgesehen, sticht vor allem seine Unterscheidung unangenehm ins Auge: Da ist zum einen das progressiv-liberale, aufgeklärte, intellektuelle Bürgertum, das die Reform-Revolution (ist anscheinend beides das selbe) in Gang bringt, die armen, ungebildeten, ausgebeuteten Massen zum anderen hängen sich dran und zusammen stürzen sie die bösen Regimes. Aber dann kommen die Radikalen und übernehmen die Herrschaft. Wie geht das? Nun, das Bürgertum kann denen ja wohl nicht zur Macht verholfen haben, immerhin sind die Radikalen ja die böse Antithese zum liberalen, progressiven Bürgertum. Also muss es wohl an den armen, ungebildeten Proletariern liegen…

Fischig ist hier nicht nur der schwammige Gebrauch des ohnehin schon schwammigen Begriffs des “Bürgertums” – es wird einem ganz schwindelig bei all den Attributen, mit denen Rauscher im Laufe seiner Kolumne das Bürgertum bedenkt.
Er will uns zudem weismachen, von der Französischen Revolution über die Februarrevolution bis zum Zusammenbruch des Ostblocks, überall lässt sich ein progressives, intellektuelles, liberales, gebildetes Bürgertum verorten, das als gesellschaftliche Elite diese in die richtige Richtung zu lenken weiß. Ganz davon abgesehen, dass die Milchmädchen-Soziologie von “Bürgertum = intellektuell = aufgeklärt = liberal = progressiv = aufklärerisch = demokratisch” schon beim ersten Beispiel, der Französischen Revolution, total daneben geht. Die Jakobiner – zweifellos die Radikalen, von denen Rauscher spricht – waren großteils Bürgerliche. Napoleon erfreute sich der Bewunderung und des Wohlwollens weiter Teile des aufgeklärten bzw. aufklärerischen Bürgertums Europas. Ihm gegenüber standen vor allem alte, reaktionäre Eliten von Adel und Klerus und das neue Ungeheuer aufkommenden Nationalismus. Es ist nicht so, dass ich Napoleon irgendwie in Schutz nehmen will, aber der historische Kontext muss doch mal festgehalten werden.

Was mir aber am meisten aufstößt, ist dieser plumpe, verfälschende und geradezu obszöne Dualismus vom progressivem, aufklärerischem Bürgertum und träger, unmündiger Volksmasse, die erst das intellektuell-liberale Bürgertum benötigt, um politische Veränderung herbeizuführen. Jetzt seien wir uns mal ehrlich, wie man so schön sagt: Das ist hochgradig elitär-elitistischer Blödsinn und weit entfernt von jeder politischen Realität oder Geschichte. Ganz abgesehen davon, dass es ein Irrglauben ist von einheitlichem Volk (im Sinne von Arbeitern/Verarmten/Bauern) oder einheitlichem Bürgertum zu reden. Das ist ein politischer Mythos, der sich scheinbar immer noch hält.
Fakt ist, dass ein Bürgertum – fassen wir es mal im weitesten, also vor allem ökonomischen Sinne – nicht an Revolution, sondern an Reformen interessiert ist. Das schreibt Herr Rauscher ja selbst, auch wenn er Reform und Revolution äquivalent setzt. Ein Bürgertum ist immer eine Gruppe, die etwas zu verlieren hat, die armen Hunde ganz unten nicht. Eine Revolution ist nun aber gemäß der Etymologie eine Umwälzung, nicht lediglich nur eine Umformung (wie die Reform). Mit einer Schicht, die nur eine Umformung des Bestehenden und keine Umwälzung, d.h. komplette Veränderung will, ist aber keine Revolution zu machen.

Ich bin beileibe kein Klassenkämpfer oder ähnliches, aber dieser dämliche Bürgertum-Elitismus gepaart mit Bürgertum-Hurra-Glorifizierung geht mir extrem gegen den Strich. Herr Rauscher würde auch sehr schnell herausfinden, wieso, wenn er sich einmal kurz Gedanken darüber machen würde, woher denn die bösen Radikalen kommen.
Aus dem Nichts? Aus dem politischem Vakuum? Sind die plötzlich da? Angezogen von Anarchie wie Geier von Verwesungsgeruch? Sehen wir uns mal die bösen Radikalen an, die Herr Rauscher benennt: Robespierre? Anwalt und Sohn eines angesehenen Advokaten; intellektuelles Bürgertum. Lenin? Sohn des liberalen Großbürgertums, das später zum Erbadel erhoben wurde.

Überdies ist das Bild, das Rauscher von den Fraktionen in Ägypten zeichnet sowie die Rollen, die er den Akteuren zuweist, simplfizierend und schlichtweg falsch. Die Muslimbrüder sind natürlich sofort als die bösen Radikalen ausgemacht, die potentiell die demokratische Entwicklung kapern und Ägypten letztlich in eine Militärdiktatur führen.
Was an ihm scheinbar komplett vorübergegangen ist, ist die Tatsache, dass gerade die Muslimbrüder in den letzten Jahren die größte oppositionelle Kraft gegen das Militärregime gewesen sind und in ihren Bestrebungen klar für Demokratie eintreten. Die Kurzschlussassoziation von “Muslimbrüder” zu “Islamismus” zu “Fundamentalismus” in freier Wildbahn, möchte man sagen. Hinzu kommt, dass gerade die Muslimbrüder für das Lager des liberalen, intellektuellen Bürgertums stehen.
Und schon gar nicht ist das ägyptische Volk auf irgend ein wie auch immer geartetes intellektuell-aufklärerisch-liberales Bürgertum angewiesen, um aus seiner “Unmündigkeit” befreit zu werden. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob ich die Arroganz, die da mitschwingt, als sozio-elitär oder als postkolonial-kolonial auffassen soll.

Da mir kein passendes Abschlusswort einfällt, überlasse ich es polemisch aber effektvoll Giù la testa von Sergio Leone.


Kommentare

Schade, dass die am Ursprungstext beklagte Verkürzung auch das Hauptproblem der Antwort ist. In der Kürze ist das was Rauscher schreibt zwar zu kurz aber weder falsch noch elitär. Die historischen Ereignisse stimmen und die Protagonisten sind vorhanden.
Das “aufstrebende liberale Bürgertum” ist durchaus der Hauptfaktor beim Wechsel von Feudalismus zu bürgerlicher Gesellschaft gewesen und wäre das nicht so, lebten wir nicht in Demokratien mit freien Marktwirtschaften.
Natürlich ist das Bürgertum aber genauso auch Hort der Reaktion.
Und sein Schluss (der trotz der Kürze des Textes in der Antwort nicht aufscheint) perhorresziert ja nicht die Schreckensherrschaft von imaginierten Islamfaschisten sondern die reale Möglichkeit zur Veränderung.

Ganz abgesehen davon ist der “obszöne Dualismus” von Bürgertum und Volksmasse weder an einer Stelle ausformuliert noch inhaltliches Ziel des Textes. Dem es eher darum geht vor der Möglichkeit zu warnen eine progressive Bewegung durch eine bestimmte Elite (General, Chefideologe, religiös/politischer Verein) letztlich in eine reaktionäre zu verwandeln.

Die vorgebrachte Kritik ist sicher richtig, aber nicht für diesen Text von Rauscher. Den ich sicher nicht gerne verteidigt habe.

St.Max · 15.02.2011 09:55 · #

Nun, Rauscher verbindet im Text jegliche Art von Fortschritt etc. ausschließlich mit dem Bürgertum (ma zähle die Attribute). Das Verwandeln einer progressiven Bewegung in eine reaktionäre hängt im Text ja einzig davon ab, ob das liberale Bürgertum das Heft in der Hand hat und so der Freiheit zum Sieg verhelfen kann.

Natürlich ist Das Aufweisen einer solchen Dichotomie nicht Ziel des Textes und die eigentliche Intention einwandfrei. Aber diese Dichotomie ist der zentrale Punkt in seiner Erklärung politischer/geschichtlicher Ereignisse von der Französischen Revolution bis herauf zu Ägypten. Der Motor ist immer und quasi ausschließlich ein Bürgertum, das sich durch Liberalität, Progressivität, Aufgeklärtheit und vor allem Intellektualität auszeichnet. Siehe seine Interpretation der Februar- bzw. Oktoberrevolution:

Die russische Revolution von 1917 begann im Februar (nach julianischem Kalender) und wurde ebenfalls von einer Elite aufgeklärter, gebildeter Bürger angeführt, auch sie zunächst in einer Koalition mit entrechteten Bauern. Im Oktober ergriffen jedoch die gut organisierten Radikalen, die Bolschewiki unter Lenin, die Macht (es war keine Revolution, sondern ein Putsch).

Was sagt uns dieser Abschnitt? Die Elite der intellektuellen, aufgeklärten Bürger war “zunächst” in einer Koalition mit den entrechteten Bauern. Dann erputschten sich die Radikalen die Macht. Das sagt entweder aus, dass die Masse der entrechteten Bauern sich für die Radikalen und damit die Reaktion anstatt des Fortschritts entschieden hat oder dass sie einfach passiv waren, während das Bürgertum mit den Radikalen um die liberale Revolution rang.
Natürlich war das aufstrebende liberale Bürgertum ein bedeutender Faktor im Übergang von Feudalismus zur bürgerlichen Gesellschaft. Das stelle ich nicht in Abrede. In Abrede stelle ich die strenge Abgrenzung von liberalem Bürgertum auf der einen und reaktionären Radikalen auf der anderen Seite, weil die Geschichte gezeigt hat, dass diese einfachen EInteilungen nicht greifen.

Ich bin, wie schon gesagt, kein Klassenkämpfer. Ich halte nichts davon, gesamten sozialen Klassen einheitlich bestimmte Attribute zu verleihen.
Ich teile natürlich Rauschers Hoffnung für Ägypten, aber seine vorangehenden Überlegungen nicht.

Stephan mit ph · 15.02.2011 13:16 · #

Russische Revolution: Die Bauern standen 1914 hinter dem Zarenregime und haben ihre Meinung erst im Verlauf des Krieges abgeändert als die Nahrungsversorgung katastrophal für sie wurde. Dann kam es aber auch nicht zu Aufständen, sondern nur in den Städten zu Streiks und erst die Tatsache, dass die Soldaten im Gegensatz zu 1905 teilweise zu den Demonstranten und Streikenden überliefen führte zu dem politischen Spielraum.
Insofern war die Masse der Bauern nicht gerade das was Marx eine “Klasse für sich” nennen würde. Die haben politisch überhaupt nicht mitgespielt. Insofern ist das kein auseinanderdividieren sondern nur eine journalistische Verkürzung, die dem Format des Beitrags von Rauscher geschuldet ist, aber im Grunde keine Unklarheiten entstehen lässt.

Zum Thema warum das mit den Bürgerlichen nicht immer klappt gäbs dann noch den Text vom Marx “Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte”.

St.Max · 15.02.2011 15:32 · #

Weils mir grad einfällt:
Das Konzept, das zwischen ungebildeten Massen und zur Herrschaft fähigen gebildeten Elite unterscheidet ist ja eines von vor der französischen Revolution. Diderot, Voltaire, Montesquieu, Rousseau sind die Philosophen dieses Ansatzes. Ich glaube das Problem stellt sich auch im wissenschaftlichen Diskurs gar nicht mehr wirklich.
Bis auf gewisse Elemente der Hardt/Negri Geschichte. oÄ

St.Max · 16.02.2011 14:29 · #

Ich glaube, wir reden ein bisschen aneinander vorbei.

Was ich an Rauschers Darstellung kritisiert habe (bzw. zu kritisieren versucht habe; vielleicht kommt das im Text auch nicht klar genug rüber), ist nicht seine Darstellung vom Anteil des Bürgertums an verschiedenen Revolutionen.
Ich kritisiere zum einen die Zusammenfassung von qualitativ verschiedenen politischen Ereignissen unter die Kategorie “bürgerlich-liberale Revolution”. Natürlich gibt es irgendwo Parallelen zwischen allen vieren (d.i. Französische Revolution, Februarrevolution, Zusammenbruch des Ostblocks, Ägyptische Revolution), letztlich hatten ja alle vier den Anspruch ungerechte Zustände zum Besseren verändern zu wollen. Was Rauscher aber macht, ist, das ganze als Facetten oder Varianten des selben Phänomens – nämlich bürgerlich-liberale Revolution – darzustellen.
Das hat nichts mit bloßer faktischer Verkürzung zu tun, sondern ist eine eindimensionale Interpretation der Ereignisse.
Es ist mir natürlich klar, dass historische Beispiele mit dem Sinn Parallelen aufzuzeigen die Ereignisse immer in eine bestimmte Richtung hin deuten. Das ist ja der Sinn. Aber Rauschers Deutung finde ich absolut falsch und verallgemeinernd.

Das Kernstück seiner Deutung der verschiedenen Revolutionen ist immer diese Vorstellung vom liberal-aufklärerischen Bürgertum, die für sich natürlich nicht falsch ist. Falsch daran ist, das Bürgertum dieser Vorstellung als alleinigen Motor progressiver politischer Veränderung zu implizieren. Und das macht Rauscher bewusst oder unbewusst. Die Konstante in allen Beispielen ist die Rollenaufteilung, die anhand der Attribute ganz klar ist. Das Bürgertum ist aufgeklärt, gebildet, progressiv, liberal etc., alle progressiven und aktiven Attribute werden im Bürgertum vereint. Die zu befreienden Arbeiter, Bauern und Unterdrückten sind durchwegs mit passiven Attributen belegt. Die Radikalen sind dann die Antagonisten des Bürgertums.
Diese Rollenaufteilung ist verallgemeinernd und plump und fern jeder Realität. Wir stimmen ja darin überein, dass es diese einheitlichen Klassen mit einheitlichen Motiven oder Attributen nicht gibt. Rauscher stellt das aber schon so dar. Und er schreibt diesem Bürgertum quasi das Exklusivrecht auf progressive sowie realtiv gewaltlose politische Veränderung zu. Zumindest impliziert er es sehr stark.

Das ist es, was ich versucht habe zu kritisieren.
Nicht, dass es kein liberales Bürgertum gibt oder dass es nicht an politischen Veränderungen beteiligt ist, sondern dass “das Bürgertum” nicht per se einheitlich liberal-aufklärerisch-progressiv-gebildet und damit der einzige Motor politischer Veränderung ist.

Ich kritisiere nicht die Moral der Fabel oder dass da sprechende Tiere drin vorkommen, sondern dass sie versucht zu implizieren, dass Füchse die einzig schlauen Tiere sind.

Ich hoffe, es ist jetzt einigermaßen klar, worauf ich hinauswill.

Stephan mit ph · 17.02.2011 17:50 · #

Ich wäre nur auf die historischen Gegenbeispiele gespannt. Also mit Marx könnte man ja unterstellen, dass die neuen Befreier der Gesellschaft aus dem Proletariat kommen. Da sind die Bauern nicht dabei. Diese Revolution wäre sogar eine deklariert antibürgerliche. Das wichtigste revolutionäre Ereignis der modernen Gesellschaft ist aber weiterhin die bürgerliche Revolution in deren Gesellschaft wir, grob gesprochen, immer noch leben.
So brutal das bei Rauscher ausgedrückt ist, die “Bauern” oder die “Arbeiter” sind so wie die “Kleinbürger” historisch gesehen einfach meist reaktionäre Kräfte. Wir einigen uns darauf, dass man nicht so verallgemeinern soll, aber die beschriebene Tendenz ist absolut richtig.

Wie gesagt die Gegenbeispiele wären interessant. Und natürlich gibt es in anderen Ländern unter anderen historischen Konstellationen gewisse Gegenbeispiele (etwa in Südamerika oder Griechenland), aber ohne die progressive und liberale Elite ist eine Revolution (die kein Rückfall in Feudalsysteme oder die Steinzeit ist) momentan nun einmal nicht zu machen.

Siehe: Wesentliche Voraussetzungen für Revolution laut aktueller historischer Forschung: – Plötzliche Rezession nach Prosperität, steigendem Wohlstand und damit steigender Erwartung in Zukunft – Bewusstsein das bestehende Institutionen hinterfragt – Solidarisierung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen – Eine Ideologie – Schwäche und Ineffektivität seitens der Gegenkräfte

Es sei denn man nimmt die faschistischen Revolutionen (eher Reaktionen) hinein. Die werden dann von breiteren Bevölkerungsschichten getragen und sind meist sowohl antibürgerlich als auch antiliberal oder kommen ohne diese “elitäre” Form des aufgeklärten Bürgertums aus.

Ich hoffe es ist jetzt einigermaßen klar, worauf die Geschichte hinaus will.

St.Max · 17.02.2011 18:39 · #

Also zu allererst mal: Wo liest du aus den von dir aufgezählten Voraussetzungen für Revolutionen die Notwendigkeit einer Elite heraus?

Historische Gegenbeispiele wofür genau jetzt? Für progressive Revolutionen ohne bürgerliche Führerschaft? Also neben den aktuellen Revolutionen in Tunesien und Ägypten würde mir z.B. die Nelkenrevolution in Portugal einfallen.

Darüber hinaus stellt sich Rauschers Blick auf die Französische Revolution selbst ein Bein. Das, was die Französische Revolution zu eben jener wichtigsten Revolution der Moderne macht, ist ja gerade das Produkt derer, die Rauscher als Radikale und Reaktionäre bezeichnet und damit explizit nicht als Teil dessen ansieht, was er als liberal-progressives Bürgertum beschreibt.

P.S.: Im übrigen verbitte ich mir religiöse Vorstellungen von einer teleologischen Geschichte in einer Diskussion über Revolutionen. :P

Stephan mit ph · 23.02.2011 17:18 · #

Du liest meine Kommentare einfach zu ungenau:
“Und natürlich gibt es in anderen Ländern unter anderen historischen Konstellationen gewisse Gegenbeispiele (etwa in Südamerika oder Griechenland), aber ohne die progressive und liberale Elite ist eine Revolution (die kein Rückfall in Feudalsysteme oder die Steinzeit ist) momentan nun einmal nicht zu machen.”

Und was bei den “Revolutionen” in Nordafrika rauskommen wird werden wir erst noch sehen. Abgesehen davon, dass es natürlich nach der Erhebung des “Volkes” immer jemanden braucht der dafür sorgt, dass Gewalt nicht überbordet usw. Das hat mit historischer Teleogolie nichts zu tun. (Aber brav neues Wort nachgeschlagen, immerhin.) Sondern mit einer Einschätzung der Sphäre des Politischen die nicht naiv vor Oberflächenphänomenen kapituliert sondern deren zentrales Thema immer die Gewalt sein muss.

St.Max · 25.02.2011 10:38 · #

Das habe ich natürlich gelesen, keine Sorge. Gerade deshalb war ich etwas verwundert, welche Art von Gegenbeispiel du jetzt haben möchtest.

Ich verstehe aber nach wie vor nicht, wieso diejenigen, die dafür Sorge tragen müssen, dass Gewalt nicht überbordet jetzt genau und unbedingt Bürgerliche sein müssen bzw. wieso sie von der Geschichte für diese Aufgabe prädestiniert sind.
Und welche historischen Konstellationen besprechen wir jetzt eigentlich? Ich war der Meinung, es geht hier um prinzipielle Fragen bzw. eben meine Kritik an einer allgemeinen Verallgemeinerung, die ja die aktuellen Revolutionen mit einschließt.

Stephan mit ph · 25.02.2011 16:40 · #

Die Rauscherschen Bürger sind ein spezielles Phänomen das für moderne Staaten mit einem demokratischen politischen System charakteristisch ist. Ich glaube Rauscher hat mit dem Hinweis auf sie recht. Die Revolution muss ja auch wieder aufhören sonst hast du einen ewigen Revolutionsführer wie den Gaddafi und dann ists wieder nicht so weit her mit der Freiheit. Diejenigen Menschen, die während der Revolution Gewalt ausüben (und damit eventuell einen Machtwechsel schaffen) sind nicht unbedingt die, denen ich dann die Verwaltung des Ergebnisses überantworten würde. Die Bürger sind diejenigen die dann hoffentlich (außer bei der faschistischen Revolution) wieder das Gewaltmonopol errichten und ein demokratisches politisches System einführen. Historisch gesehen waren das fast immer die progressiven Bürger, deshalb denke ich ist die Formulierung vom R. richtig und seine Mahnung trifft auch. Da geht es also um eine bestimmte Gruppe von Bürgern.

Übrigens fällts mir grad erst auf: die “Teleogolie” ist mir gut gelungen.

St.Max · 25.02.2011 18:27 · #

“Siehe: Wesentliche Voraussetzungen für Revolution laut aktueller historischer Forschung: – Plötzliche Rezession nach Prosperität, steigendem Wohlstand und damit steigender Erwartung in Zukunft – Bewusstsein das bestehende Institutionen hinterfragt – Solidarisierung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen – Eine Ideologie – Schwäche und Ineffektivität seitens der Gegenkräfte”

Wenn ich mir diese Aufzählung anschaue, sehe ich allerdings keinen Grund zu der Annahme, irgend eine besondere Bevölkerungsgruppe/Schicht/Klasse sei im besondern Maße prädestiniert einen Umsturz zu wagen, bzw. zu bremsen. Was es braucht sind verzweifelte und enttäuschte Menschen, deren Perspektive hinreichend trostlos ist. Das sich das Bürgertüm hierbei historisch gesehen irgendiwe hervorgetan haben mag liegt allenfalls in seinem Bildungsvorsprung.

Da mir der Bezugstext feht, mag ich nicht genau zu sagen was der Autor mit seiner Kolummne vermitteln wollte. Durch diesen Artikel und seine Kommentare gelesen scheint es aber doch ein Loblied auf das Bürgertum zu sein,welches hier nur als Platzhalter dient*, womit zum einen Legitimität gefestigt, und im aktuellen Kontext, die öffentliche Meinung auf ein bestimmtes Wunschergebnis bezüglich der Situation in Nordafrika eingeschworen werden soll.
Deshalb spielt es auch keine Rolle ob die Muslimbrüder eigentlich bürgerlich- demokratisch sind oder nicht, sie sind schlichtweg nicht der Wunschkandidat bei der Neugestaltung der gesellschaftlichen Ordnung in der Region.

*Wird hier der Ausdrck “Bürgertum” nicht umgemünzt zum Platzhater “westlicher” (Leit-)Kultur?

Budrick · 27.02.2011 00:27 · #

“Wenn ich mir diese Aufzählung anschaue, sehe ich allerdings keinen Grund zu der Annahme, irgend eine besondere Bevölkerungsgruppe/Schicht/Klasse sei im besondern Maße prädestiniert einen Umsturz zu wagen, bzw. zu bremsen. Was es braucht sind verzweifelte und enttäuschte Menschen, deren Perspektive hinreichend trostlos ist. Das sich das Bürgertüm hierbei historisch gesehen irgendiwe hervorgetan haben mag liegt allenfalls in seinem Bildungsvorsprung.”

Es ist doch interessant wie so oft die Verkürzung und Einseitigkeit bestimmter Kommentare kritisiert werden um dann das eigene verkürzte und einseitige Argument in Stellung zu bringen. Wieso ist es unbegreiflich, dass ein progressives und gebildetes Bürgertum seit den franz. Revolutionen eine wichtige Rolle in der Gestaltung moderner politischer Systeme in Hinblick auf die Demokratie gespielt hat und gleichzeitig der Ausgang einer Revolution abhängig ist davon, welche Elite sich die Nöte der Menschen (die auf die Straße gehen, revoltieren usw) zunutze macht?
Das historische Beispiel für die wichtige Rolle einer Elite ist oben schon ausgeführt. Die “Hinterfragung” bleibt somit eine polemische.
Es geht nicht darum auf das “BÜrgertum” hin zu vereinseitigen. Wie schon öfters festgesetllt kann das auch eine regressive/reaktionäre Rolle spielen aber das ist abhängig von einer bestimmten historischen Konstellation. (siehe etwa Versuch von Restriktionsanalysen)
Das Proletariat ebenso wie die Bauern (siehe Bauernaufstände) trägt zu diversen Umstürzen selbstverständlich bei.

Grundlegend ist es aber so, dass die Revolutionen ja nicht vom Grundgedanken getragen werden jetzt eine Westminster Demokratie einzuführen. Natürlich gehts um sozioökonomische Unmittelbarkeiten und dass die Diktatoren (Tunesien ..) geflohen sind ist ja auch nicht nur dem Druck der Straße zu verdanken, sondern Machtverschiebungen innerhlab der herrschenden Clique geschuldet. Es geht um ein Spannungsverhältnis das aber eben immer von einer Elite im Ausgang sehr stark beeinflusst wird. Rs Lob aufs Bürgertum ist (wie auch schon dargestellt) auf die Effekte von Liberalisierung und Demokratisierung zurückzuführen und keine prinzipielle Affirmation. Und das die Revolutionen in Nordafrika im europäischen Sinne demokratisch und liberal enden ist weder ausgemacht noch eine Verpflichtung die eingefodert werden kann/sollte. Auch nicht Sache von Aussenseitern.
Aber die Elite kommt in den Blick wenns um die Gestaltung danach geht. Für das europäische demokratische politische System war das das liberale und progressive Bürgertum.

Die westliche Leitkulturdebatte führt zwar eher zu postkolonialen Verschwörungsphantasien wie sie ja eben die liebsten Diktatoren des Westens gerne für ihre Herrschaftslegitimation benutzen aber sonst nicht sehr weit. Abgesehen davon kann man antürlich diskutieren (und die FPÖ betreibt diese Diskussion sher gerne) das jeder in seinem Land nach seiner Fasson unglücklich werden soll. Aber es gäbe da schon ein paar universalisierbare Grundlagen des Zusammenlebens die aus säkularer, rechtststaatlicher, demokratischer Herrschaftslegitimiation ableitbar wären. Muss aber nicht.

Leichter wäre die gesamte Debatte, wenn gewisse theoretische/historische Grundlagen von Revolution bei den Teilnehmern vorhanden wären und nicht immer semantische Ebenen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stünden.

St.Max · 27.02.2011 12:13 · #

@Budrick: Den Original-Kommentar habe ich im Text verlinkt (auf den Titel klicken).
Ich glaube nicht, dass Rauscher hier eine eurozentrische Leitkulturdebatte führt.

@St.Max: Ja, wenn wir bürgerliche Revolutionen als Revolutionen verstehen, an dessen Ende eine progressive Elite aus dem Bürgertum “die Macht übernimmt” und das Gewaltmonopol des Staates wiederherstellt, sind wir d’accord.
Mich stört nur die Implikation, dass ein Bürgertum als einzige “Klasse” progressive Revolutionen vom Zaun brechen und aktiv durchführen kann. Diese Implikation sehe ich im Kommentar nach wie vor gegeben.
Was hast du im übrigen dagegen, dass diejenigen, die den Umsturz einleiten, das Gewaltmonopol des Staates wiederherstellen?
Ich folge da ganz Polybius:
“… und nachdem das Königtum so zur Tyrannis geworden war, wurde dies auch der Anfang seiens Unterganges, denn nun bildeten sich Verschwörungen gegen den Regenten, die nicht von den schlechtesten, sondern von den edelsten, hochgesinntesten und tapfersten Männern getragen waren, denn diese vermochten am wenigsten den Übermut und Frevel des Herrschers zu ertragen.” (Historien, VI.7)
Man kann freilich darüber streiten, ob er da nicht auch eine bürgerliche Revolution schildert…

Stephan mit ph · 04.03.2011 20:34 · #

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