Ich sitze in einer Bierstube auf der Strecke Köln – Mainz nach Düsseldorf und bestelle Sauerkraut. Leider gibt es keinen passenden Wein dazu. Nicht dass die Stube keinen Wein betreibt, derer gibts hier viele, aber es gibt nun mal keinen Wein der zum Sauerkraut wirklich passt. Wein und Sauerkraut veträgt sich nicht. Das gäbe eine bösartige Lauge im Magen. In meinem würde das sogar bestimmt zu einem Darmbruch führen. Das Sauerkraut schmeckt köstlich, großzügig in Essig eingelegt, gestreckt mit geriebenen Karotten – ästhetisch abwechslungsreif. Das lobe ich mir. Essen für Augen und Gaumen, fast perfekt. Gerne hätte ich mir dazu einen Vernatsch genehmigt – dennoch – trotz der Unverträglichkeit. Aber das ist nicht die Gegend. Das Rheinland verfügt zwar über andere, durchaus gute, mir aber fremde Weine, nur eben über keinen Vernatsch – und das, das ist entscheidend, denn andere Weine, die mag ich nicht. Also nehme ich den Hauswein. Weniger aus Flexibilität denn eher aus gesteigertem Entspannungsbedürfnis, einem Muss sozusagen. Vernatsch wäre dafür geradezu perkekt, zur Entspannung, aber das haben die hier nicht. Keinen Vernatsch, nur einen anderen mir unbekannten Hauswein wie gesagt. Vernatsch hat sein Vorkommnis nur südlich des Brenners. Woher dieser Wein kam, wollte ich erst gar nicht wissen und aus welcher verkrüppelten Rebsorte man ihn herausgepresst hatte, ich nahm einfach stumm einen Schluck zu mir. Dann tat mir der Magen weh. Just in dem Moment. Ich brauchte die Wirkung gar nicht erst abzuwarten. Ätzende Schmerzen, redlich unangenehm. Mit einem Vernatsch wäre das wahrscheinlich nicht passiert, es wäre mir dagegen besser gegangen, nehme ich an. Denn Vernatsch ist eine Sorte Wein, die zu jeder Situation passt, bestimmt auch zu Sauerkraut, weil er ein säurearmer Wein ist und nicht so schwefellastig. Wenn auch nicht geschmacklich zum Sauerkraut passend, so doch bestimmt nicht verderblich. Nicht so wie dieser hier.
Vernatsch ist lieblich, einladend, leicht bekömmlich und jungfäulich im Abgang. Es gibt auch Weine die ungleich frivoler sind wie Merlot zum Beispiel. Sie sind deshalb nicht minder gut, aber stimmungszentriert. Sie sind nur auf bestimmte Situationen und Gelage abgestimmt, entbeheren deshalb nicht einer gewissen Exklusivität. Man genießt sie vornehmlich auf irgendwelchen Seeufern, elitären Enklaven, nicht jeden Tag. Vernatsch dagegen passt sich der jeweiligen Stimmung des Trinkers an, ein geschmeidig schmiegsames Tröpfchen für jeden Tag. Vernatsch ist wie laue Jazzmusik, flockig und heiter. Oder wenn mans etwas klassischer will – eine Begleitmusik. Merlot ist ein Solist und steigt dementsprechend schnell zu Kopf, alles andere als unschuldig. Der Vernatsch kontert dieser Eigenart – nichts für den gutbetuchten Reigen pomadiger Sonderlinge. Er ist im Grunde genommen ein Bauernwein, ein Wein der armen und einfachen Leut. Aber in diesem Moment fiel mir ein, dass die Familie Strozzi, ja genau jene Stronzi, Abkömmline der Gioconda, der Mona Lisa, der Mona Lisa mit dem schlaganfälligen Lächeln, die Meister da Vinci einst Porträit gestanden hat, ebenfalls Vernaccio vertreiben. Das sei jetzt so Mode. Und indem sie sich auf Dante, Boccaccio und Petrarca berufen, die bereits vor über siebenhundert Jahren in den unvergleichlichen Genuss des Vernaccio gekommen waren, argumentieren sie ihre Wahl Vernatsch zu züchten. Von da Vinci und der Mona Lisa ist dergleichen nicht bekannt. Ein schlechtes Argument also.
Was mir da so einfiel, missfiel mir und wurde immer schlechter und schlechter. Als hätte ich Lagrein getrunken. Lagrein, ja Lagrein. Die Antipode zum Vernatsch bildet um regional zu bleiben – förmlich der Lagrein. Eine Südtiroler Unart. Lagrein ist schleppend und schwerfällig. Wie eine Wagner Oper. Sein Kater kann sich episch ins Unendliche ziehn. Er macht müde und krank. Und ich erinnere mich jedes Mal nachdem ich Lagrein geturnken hatte ein Fieber bekommen zu haben. Schon nach dem ersten Schluck spürt man den Wein in seiner Kehle eitern. Es ist ein sehr vulgärer Wein, nicht in einem prolligen Sinn verstanden, sondern tatsächlich in einem gehobenen, einem barocken Sinn des Wortes. Lagrein ist ideal für Menschen mit endogenen Perversionen, die gerne viel Gold um sich haben und auf Wagner stehen. Ich hatte schon mit solchen zu tun. Damals als ich mit einer Gesellschaft in Wagners Tristan war. Wir teilten eine Loge mit einem älteren Ehepaar, die besonders starke und scharfgestellte Operngläser hatten und nach Mottenpulver rochen. Zu allem Überfluss hatte die Frau einen feuchten Husten, sie spritzte jedesmal um sich herum mit der tröpfcheninfektion, als er hoch kam, die ganze Zeit tat sie dies. Ich hasste sie und ich hasste das Stück. Am liebsten hätte ich ihr eine geschmiert, aber – ich bin ja nicht so. Ich habe meine Agressionen weitgehend unter Kontrolle. Und wie es der Zufall so plante, hatte ich am kommenden Morgen, der ein Mittag war, ebenfalls eine Erkältung, begleitet von starkem Fieber und Ohrensausen, genau wie nach dem zweifelhaftem Genuss von Lagrein. Wagner Opern schwächen das Immunsystem und lassen es zu, dass ein juveniler Körper wie der meine von alten Damen zu einem gebrechlichen wird. Der Weltatem, den Hegel (ich hoffe es war Hegel) in Bezug auf den Schlussakt von Wagners Tristan nennt, hat offensichtlich einen Schnupfen und ist ein krankhaft virenlastiger. Man findet ihn in allen Opernhäusern und er macht krank. Selbst mich hat er krank gemacht. Das gemeinschaftliche Kopulieren mit der Gesellschaft in Anschluss an die Oper kann nicht der Grund dafür gewesen sein, hat aber bestimmt alles noch schlimmer gemacht.
Der Wirt, von dem ich das Sauerkraut serviert bekommen habe, hat einen wulstigen Körper, grobe Haut unregelmäßig starke Behaarung. Er steht mit einem Arm an den Zapfhahn gelehnt und hantiert etwas verzögert mit der Fernbedienung. Zwischen seinen Lippen klemmt ein Stummel Zigarette. Er kaut daran und kämpft mit einer schleimigen Bronchitis, ganz schön grotesk. Wie ein Hund in seinem Zwinger, geht er hinter den Tresen immer schön auf und ab, führt lebhaft Selbstgespräche. Manchmal unterbricht er seine Diskussionen mit Geschrei und jagt einen gewissen Michael zum Teufel hinab. Dabei bekommt man stets sein lückenhaftes Gebiss zu sehen, wann immer er schreit. Die Lücken nehmen einen die Angst und das ignorante Verhalten der anderen Gäste ist mit ansteckend. Vor allem das Päarchen neben mir. Die sind sind sehr mit sich selbst beschäftigt. Der Mangel an Jugend verbietet ihnen offensichtlich kindisch an sich rum zu fingern, aber man sieht ihnen an, dass sie ganz schön gierig sind und sich wollen. Ich starre zurück auf meinen Teller um nicht indiskret zu werden – auch wenn ich ihnen weiterhin gerne zusehen würde – und bemerke noch die halbe Portion darin. Das Sauerkraut sieht langsam aus wie gestückeltes Hirn, krustet bereits an den Rändern – mein Magen ist plombiert. Ich möchte erbrechen, das Klo ist gleich neben meinen Tisch und riecht nach Desinfektionsmitel. Ich will aufstehen, als ich bemerke, dass schon jemand vor mir Notdurft hat. Es muss das Päarchen gewesen sein, ihre Sachen liegen noch verteut auf der Sitzbank. Sie haben sich also zu einem Stelldichein eingefunden, wie verwgenen die Zwei. Bestimmt sind sie auf der Toilette und bemüht sich ins Koma zu ficken, während ihre Körper in dem Desinfektionsmittel noch stärker stinken als bloß in ihrem Schweiß. Und mir wird schlecht bei dem Gedanken auch wenn ich die zwei davor ganz hübsch fand, aber mein Drang Sauerkraut zu erbrechen ist plötzlich stärker als irgendein Primärtrieb, hinzu gesellt sich noch erschwerend der Drang zu kotieren. Oder besser gesagt er löst meinen Kotzreiz ab.
Im Fernsehen werden inzwischen Nachrichten angekündigt, mit diesen gräßlichen Akkorden, die so was wie Bedeutung vorspiegeln und sich gleichzeitig einprägen sollen. Jeder weiß was kommt, wenn die Musik ertönt. Und tatsächlich geht es gestern wie heute um die Komakranke. Schon wieder die Komakranke. Alles drehte sich um sie wie die Magensonde um ihr Innerstes. Theologen vermuten da allerdings noch anderes in ihr. Seit Monaten wird sie im Fernsehn als Reality show ausgestellt mithin das Tauziehen um den Stecker. Es ist ein Ehe – Sorgerechts und Erbschafsstreit zugleich der da hübsch vom Stapel läuft, direkt und live vor den Augen der treuen Zuseherschaft. Die Mutter hat das Bett ihrer Tochter direkt in das Wohnzimmer der Welt gestellt. Ein Stück Massenkultur für den Privatbedarf. Und man sieht sie wie sie Hänchenhaltemd mit ihrer komatösen Tochter und dem vitalen Schwiegersöhnchen in die Kamara mitleidheischend lächelt und auf Unterstützung im Publikum wartet. Die Frau Mama mit Tochter und Schwiegersöhnchen. Ein Idyll muss man unweigerlich gestehn, Familienfotoreif, wenn da nicht einer fehlte. Der Vater natürlich, der Versorger. Aber der fällt aus der Rolle, der will nämlich die Sonde entfernen lassen. Trotzdem ganz fürsorglich, er will seiner Tochter damit den Mediendruck ersparen, immerhin.
Mir steigt langsam das Fieber, aber ich habe inzwichen das Klo für mich und darf mich erleichtern. Es gibt Automatismen, denen kann man sich einfach nicht erwehren. […]