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Herr Konstantin und das Gespenst

von am 23.10.2009 03:38, Rubrik literarisches

Neulich sitz’ ich so mit dem Herrn Konstantin im Wirtshaus, da schiebt er sein Achterl einige Zentimeter zur Seite, beugt sich leicht zu mir herüber und sagt bedeutungsschwanger: „Weißt, was mir neulich passiert ist?!“ Gespannt beug’ ich mich auch ein Stück nach vorn, nehme einen kurzen, nervösen Schluck aus meinem Glas (ohne meinen Blick von ihm zu nehmen) und schüttel’ dann neugierig den Kopf.


Neulich sitz’ ich so mit dem Herrn Konstantin im Wirtshaus, da schiebt er sein Achterl einige Zentimeter zur Seite, beugt sich leicht zu mir herüber und sagt bedeutungsschwanger: „Weißt, was mir neulich passiert ist?!“ Gespannt beug’ ich mich auch ein Stück nach vorn, nehme einen kurzen, nervösen Schluck aus meinem Glas (ohne meinen Blick von ihm zu nehmen) und schüttel’ dann neugierig den Kopf.
„Also vorige Woche, da is’ mir was passiert, sag ich dir“, hebt er an und nippt erst einmal an seinem Achterl. „Stell dir vor, ich geh’ so gemütlich am fortgeschrittenen Abend heim; da, die Neustiftgasse rauf. Eh voll fein, jetzt im Sommer. Da bemerk’ ich plötzlich, dass eine Katze um mich herumstreunt. Immer im Dunkeln von Schatten zu Schatten.“ Und während er „von Schatten zu Schatten“ sagt, macht er mit der linken Hand so eine Von-Schatten-zu-Schatten-Geste, Sie wissen schon. Jedenfalls sagt er dann weiter: „Ich bleib’ steh’n, weil du weißt ja, ich mag Katzen, und ich schau so in den Schatten. Und dann seh’ ich sogar zwei, drei Katzen, die da herumstreunen und miau’n. Sie kommen langsam auf mich zu und die eine schmiegt sich so an mein Bein. Ganz zutraulich. Ich kraul ihr ein bisserl das Fell und sie schnurrt ganz lieb. Dann seh’ ich, dass um mich herum lauter Katzen um die Wege sind. Stell dir das vor!“, sagt er und ich stell’s mir vor und bin ganz baff. „Stell dir das vor, die halbe Neustiftgasse…lauter Katzen… vom Phoenixhof bis rauf zur Dings-… wie heißt die… na, weißt eh, die eine Gasse da“, sagt er und gestikuliert dabei ein bisschen hilflos, aber ich weiß eh welche Gasse er meint und ich bin immer noch ganz baff. In der Neustiftgasse hab ich bisher noch nie Katzen gesehen. Ja, wo ich jetzt so drüber nachdenk’, hab ich in Wien generell eigentlich kaum einmal Katzen gesehen und schon gar nicht nachts.
„Ja und was haben’s g’macht, die Katzen?“, frag ich ganz gespannt. „Naja“, sagt er und schaut dabei drein, als hätt’ ich ihn gefragt, was denn ein Tischler wohl am Dienstag gemacht hat, „die sind halt so a bisserl rumg’streunt. Haben miaut und… sind halt rumg’laufen. Aber das Wichtige ist nicht, was sie gemacht haben“,sagt er, „sondern was dann passiert ist. Die sind dann nämlich alle plötzlich in der Mitte von der Straße zusammeng’laufen und dann die Neustiftgasse hoch… einfach so… wie auf Knopfdruck, wie man im Fernsehen oft sieht, weißt, so wie bei Fischschwärmen oder so.“

Die Vorstellung von zig Katzen die zuerst zu einem Schwarm zusammen- und dann die Neustiftgasse hochlaufen find’ ich dann schon ziemlich arg und ich hab dann gleich einen großen Schluck aus meinem Glas gemacht. „Ja und weiter?“, frag ich logischerweise total neugierig und darauf wartet er eh schon, weil der Herr Konstantin erzählt so Geschichten schon immer gern spannend und da wird die alltäglichste Banalität immer gleich zu einem richtigen Krimi.
„Dann bleibt das ganze Rudel plötzlich kurz stehen und dann huschen alle Katzen auf einmal in alle Richtungen auseinander und verschwinden in Schatten zwischen den Häusern. Grad so, als hätt’ sie was erschreckt. Dann war’s ganz still und dann haben die Katzen plötzlich ang’fangen zum heulen und zum jammern. Alle zugleich, von überall her. Das hat mir dann schon ein wenig Angst g’macht.“ Das kann ich gut nachvollziehen; wie er das so erzählt hat hab ich direkt auch ein wenig eine Gänsehaut bekommen. Da musst’ ich direkt noch mal einen schnellen Schluck aus meinem Glas nehmen.
„Ich bin dann schnell weitergegangen, weil das war dann schon ein bisserl unheimlich. Ich geh also die Neustiftgasse rauf und plötzlich seh’ ich ihn.“ Und beim letzten Wort weiten sich seine Augen. Ich trau mich gar nicht zu fragen, wen er geseh’n hat und ich hätte auch gar keine Zeit dazu weil der Herr Konstantin sofort weitererzählt, wie’s sonst eigentlich gar nicht typisch für ihn ist. Ich hab ja eh schon g’sagt, dass er bei spannenden Stellen immer gern so eine Pause macht. Aber jetzt scheint’s als will er das möglichst schnell erzähl’n.

„Vor einem Wirtshaus am Eck fast am Gürtel oben… ich wüsst’ gar nimmer welches das war… steht ein alter Mann an die Mauer gelehnt. Er hat mit dem Rücken zugedreht g’habt, deshalb konnt’ ich sein G’sicht nicht seh’n. Aber er hat schon ziemlich fertig g’wirkt. So einen abgetragenen dunkelbraun-grauen Anzug hat er ang’habt und ist so fast schon leicht in der Hocke gewesen… wie einer von diesen B’soffenen, weißt eh, die nicht mehr gescheit stehen können. Irgendwie würd’ ich am liebsten einen großen Bogen um ihn machen“, sagt der Herr Konstantin und ich weiß genau, was er meint. Weil seimer uns ehrlich… man mag mit diesen ganzen gescheiterten Existenzen nicht wirklich Kontakt haben. „Aber du kennst das eh“, sagt der Herr Konstantin, „man will dann doch nicht wirklich so einen offensichtlichen Bogen um die Leute machen, weil das ist dann auch ziemlich deppert und man hat dann gleich ein schlechtes Gewissen. Also versuch’ ich halt, irgendwie einen kleinen Bogen um ihn herum zu machen. So graue Haare hat er g’habt und einen Schnauzbart. Und grauslig nach Alk und Zigaretten hat er gestunken. Dann, wie ich nur einen Meter von ihm entfernt bin, hat er mich plötzlich angestarrt mit seinen Augen. Die waren ganz gelblich am Rand und haben so leicht in verschiedene Richtungen g’schaut.“ Und er deutet mit den Zeigefingern in leicht verschiedene Richtungen von seinen Augen weg. Und da kommt’s mir so vor, als ob der Herr Konstantin ein bisschen erschaudert, als er sich an die Augen erinnert. Er nimmt einen Schluck aus seinem Achterl. „Und dann“, sagt der Herr Konstantin in erschüttertem Tonfall, „hat er den Mund aufg’macht… und es hat fürchterlich g’stunken und er ruft mir ganz manisch ins G’sicht: ‚Der Hitler! Der Hitler muss wieder kommen!’“
Der Herr Konstantin wirkt ganz mitgenommen, wie er das erzählt. „Dann wollt’ er nach meinem Arm greifen; da bin ich schnell weitergegangen… fast gerannt bin ich! Mir ist ganz bang g’worden. Erst nach dreißig Metern hab’ ich mich umgedreht und da war er weg. Da war nur mehr der leere Lichtkegel von der Straßenlaterne, wo er vorher gestanden ist. Da hab ich richtig Angst bekommen und bin schnell nach Hause gerannt.“ Der Herr Konstantin umgreift sein Achterlglas ganz fest. „Und wie ich zu Hause war, da hab ich wieder klar denken können und da ist’s mir klar geworden und ich hab begriffen, wer das war…“ Und dann hat mir der Herr Konstantin gesagt, wen er da getroffen hat und ich hab richtig eine Gänsehaut gekriegt.

Auf dem Nachhauseweg habe ich an nichts anderes denken können als an die Geschichte vom Herrn Konstantin. „Ein Gespenst!“, hat er zu mir gesagt mit weit aufgerissenen Augen, „ein Gespenst hab ich da getroffen!“ Und dann hat er schnell den Rest von seinem Achterl ausgetrunken und das Geld auf den Tisch gelegt. „Wie aus einer anderen Zeit… ja… aus einer anderen Zeit in unsere ist es gekommen.“ Und während er sich seinen Mantel anzieht, sagt er ganz ernst zu mir: „Das war das Gespenst des Nazismus! Und weißt, was mir Angst macht?!“ Und dann hat er aufrichtig besorgt gesagt: „Ich weiß nicht, ob’s aus der Vergangenheit oder aus der Zukunft zu uns gekommen ist.“
Wenn ich so darüber nachdenk’, wird mir ganz kalt. Ich knöpfe meinen Mantel zu und stecke meine Hände in die Taschen. Aber es hilft nichts. Die Kälte frisst sich durch alle Lagen. Zitternd geh’ ich heim.


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