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Fin de siècle... und Zombies

von am 22.04.2014 12:14, Rubrik philosophisches-politisches

Zombies und allgemeiner die Apokalypse sind seit geraumer Zeit ein fixer Tropos der Popkultur. Egal ob im TV oder Kino, in Comics oder Literatur: alles wird von Zombies verschlungen, überall wird die Apokalypse eingeleitet. Dies alles ist freilich nichts anderes als ein Symptom des derzeitig vorherrschenden Fin de siècle.


In Alan Moores Meisterwerk Watchmen gibt es ein Zitat, das ich sehr interessant und tiefgründig finde und das mir immer wieder in den Sinn kommt. In einer Szene analysiert Ozymandias die Gesellschaft, die sich gerade am Abgrund eines nukleares Weltkrieges befindet, anhand der Medienbilder, die sie produziert:

First impressions: oiled muscleman with machine gun… cut to pastel bears, valentine hearts. Juxtaposition of wish fulfillment violence and infantile imagery, desire to regress, be free of responsibility… This all says “war”. We should buy accordingly.

Lassen wir einen Moment die eingeölten Muskelmänner mit Knarren beiseite (wir kommen noch darauf). Im prägnanten Halbsatz vom “desire to regress, be free of responsibility” bringt Moore wohl einen zentralen Drang des fin de siècle auf den Punkt.

In einer durch Industrialisierung und neue wissenschaftlichen Erkenntnisse zu schnell zu komplex werdenden modernen Welt sahen viele Menschen Zvilisation als dekadent – um nicht zu sagen als Hort der Degeneration – und propagierten eine Abkehr von Materialismus und Rationalismus. Spiritualität und einfache, emotionale Welterklärungen und Weltflucht waren wieder gefragt. Die Menschen wollten nicht mehr die Verantwortung für die scheinbar zu komplex gewordene Welt auf ihren Schultern tragen. Sie sehnten sich danach, die einfachen Funktionsmechanismen hinter der komplizierten Fassade zu erkennen oder die komplizierte Welt einfach in Flammen aufgehen zu lassen und durch eine einfachere zu ersetzen.

Die selbe Ursache dürfte wohl auch hinter der ungebrochenen Faszination liegen, die Zombies und ähnliche Apokalypsen-Szenarios nach wie vor auf die Popkultur ausüben. Die Apokalypsensucht hält aber nicht nur in der Fiktion vor. Gerade durch Finanzkrise und die Euro-, Wirtschafts- und politische Vertrauenskrise scheinen eine Sehnsucht nach einer “einfacheren Welt” zu nähren, die nach einfacheren Prinzipien funktioniert. Dazu muss man nicht Roland Düringer dabei zuschauen, wie er in TV-Diskussionen mit ekstatisch glitzernden Augen vom nahenden großen Knall fabuliert . Ein Blick ins – wie sollte es anders sein – Internet reicht.

Unter anderem befeuert durch Zombie-Apokalypsen-Szenarios in Medien und anderen Endzeit-Fantasien aller Coleur hat sich (nicht nur) im Internet eine ganze Kultur (mit angehängter Industrie) gebildet. Diese Survivalists (oder “Prepper”, von “prepared”) beschränken sich nicht darauf, fiktive Überlebensstragien bei einer Zombie-Apokalypse auszutauschen. Sie bereiten sich in aller Ernsthaftigkeit auf den Weltuntergang oder zumindest den Untergang der Zivilisation vor. Nach dem großen Knall (im Jargon SHTF-Situation, “Shit hits the fan”-Situation), wenn die “illegitime Regierung” (in unseren Breitengraden ist es die “EU-Diktatur”) endlich davongefegt wurde, sehen sie sich als die Überlebenden (die angekündigten eingeölten Muskelmänner mit den Knarren), die weiterbestehen, weil sie als einzige nicht von der Zivilisation degeneriert und eingelullt sind, und so in einem Hobbes’schen Naturzustand überleben können.

Das ist auch der große Unterschied etwa zu Katastrophen-Hypes des 70er Jahre. Auch damals boomte der Katastrophenfilm als Blockbuster-Genre. In den 70ern war das Narrativ in Mainstream-Medien jedoch zumeist ein kommunitaristisches. Die Katastrophe bringt die Menschen zusammen und zeigt ihnen, dass sie gemeinsam die Widrigkeiten meistern können. Das hat sich geändert. Heutige Endzeitfilme betonen Egoismus und das “aktive Überleben” anderer weit mehr als alles andere. Bestes Beispiel: Die Zombie-Hitserie “The Walking Dead” versucht zwar halbherzig, die Frage zu stellen, wie weit man im Sichern des eigenen Überlebens gehen kann, bevor man zum Monster wird. Letztlich bleibt diese Frage aber eher Lippenbekenntnis. Die Serie verfällt zusehens zu Survivalist-Porn, die die Barbarisierung ihrer Protagonisten im Dienste des geradezu fetischhaften Überlebens mit lüsternem Blick vorantreibt. Der existenzialistische Abgrund, den die Serie am Ende ihrer ersten Staffel aufreißt, wird im weiteren Verlauf stillschweigend mit “Überleben” als Zweck, der alle Mittel heiligt, zugeschüttet.

Endzeitszenarios werden nicht umsonst als “apokalyptisch” bezeichnet. Die Prepper erwarten sich von der SHTF-Situation eine Offenbarung im wahrsten Sinen des Wortes. Die Vorbereiteten werden bestehen, während die Dekadenten zugrunde gehen. Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Was sich beim vergangenen Fin de siècle noch in Sozialdarwinismus und Rassetheorien niederschlug, wird beim derzeitigen Weltuntergangslechzen zu Outdoor-Selbstversorger-Religion, die sich vermeintlich als die wahre Lehre erweist.


Kommentare

Das trifft die Sache so ziemlich auf den Punkt. The Walking Dead – inspiriert nicht nur von der Comic Vorlage der Nullerjahre, sondern auch maßgeblich von Cormack MacCarthys Apokalypsenroman “The Road” von 2006, in dem Vater und Sohn gemeinsam sich durch menschenfressende Bösewichte zur erlösenden Küste durchschlagen müssen – ist die Blaupause für das kollektive Phantasma, das jenen Teil unserer Gesellschaft plagt, der vor lauter Pluralität nicht mehr durchblickt. Anstatt sich an die neuen Herausforderung intellektuell anzupassen, wird diesen mit Ausrottungsszenarien begegnet. Das ist politisch nicht nur höchst fragwürdig und gefährlich, sondern, um es an die darwinistische Semantik anzulehnen, sogar kontraevolutionär.

Die Gewaltszenarien und Dartsellungslogiken mit denen TWD operiert, zeugen schon an sich von der unbewussten Aggression, die sich gegen die von Dir beschriebene, nicht bewältigende Reizüberflutung richtet und die die narzißtische Pseudo-Inegrität des eigenen Selbst fortwährend kränkt.

Schön, dass sich hier im Blog jemand des Themas angenommen hat.

Ana · 28.04.2014 00:45 · #

Wie sehr grad “The Walking Dead” bzw. Zombie-Szenarios in die “Kultur” der Doomsday-Prepper disseminiert ist, zeigt übrigens auch deren Jargon.
Dort werden die verweichlichten Zivilisationsmenschen, die ahnungslos und daher nicht überlebensfähig sind gerne als “Zombies” bezeichnet.

Stephan mit ph · 08.05.2014 23:00 · #

Ja, Doomesday-Prepper: Wenn das Survival Training zur Psychose wird :)

Ana · 10.05.2014 11:50 · #

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