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Politik als Gangstersprache

von am 25.06.2009 08:38, Rubrik philosophisches-politisches

Die Persistenz der Vergangenheit und der politische Jargon der Gegenwart

Die Spuren der aktuellen Sprache in der Politik gehen weit zurück. Ich setze hier beim Naheliegendsten an. Alles was in diesem Text noch dargestellt wird, lässt sich in eine kurze Form bringen, wie Karl Kraus am Vorabend des Unheils erkannt hat. Er schreibt im Mai 1933: „Denn was hier geschah, ist wahrlich nach dem Plan geschehen, die Menschheit unter Beibehaltung einer Apparatur, die Schuld an ihrer Entartung trägt, auf den Zustand vor dem Sündenfall zurückzubringen und das Leben des Staats, der Wirtschaft, der kulturellen Übung auf die einfachste Formel: die der Vernichtung; und in das Wunder dieser Simplizität weiß sich der Zweifler einbezogen, der auch einmal ausspannen möchte.” (KKS 12: 23)


Die Menschheit auf einen Urzustand zurückzubringen wird im Sprachcode der Banden, die sich den Staat aneignen wollen, durch die Formel der Vernichtung bewerkstelligt. Die Vereinfachung der Sprache zum simplen Instrument der Macht und der Einbezug des kritischen Geistes in dieses bedenkliche Spiel ist das Thema dieser Auseinandersetzung mit der Sprache der Tradition. Ich postuliere die Existenz eines politischen Jargons, einer Gangstersprache, die das was sie bespricht, zwanghaft kollektiviert und damit zerstört.

Wenn man in Österreich von einer bestimmten sprachlichen Tradition spricht, kommt man ohne die Erwähnung bestimmter politischer Traditionen nicht aus. Die gesellschaftliche Entwicklungstendenz, die Österreich, zunächst den Austrofaschismus, dann, nur konsequent, den Nationalsozialismus beschert hat, ist bis heute Grundlage einer zutiefst Österreichischen, nicht etwa Deutschen, politischen Tradition.

Das Nachleben dieser Tradition in der 2. Republik kann nur als Großereignis für die Amnesieforschung eingestuft werden. Die kollektive Vergesslichkeit eines wehleidigen Volkes, das sich in Kärnten im nekrophilen Wahlkampf um einen toten Landesvater austobt, zeigt als Zwangskollektiv sein wahres Gesicht. Man beobachtet ein Kollektiv von unbewusst Politisierten, deren Begriffe einer politischen Sprache entstammen die nur die Vernichtung des politischen, oder rassischen Gegners kennt, von Demokratie und Humanismus aber immer geschwiegen hat.

Der Jargon österreichischer Tradition ergeht sich an banalen Wörtern und mischt im politischen Sinne, plebiszitäre und elitäre Elemente, so dass alle verstehen, aber auch alle sich auserwählt fühlen können. Der Jargon als sprachliches System ist paradox. Er desorganisiert und zerstückelt den Sprachsinn, erzeugt augenzwinkernde Übereinkunft zwischen den des Jargons mächtigen und Applaus bei denen, die nur intuitiv verstehen was gemeint ist. Der unmittelbare Sinn der Worte rückt in den Vordergrund, sie stehen einzeln und damit wertfrei, sie werden unschuldig neugeboren durch den Jargon. Die so verwendeten Worte überspringen Generationen, gelangen zurück zu einem Ursinn und erlangen so einen natürliche Existenz, die sie befreit von ihrer Verwendung in der Geschichte. Der Jargon kennt keine historische Belastung von Worten. Keinen Zusammenhang zwischen Lager und Tod. Die Funktionsweise des Jargons ermöglicht die Enttabuisierung der Sprache durch die Ausdehnung der politischen Kommunikation in Grauzonen. Der Jargon sorgt dafür, dass das, was er meint, ohne Rücksicht auf den Inhalt der Worte wahrgenommen und vor allem akzeptiert wird. So erzeugt er Wahrheit, die mit dem je einzigartigen Wort verbunden über der geschichtlichen Wahrheit zu stehen beansprucht und diese somit negiert.
TWA schreibt: „Der des Jargons Kundige braucht nicht zu sagen, was er denkt, nicht einmal recht es zu denken: das nimmt der Jargon ihm ab und entwertet den Gedanken.” (Adorno 2003: 418)
Die Sprache atomisiert die Gedanken und verschleiert die politische Gewalt die hinter den gebrauchten Worten steht, aber damit atomisiert sie auch die Gesellschaft, deren Kommunikationsmittel diese Sprache ist. Die sprachliche Gefolgschaft für den Führer (ob tot oder lebendig) entsteht aus dem Missverständnis das der Jargon erzeugt. Das es nämlich angemessen ist, anderen ihre Menschlichkeit in Abrede zu stellen, sie in Lager zu schicken oder pauschal zu kriminalisieren. Diesem menschlichen Fehlverhalten schiebt der Jargon den Odeur kritischen Aufbegehrens zu. Der Politiker, der in Form einer konformistischen Revolte, ausspricht, was der Chauvinismus des Kollektivs nur zu träumen wagt, liefert einen Problemlösungsansatz, der Rebellion und Wirksamkeit vortäuscht. Die Wahrheit dieser Sprache aber bleibt die beständige Drohung der Gewalt gegen Schwache und ihre mangelnde Lösungskompetenz.
Was der Jargon bisher erreicht hat, ist seine weitgehende Akzeptanz in der Bevölkerung, die auch an der Wahlurne ihr demokratisches Recht meist nur insofern wahrnimmt, als sie mit einer Mehrheit für den Jargon und damit die Abschaffung der Demokratie votiert.
Gerhard Scheit schreibt:

„Der neue Führer-Typus dieser atomisierten Volksgemeinschaft begreift sich nicht umsonst als Gegenpol zu Partei- und Staatsbürokratie. Er beansprucht ein unmittelbares Verhältnis zum ‚Volk’, zu den ‚Bürgern’, engagiert sich permanent für Volksbefragungen und andere plebiszitäre Formen der Politik und zeigt durch fortwährendes Grinsen und pointiertes Zuzwinkern, dass er mit dem Volk auf Du und Du steht.” (Scheit 2006: 105)

Die Medien bereiten den Boden für die Instrumentalisierung der Mittel direkter Demokratie gegen die parlamentarische Form der Demokratie. Die Warenform, das Infotainment, zerstört die kritische Vermittlungsfunktion der Medien und macht Politik zum Anhängsel des Reklamebetriebs. Die Strategie ist nicht eine Masse zu erzeugen deren gelenktes Handeln für die Ziele autoritärer Großprojekte eingespannt werden kann, sondern, die individualisierte Volksgemeinschaft in „Gestalt lauter kleiner, irrsinnig und irregulär agierender rassistischer Gruppen, Einzeltäter und Sympathisanten” (wie Scheit schreibt) zu verwandeln. Das Ziel des schlanken Staats und die Betonung der Korruption innerhalb der bürokratischen Apparate durch die Rechte und das „Aufdecken” von dieser durch sie, hat die „Integration der Desintegration” (Scheit 2006: 106) zum Ziel. Rassistische und antisemitische Projektionen sollen die neuen Stifter von Identität und Einheit werden. Behinderte, Obdachlose, Zuwanderer, vermehrt auch wieder Juden werden Opfer dieser Strategie der schleichenden Machtübernahme. Der gegenwärtige Rassismus partizipiert „stärker denn je an den antisemitischen Projektionsformen” (Scheit 2006: 114) die die abstrakte Seite der Warenproduktion zwanghaft personifizieren müssen. Im Ausländer- und Asylwahlkampf geschieht dies in Form des „Drogendealers” und des „organisierten Verbrechens”. Diese stellen die Archetypen rassistischer Projektion über die Phänomene der abstrakten Globalisierung dar. Die sozialen und wirtschaftlichen Vorgänge, die unverständlich bleiben und auf Basis nationaler Politik nicht gelöst werden können, werden medienwirksam als rassistische und antikosmopolitische Ausfälle inszeniert.
Das Kollektiv appelliert so an die destruktiven Tendenzen in den Individuen, die, auf diese Weise motiviert, mit Kraus gesprochen, „lieber tot als nicht Sklave” (KKS 18: 182) sind.
Der Jargon löscht die Tradition der Sprache aus, derer er sich bemächtigt, aber nur zum Schein, um sie als Mittel politischer Agitation gegen Kritik zu immunisieren. Wie das konkret funktioniert werde ich anhand des Dramas der Sprache zu demonstrieren versuchen:

Die Form und der Inhalt des Jargons als Drama der Sprache: Pietät

Das Wort Pietät ist, in der Nacht vom 11.Oktober des Jahres 2008, vom Jargon für sich reklamiert worden (Datum des tödlichen Unfalls von Jörg Haider Anm.d.R.). Sicherlich nicht zum ersten Mal, aber doch in einer höchst wirksamen Form. Pietät bedeutet Respekt und Ehrfurcht und schließt in der Antike das pflichtbewusste Benehmen gegenüber Mensch und Gott ein. Pietät wird den Toten gegenüber gefordert. Sie wird von deren Angehörigen oder Freunden erbeten und soll den Toten, da er sich nicht mehr verteidigen kann, schonen, bis die ärgste Trauer vergangen ist. Ohne den Jargon ist der Begriff also sprachlich sinnvoll und ermöglicht eine würdige Distanz zum Toten und Frieden für die Trauernden.
Am 11. Oktober hat sich der Jargon des Begriffs bemächtigt und hat ihm einen Inhalt verschafft, der nicht die Trauernden schützt, oder den Toten ehrt, sondern die Sprache die ihn benutzt beschädigt. Der Umstand des Todes sollte nicht besprochen werden, da er sich, angesichts des Lebens des Verunglückten im höchsten Masse peinlich und würdelos vollzogen hat. Der Umstand starker Alkoholisierung sollte ebenso wegrespektiert werden, wie die Tatsache, dass andere bei dem Unfall ebenso zu Schaden hätten kommen können.
Aber bei dem plumpen Versuch der Verschleierung bleibt das Drama der Sprache in diesem Fall nicht stehen. Die im Namen der Pietät durchgeführte Trauerarbeit wurde zu einem geschmacklosen Spektakel der Anbiederung des gesamten politischen Spektrums in Österreich, an den Mann, der dieses Land 1988 als Missgeburt bezeichnet hatte. Womit er in logischer Anwendung des Jargons mit einer Selbstverständlichkeit Hitler zitierte, die man in einem anderen Land politisch nicht toleriert hätte. [Hilters Aussage lautete bei eine Rede 1927 folgendermaßen: „Etwas östlich von uns ist ein so genannter deutscher Nachbar, Österreich, eine Missgeburt von sechs Millionen Menschen.” (Zit. nach: Scharsach/Kuch 2000)]
Die Zauberwirkung des Jargons glättet das Meer politischer Entrüstung und ermöglicht selbst einem eindeutig diffamierenden Begriff wie Missgeburt die Existenz in Form von konformistischer Rebellion getarnt als Herrschaftskritik.
Das Spektrum des Jargons ist vielfältig und kann hier nicht annähernd vollständig besprochen werden.

Die Grundlage ist das Bedrohungsvokabular, in dem, mittels beständiger Verwendung von Worten wie: Überschwemmung, Invasion, Überfremdung, ein ständiger Ausnahmezustand und Abwehrkampf suggeriert und als Krieg gegen alles Fremde, auch, betrieben wird.
Die kreative Umgestaltung des sicherlich problematischen Begriffs „Multikultur” als „völkischer Einheitsbrei”, der zum Verlust der Heimat führen muss, ist die zur Konsequenz gebrachte Hingabe an einen biologistischen Rassegedanken und insofern Teil einer Tradition die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht.

Die Denunziation von kritischen Künstlern als „Kunstmafia” ist die Konsequenz dieses Rassenwahns der sich im Jargon verstellen muss. Das Kulturgeplärr der 1930er Jahre wird eins zu eins repliziert und die eifernden Passagen aus „Mein Kampf”, die moderne Kunst in erster Linie als „jüdisch”, als „Unrat” und „Schamlosigkeit” bezeichnen, finden sich bis auf ersteres in aller Jargon-Munde. Die „linke Kulturmafia” ersetzt die Juden. Wobei man sich hier auch aktuell um infame Drohungen nicht bitten lässt. Etwa wenn Uwe Scheuch den Kabarettisten Sterman und Grisseman einen „Urlaub auf der Saualm in der Sonderanstalt für Asylwerber” (Der Standard 17.11. 2008, S.6 Kärntner Volksseele verletzt Elisabeth Steiner interviewt Uwe Scheuch) empfiehlt.
Der lockere Ton beim Gespräch über Lager und über die, die dorthin verbracht werden sollten, entstammt dem grundsätzlichen Einverständnis rechtsradikaler Politiker mit dem Völkermord im Allgemeinen und mit dem Holocaust im Besonderen. Zweiter wird zwar offiziell geleugnet und bestritten, inoffiziell aber als die große Kulturleistung des Nationalsozialismus gefeiert. Die Feststellung Scheuchs: „Wenn man die Kärntner Volksseele verletzt, dann hat die Kunst ihre Grenzen.” (ebda.) Ist in diesem Zusammenhang nur konsequent und unterstreicht das Bedürfnis nach der Regelung des gesamten Lebens durch ein Zwangskollektiv, das hier, nur zufällig, das Kärntner Volk ist. Das Kollektiv wird jedenfalls in diesem Fall hergestellt durch das Jargonwort Pietät. Über den Toten Schlechtes zu sagen bedeutet über das von ihm regierte Volk schlechtes zu sagen. Und mit dem Volk ist nicht zu spaßen. Wir haben es zu genüge in der Geschichte des 20. Jahrhunderts erfahren müssen. Diese Drohung ist auch in der modernen Demokratie äußerst wirksam, schon deshalb, weil sie latent Wahr ist und jederzeit wahrgemacht, also in die Tat umgesetzt werden kann. Sei es auch indirekt durch irreguläre Abteilungen der Rechtsradikalen: den Neonazi-Banden.
Die politische Ideologie, die den geplanten Mord im Lager, so bereitwillig in ihr Denken integriert, hat bezeichnenderweise auch für die eigene Familie keine Begriffe außerhalb der Unterwerfung.

Die Charakterisierung von Frauen, in vielen Aussagen des pietätvoll Betrauerten, als „dienend” und „verfügbar”, in der der Jargon sich schon selbst überholt, im direkten Bezug auf Hitlers „Mein Kampf”, lässt einen tiefen Blick in die Seele der Proponenten des Jargons werfen. Hitler schreibt: „Das Ziel der weiblichen Erziehung hat unverrückbar die kommende Mutter zu sein.” Und gibt die diesbezügliche Anwendung des Jargons für seine Nachfolger vor.
Der Verweis der Frauen an die Familie und des Mannes an den Beruf schafft einen Antagonismus der Geschlechter der in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft eine strenge Trennung der Geschlechter und Zurechnung der Frau zur Familie und des Mannes zur Kultur zur Folge hatte. Im Rahmen der Volksgemeinschaft verkommt die Einrichtung der Familie zu einer Erniedrigung beider Geschlechter die sich in einer an einem irrationalen Biologismus orientierenden Weise auf die Geschlechterrollen auswirkt. Verweiblichung zur Gebärmaschine einerseits. Vermännlichung zur Tötungsmaschine andererseits. Passivität und Masochismus einerseits. Aktivität und Sadismus andererseits. (Selbstverständlich gibt es vehemente Abweichungen von den hier beschriebenen Grundmustern. Für den Trend sind sie aber charakteristisch.)
Dies wird in den Worten des Toten eingefordert: Nichts weniger, als die Unterwerfung der Frau unter den Mann und des Mannes unter das Zwangskollektiv der Volksgemeinschaft. Pikanterweise wird neuerdings gerade diese Forderung vehement von konservativen und rechtsradikalen an der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich kritisiert. Die Gemeinsamkeiten überwiegen allerdings zwischen den Apologeten des Zwangskollektivs (ob im sogenannten Christentum oder im sogenannten Islam) und die Kritik ist in diesem Fall gut sichtbar reine Rhetorik und kaum Jargon. Aktuell schließt sich dem Chauvinismus auch der Kärntner Reichsverweser Dörfler an, wenn er meint Frauen seien zu sensibel für die Politik. (Der Standard 23. März 2009, Dörfler (BZÖ): Frauen zu sensibel für die Politik S.7)

Die Pietät als Jargonwort macht all das Bedeutungslos und lässt die Gewalt im Rahmen der kollektiven Trauer in den Hintergrund treten. Die Nützlichkeit des Jargons ist damit, aber auch in der Bestätigung durch die demokratischen Wahlen sehr hoch einzuschätzen.

Die Forderung nach Pietät hält die Meister des Jargons daher auch keineswegs ab, selbst pietätlos aufzutreten. Der ORF-Online meldet kurz vor der Kärntner Wahl: „BZÖ tritt als “Liste Jörg Haider”, oder Die Freiheitlichen in Kärnten – Liste Jörg Haider, BZÖ an und straft somit das Gerede von der Pietät Lügen. Der verstorbene Landeshauptmann hat bei der Landtagswahl am 1. März eine große Rolle gespielt, als Wurstelmann des Jargons, der in konsequenter Weise auch nach seinem Tod in seinem Sinne fortwirken kann. Das geht soweit, dass er posthum noch eine Gesangskarriere (im Namen der Pietät?) startet und von einigen der um ihn Trauernden ebenso pietätvoll wie pekuniär erfolgreich verschachert wird. (siehe dieses video )
Die Pietät, die der Jargon anmahnt, geht sogar so weit, dass wahre Wunder geschehen und sich Zeichen ereignen, die sicherlich nicht unwesentlich den Wahlausgang in Kärnten beeinflusst und somit das Gerede von Pietät direkt in politisches Körberlgeld umgewandelt haben. Vor der Wahl in Kärnten macht ein Anrainer Fotos von Gerald Aichbichler die den Pressesprecher von BZÖ-Landesrat Harald Dobernig (Finanzen, Wirtschaft und Kultur zuständig ist) zeigen, wie er teilnimmt an der: „wunderliche Kerzerlvermehrung von Klagenfurt” (wie das Profil schreibt). Geschehen, vor dem Landesregierungsgebäude: „Ein paar junge Männer entnahmen dem Kofferraum einige Kisten mit Kerzen, verteilten diese rasch vor dem Haider-Bild und entzündeten sie.” (Profil Nr.11, 9.3.2009: „Trauer aus der Box” (H.L.), S.28)
Kistenweise Kerzen zur Untermahlung der wahren Bedeutung von Pietät und der ehrlichen Trauer um einen toten Menschen. Der Jargon in Reinkultur.

Das Schlusswort zum Thema Pietät übergebe ich an große Staatsmänner, die, wie so viele große Staatsmänner, am Grab eines anderen Großen gestanden haben, und auch wenn er deren Feind war, doch pietätvoll genug gewesen sind, diese Feindschaft nicht über den Tod hinaus zu tragen. Die Staatsmänner waren: Truman, Churchill und Stalin, der Betrauerte Adolf Hitler. Florian Markl veröffentlichte dieses historische Dokument zum ersten Mal, kurz nach dem Tod des Landeshauptmanns und spätestens hier, wo der Wortlaut so derart mit dem aktuellen korrespondiert, muss die Perfidie des Jargons anhand des Wortes Pietät als erwiesen angesehen werden:

“Mit großer Bestürzung haben wir die Nachricht vom Freitod des deutschen Reichskanzlers Adolf Hitler zur Kenntnis genommen. Dies ist nicht der Moment für Freude oder Hohn. Obwohl Hitler oft polarisierend wirkte und wir in den letzten Jahren politisch oft nicht einer Meinung waren, müssen wir einen Moment innehalten angesichts des tragischen Todes dieses hochbegabten Politikers, der wie kein anderer die jüngste Geschichte nicht nur Deutschlands, sondern darüber hinaus auch Europas und der gesamten Welt maßgeblich beeinflusst hat. Selbst als politische Gegner Hitlers müssen wir anerkennen, dass er oftmals drängende Probleme angesprochen hat und seine Führungsstärke ihm die Bewunderung vieler Deutscher gesichert hat. Unsere Anteilnahme gilt in dieser Stunde den Hinterbliebenen sowie jenen Weggefährten Hitlers, die nunmehr vor der schwierigen Aufgabe stehen, das politische Erbe des Reichkanzlers anzutreten und in seinem Sinne für Deutschlands Zukunft zu arbeiten.”

( Florian Markl — Stellungnahme zum Tod Adolf Hitlers, die gemeinsam von Harry Truman, Winston Churchill und Josef Stalin am 1. Mai 1945 unterzeichnet wurde.)

Der Rat Karl Kraus’ „Abgründe dort sehen zu lernen, wo Gemeinplätze sind” (KKS 7: 373) ist mein Antrieb für diese Auseinandersetzung mit einer österreichischen Realität. Ich betrachte es als die Pflicht eines denkenden Menschen ständig das Herauslösen der Sprache aus den, wie Kraus es formuliert: „Banden des Journalismus” und „den Fängen der Politik” (ebda: 373) zu betreiben. Mit dem erklärten Ziel, die Gewalt der Vergangenheit, die uns immer noch gefangen hält, bloß zu legen und sich dadurch von ihr zu befreien.

Humor

Grundsätzlich ist Humor alles, was in der Lage ist bei Menschen Lachen hervorzubringen. Lachen über sich selbst, gerne aber auch über andere. Lachen ist ein Kulturphänomen und so an historisch und sozial spezifische personelle Konstellationen geknüpft die den jeweiligen Humor strukturieren. Als Kulturphänomen ist Humor (und damit geht er über den Adressatenkreis der Pietät gewissermaßen hinaus) aber auch eine Kunstform, die in Literatur und Theater eine wichtige Rolle spielt. Die Kunst genießt gewisse Freiheiten und sollte sich in ihnen auch nicht einschränken lassen. Die Freiheit der Kunst ist im Sinne Bachtins vollständig einzuhalten sofern der Mensch in der Kunst ist und, so er das ist, nicht im Leben. Aber diese Sonderstellung der Kunst, die sie vor allen anderen kulturellen Sphären für Kritik prädestiniert braucht, um wirksam zu sein, umso mehr Verantwortung. Bachtin schreibt: „Für das, was ich erlebt und in der Kunst verstanden habe, muß ich mich mit meinem Leben verantworten, damit nicht alles Erlebte und Verstandene darin wirkungslos bleibe.” (Grübel 1979: 93)
Die Konstellation zwischen Darsteller und Publikum bestimmt in einer verantwortlichen Auseinandersetzung den Humor. Lachen kann Selbsterkenntnis und damit Selbstkritik evozieren wobei der Humor dabei mit der „relativen Identität von Subjekt und Objekt” (Scheit 1995: 37) spielt und somit keine Zielrichtung einschlagen kann ohne den Humoristen selbst wieder ins Visier des Witzes zu bringen. [Der als Hanswurst etwa ein maßloser Trinker und Säufer, ein feiger Witzekönig ist. (Scheit 1995: 35/43)] Lachen das nur in eine Richtung zielt, also wie bei Bachtins Analyse des Lachens bei Rabelais (Bachtin 1995: 111f.), von unten nach oben erschallen soll, um kritisch zu sein, romantisiert das Komische und macht sich zum Werkzeug eines Interesses das im Lachen ein reines Mittel der Verächtlichmachung erblickt. Die Differenzierung des Witzes von der Lebenswelt in Form einer Parabel verkümmert dann zum sinnbildlichen Gleichnis und der Gleichmachung des Subjekts mit dem Objekt.
Es ist also die Person des Künstlers aufs engste und wirksamste mit seiner Kunst verbunden. Die Person des Politikers ist auf eine ähnlich Weise mit seinen Aussagen verbunden nur dass dieser sich über die Vision einer anderen Welt hinaus, direkter mit den Konsequenzen seiner Vision konfrontiert sieht. Politik wird umgesetzt sofern dies politisch möglich ist und falls niemand Einwände dagegen vorbringt. Die Grundfrage der Auseinandersetzung mit Humor wäre an dieser Stelle: wie viel Verantwortung trägt der Politiker, der seinen Humor unter Beweis stellen will? Ausgehend von der Schlagzeile: „Bei einer Pressekonferenz begrüßt Gerhard Dörfler den farbigen Sänger Roberto Blanco mit einem Witz auf Kosten von dessen Hautfarbe. Er selbst spricht von künstlicher Aufregung müsste man sich über diese Phänomen durchaus Gedanken machen.
Der Witz, ob man ihn als Geschmacklosigkeit bezeichnet, oder künstlerische Freiheit für ihn beansprucht, erhält seine Färbung mit dem Medium dass ihn verbreitet und ist damit abhängig von der Person die ihn erzählt. Ist diese Person ein Künstler kann der Witz auf verschiedenen Deutungsebenen eine Wirkung entfalten und sich so der Eindeutigkeit entziehen. Ist die Person ein Politiker reduzieren sich die möglichen Bedeutungsebenen auf die des politischen Programms oder der privaten (politischen) Meinung.
Die etwas unwitzige Reaktion des Landeshauptmanns: „Anscheinend habe ich den Witz schlecht erzählt weil ihn niemand verstanden hat.” (Profil Nr.4, 19.1. 2009, S.12) verrät die eigene, etwas dumpfe, Humorlosigkeit, die den Witzerzähler als Humoristen unglaubwürdig macht. Es kann also nicht sein, was nicht sein soll. Im Presse-Forum erfährt man, weshalb aber Pietät und Humor natürlich doch etwas gemeinsam haben. Beide können für den Jargon genutzt werden. Etwa in der Reaktion des Gastes Maria:

Scheinheiliges Gutmenschentum
bq. Wenn sich dieselben Leute über alle Geschmacklosigkeiten – wie man sie pietätlos nach dem Tod Haiders sehen,hören und lesen musste- in gleicher Weise aufregen würden bzw. diese nicht selbst in die Welt gesetzt hätten, wäre ihre Entrüstung als ehrlich anzusehen. So aber fällt ihre Entrüstung unter scheinheiliges Gutmenschentum mit seiner Wahlpropaganda die Diffamierung ihrer Konkurrenten zum Programm hat.

Hier vermischt der Jargon völlig heterogene Begriffe und Bedeutungen zu einer Melange das schlechten Geschmacks und der halbwissenden, halbfühlenden Eingeweihtheit in eine Sprache wie sie gar nicht so selten ist im www. Dies wäre zu vernachlässigen, wenn nicht genau dadurch die Grundstimmung zurechtgemacht wird, die dann zu Aussagen wie der folgenden führen und wo der Witz in Form des Jargons zur Drohung wird:
„Frage: Straffällig heißt in einem Rechtsstaat, dass jemand rechtskräftig verurteilt ist. Entscheidet jetzt der Landeshauptmann, wer die Guten und wer die Bösen sind? (Anm: Die Frage bezieht sich auf die Verfahrensweise Asylanten ohne Prozess zu internieren.)
Antwort: Ich habe mich immer an den Rechtsstaat gehalten. Es gibt aber auch ein Sicherheitsbedürfnis. Da werde ich mich immer vor die Kärntner Bevölkerung stellen und sicher nicht vor ein paar linken Gutmenschen in die Knie gehen.”
(„Mich wählen auch rote Bürgermeister”. Interview von Elisabeth Steiner mit Gerhard Dörfler, in Der Standard 25.2.09, 7)
Die Bezeichnung „linke Gutmenschen”, die im obigen Post den Feind so zielsicher identifiziert und, anhand des Vorwurfs der Pietätlosigkeit zum Synonym für Scheinheiligkeit und Lüge erklärt, macht die Einmahnung des Rechtsstaats im unteren Zusammenhang zu einer Verschwörung dunkler Mächte gegen die schutzsuchenden Bürger Kärntens. Neben den demokratisch legitimierten Institutionen soll ein „Sicherheitsbedürfnis” als völkisches Regulativ gegen imaginierte Volksfeinde etabliert werden. Wer im Sinne demokratischer Rechtsstaatlichkeit Bedenken diesbezüglich anmeldet wird mittels des Jargons zum Volksverräter und weiter zu Freiwild des Zwangskollektivs Volk erklärt.
Wie zynisch und brutal diese Funktion des Jargons sich auf die Realität auswirkt sieht man im folgenden Bericht des Standard: „Dörfler konzedierte, dass nicht gegen alle auf die Saualm gebrachten Männer Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft oder bei der Polizei vorlägen.” Er sagt: „Diese Männer sind nicht angezeigt, aber ein Bedrohungspotential.” Und weiter: „Wenn sich jemand von einem Asylwerber bedroht fühlt, dann habe ich dafür Sorge zu tragen, dass dieser auf die Saualm kommt.” (Asylbewerber als Bedrohung, in Der Standard 24.2.09, 6)

Das, durch den Jargon erzeugte Bedrohungsgefühl, das durch die rechtsextremen Parteien geschürt wird, wird zur Rechtfertigung der irregulären und sicherlich illegalen Rechtsbeugung durch diese. Das beständige einflüstern von Angstparolen wird zur „self-fullfilling prophecy”.
Der Witz der sich nur an die Eingeweihten richtet und ihnen ihren Sonderstatus bewusst machen soll erfüllt seinen Zweck.
Und so vermischen sich im Witz die eigenen Meinungen mit politischen Positionen, die so nicht vertretbar wären, in einem demokratischen Rechtsstaat, gäbe es diesen doch nur in einer resistenteren Form. Denn im Scherz wird von denen die es besser wissen müssten noch die selbstverständlichste Forderung nach Gleichberechtigung und Einhaltung demokratischer Regeln zu dem was für sie von den Vertretern des Jargon angedacht ist: zu einer Sünde gegen die imaginierte Volksgemeinschaft. Zum Beispiel bei der Frage nach der Angst Kritik zu üben an der Kärntner Landesregierung. Hier herrscht offenbar vor allem im zweisprachigen Süden Kärntens Angst vor Repression: Der Landeshauptmann spricht allerdings den Jargon in Reinkultur: „Selbstverständlich hat jeder Recht auf Kritik. Ob ich sie höre ist eine andere Frage. Wenn Kritik eine sinnlose Aufgeregtheit ist, ist sie unsinnig. Wenn berechtigt, werde ich darüber nachdenken … Es wird immer künstlich eine Sprach- und Ortstafeldiskussion geführt, die es im Alltagsleben nicht gibt. Das Leben funktioniert bei uns bestens, deshalb gibt es keinen Grund, diese Debatten zu führen. Bleiburg ist Bleiburg.” (Dörfler über „Negerwitz”: A bissl Spaß muss sein.” Standard 24./25. Jänner 2009, 7)

Schluss
Verantwortung kennt diese Politik nur für ihre eigene Sache. Sie ist dem Jargon verpflichtet und seinen Auswirkungen ergeben. Es sieht momentan so aus, wie Alexandra Föderl-Schmidt schreibt: „Österreich ist für Politiker ein wunderbares Land. Man kann alles sagen, es gibt keine Schamgrenzen – und vor allem keine Konsequenzen[:]” (Standard 23.1. 2009, 32)
Dieses Spiel mit den Grenzen des Sagbaren, die Koketterie mit der ständigen Drohung der Rechtlosigkeit gegen einzelne Individuen und kleine Gruppen hat ein System. Das System beginnt mit der Verharmlosung, endet aber nicht mit ihr, sondern legt sich wie ein zweites Gehäuse über alle Funktionen des Rechtsstaats, der sich aus seiner eigenen Schwäche heraus nicht adäquat zu wehren vermag. Grundmerkmal des Jargons ist hierzulande die Verharmlosung des Nationalsozialismus, wie Hans Rauscher feststellt: „Die extreme Rechte benutzt die Verharmlosung des Nationalsozialismus als Instrument der Selbst-Verharmlosung[:]” (“Kein Startvorsprung für die extreme Rechte (Standard 10.2. 2009, 27)
Dieses Spiel wird soweit getrieben, das über den Jargon die radikale Rechte als Mitte der Gesellschaft durchgeht und die Mitte bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach rechts ausschert. Wenn der aktuelle dritte Nationalratspräsident Martin Graf sagt, er halte nichts vom sogenannten „antifaschistischen Grundkonsens” (zit. nach: „Die Banalität des Bösen” Profil Nr.24, 8.6. 2009) der Republik, so kann man sich überlegen wie er zu den übrigen Grundlagen der demokratischen Republik steht. Wenn er anfügt dieser Grundkonsens sei eine späte Erfindung und nicht „identitätsstiftend” (ebda.), dann kann man das als unverhohlenes Eingeständnis des im Jargon bestens geschulten Agitators für die Barbarei werten, der im vollen Bewusstsein der Wahrheit das ausspricht was andere nur zu denken wagen, der augenzwinkernd seine Gesinnung zu erkennen gibt und anzeigt, dass es wieder soweit ist.

Literatur Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit, Frankfurt 2003. Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt 1995. Grübel, Rainer [Hg.]: Michael M. Bachtin. Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt 1979. KKS 7: Wagenknecht, Christian [Hg.]: Karl Kraus Schriften, Frankfurt 1987. KKS 12: Wagenknecht, Christian [Hg.]: Karl Kraus Schriften, Frankfurt 1989. KKS 18: Wagenknecht, Christian [Hg.]: Karl Kraus Schriften, Frankfurt, Frankfurt 1993. Scharsach, Hans-Henning/Kuch, Kurt: Haider. Schatten über Europa, Köln 2000. Scheit, Gerhard: Hanswurst und der Staat. Eine kleine Geschichte der Komik. Von Mozart bis Thomas Bernhard, Wien 1995. Scheit, Gerhard: Die Meister der Krise. Über den Zusammenhang von Vernichtung und Volkswohlstand, Freiburg 2006.


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