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von führern und lagern (ein entwurf)

von am 17.06.2009 10:49, Rubrik Feuilleton

eine deutsche reisegruppe hat keinen führer der sie durch eine stadt oder ein museum begleitet, sondern ganz angelsächsisch einen guide. die Saualm in Kärnten hingegen ist eindeutig als lager beschrieben, wohin straffällige asylanten verbracht werden. in der gegenüberstellung einerseits ein beispiel von bundesdeutscher verdrängung und österreichische nonchalance im kreativen nutzen des faschistischen jargons. eine gratwanderung und eine annährung an sprache.


es kann postuliert werden, dass wörter — ausnahmslos — insofern keine allgemeingültige und unverrückbare bedeutung außerhalb des kontexts in dem sie bewusst benutzt werden, haben. ohne Saussure zu bemühen kann man überspitzt sagen, dass wörter eigentlich keine eindeutige vergangenheit haben, und ihre bedeutung in der gegenwart auch nie wirklich geklärt ist. wörter wie führer oder lager sind in dieser logik nicht vorbelastet, sondern haben immer noch mehrere, kontextabhängige bedeutungen die von der duden-definition über den reiseleiter bis hin zum massenmörder und despoten im falle von führer — und von der biersorte über abstellkammer bis hin zur bereits angesprochenen saualm im kärnten oder einer hochtechnisierten tötungsanstalt in oberösterreich reichen. die jeweilige intendierte bedeutung des wortes wird zwischen sprecher und zuhörer/leser ausgehandelt. es verwundert also nicht, dass man auch in Österreich in den seltensten fällen von einem führer spricht wenn man jemanden meint, der eine führung durch ein museum macht. was man unter führer hierzulande versteht ist ein politischer lenker der sich weder um parlament noch gesetze kümmern muss (siehe die jüngste wertestudie ). naturgemäß darf man so was in einem demokratischen kontext nicht allzulaut sagen. gleichzeitig kann man aber unverfänglichere wörter wie zum beispiel lager — die durchaus mehrdeutig sind — in einem kontext von abschiebung und verbringung, “schutzhaft” und “aus den augen aus dem sinn” logik relativ unbehelligt benutzen. die polysemie des wortes wird in solchen fällen eher zu ungunsten des kritikers ausgelegt. man hätte das durchaus nicht so gemeint — und man solle endlich die vergangenheit der worte ruhen lassen. das wort volkstumspolitik und wie es zum beispiel die svp benutzt war bereits thema auf aerosol.cc.
es gibt menschen die für eine “zurückaneignung” aller stigmatisierten worte in der deutschen sprache eintreten. worte wie eben führer oder lager sollen wieder mit den ursprünglichen begrifflichkeiten von vor 1933 benutzt werden. die idee dahinter ist folgende: die eigenschaft der sprache, nicht fixiert und unverrückbar zu sein, sondern von ihren sprechern ummodelbar und veränderbar zu sein, soll genutzt werden um reaktionären sprechern die sprachlichen mittel zu entziehen mit denen sie ihre ideen unter die kleinen leute bringen. die idee ist reizvoll und utopisch zugleich. ist es möglich die nutzer des jargons unschädlich zu machen, indem man ihnen den jargon entzieht? verschwinden die ideen, wenn die sprache nicht mehr da ist, in der sich die ideen äußern? ist der jargon und sind sogenannte “vorbelastete” begriffe und wörter nicht ein zweischneidiges schwert für jeden populisten, da gewisse wörter in einem gewissen kontext einerseits als reize wirken und verschüttete bedürfnisse in der gesellschaft bedienen — aber andererseits als red flag und warnsignal für die andere hälfte der gesellschaft dienen? entschärfte man zum beispiel den nazi-jargon, würde sich aus dem nazi-sediment nicht ein neuer jargon entwickeln, ein auf die heutige zeit abgestimmter, womöglich viel effizienterer?


Kommentare

Der jargon lässt sich nicht dekonstruieren:
“Kompetenzzentrum für aufenthaltsbeendende Maßnahmen”
entspricht dem entwürdigenden Versuch einer unterintelligenten Politik das Wort Schubhaftzentrum seiner Konnotation zu entreissen. Hilft nix, hilft gar nix.

St.Max · 17.06.2009 12:02 · #

da stimme ich zu. die dekonstruktion (oder das umdeuten durch gebrauch von euphemismen) erweitert den jargon um eine satte dosis zynismus.

kann man aber sagen das schubhaftzentrum ist eng mit der idee von lagern verknüpft? die abschiebung im sinne beziehungsweise zum zweck der erreichung der “volksreinheit”? oder sind wir schon so weit, dass der jargon eigentlich überholt ist durch neue inhalte, also schon jenseits von projektionen (quasi die “asylanten” als substitut) sondern schon im grausligen selbstzweck?

ganz plakativ jetzt: hat der jargon seine stützräder schon abmontiert und radelt jetzt stolz alleine? ich glaube zum teil ist es schon so weit…

r. · 17.06.2009 12:39 · #

der jargon braucht eingeweihte. darüber hinaus fährt er bisweilen sogar freihändig rad.

St.Max · 17.06.2009 13:37 · #

Semantische Verschiebungen finden schon z.t. statt würde ich sagen. Strukturell bleibt die Sache aber dieselbe und dient weitgehend einer Imagekorrektur. Man möchte sich publikumsaffin zeigen, schön demokratisiert und distanziert sich von so krassen Ausdrücken wie Schubhaftgefängnis oder Abschiebungslager und ersetzt sie mit aseptisch keimfreien Wörtern. Das jedoch ist kein per se rechtspolitisches Phänomen, sondern entspricht perverserweise dem politisch korrektem Jargon unserer Zeit. Reizwörter wie “schwul”, “behindert” oder das lästige “man” werden uns sukzessive abtrainiert und aus dem öffentlichen Leben verbannt. Das spricht nicht gerade für einen realitätsnahen Umgang mit den Problemen des Umfelds. Sicherlich verkommt dadaurch diese Art langage zu einem einheitlichen Brei aus dem wir weder schlecht noch gut differenzieren können, aber wenn wenn wir es zulassen, dass bestimmte Reizwörter wieder aus der Versenkung gehoben werden, werden sich viele auch daran wieder stören und das ganze kippt wieder in den Euphemismus.

Ein bisschen verzwickt ist das schon.

Ana · 19.06.2009 12:44 · #

man müsste schon differenzieren zwischen den jargonwörtern, die ja allen klar sind und nur in der rhetorik als unverdächtig dargestellt werden und imagekorrekturen wie dem abschiebebeispiel:
im ersten fall will man den historischen kontext des wortes entproblematisieren und damit das augenzwinkernde einverständnis derer sichern, die ohnehin (unterbewusst) bescheid wissen

im zweiten fall (Kompetenzzentrum) denk ich handelt es sich ja eher um den versuch die ontologische dimension des wortes zu transformieren, also um den eher plumpen versuch der täuschung

insofern wars ein schlechtes beispiel …

St.Max · 19.06.2009 15:47 · #

ich glaube du hast mich nicht verstanden. lies dir den kommentar noch mal durch.

Ana · 19.06.2009 18:40 · #

ich glaube du verstehst nicht, dass ich nicht deinen kommentar sondern meinen eigenen kommentiert habe …

St.Max · 19.06.2009 20:12 · #

Also ich denke mal die Sache der bewussten semantischen Verschiebung ist immer so eine Sache. Sprache unterliegt immer einem gewissen Maß von Wandel. Man könnte fast von Sprachevolution reden: Zum einen gibt es sowas wie Mutation, d.h. eine ständige semantische Verschiebung durch den Vollzug, sprich: Wörter und deren Gebrauch ändern sich im Laufe der Zeit); zum anderen gibt es sowas wie Selektion, sprich: Wird ein Wort so verstanden, wie ich es verstanden haben will und wenn nein, gibt es ein adäquateres? Ersterer Prozess entzieht sich weitgehend unserem direkten Einfluss (es ist quasi der subsumierte Effekt aus zig Millionen individuellen Sprachgebräuchen (uuuh der Plural von Sprachgebrauch!), zweiterer geschieht vor allem bewusst in Bezug auf gesellschaftlichen Kontext. Letzteres wäre eben die hier diskutierte Euphemisierung. Das Ironische daran ist, dass die Wörter bzw. Begriffe, die heutzutage entweder aus politischen Hintergrundgedanken oder angestrebter politischer Korrektheit (der Begriff “political correctness” ist ja längst auch schon negativ konnotiert… dies ist allerdings ein Beispiel für “Sprachmutation”) euphemisiert oder substituiert werden, eigentlich auch Euphemismen sind oder zumindest zu ihrer Zeit waren. “Konzentrationslager” wurde ja zu allererst im Englischen eingeführt, weil man nicht “Gefangenenlager für politische Unliebsame” sagen wollte. In Nazideutschland wurde daraus der Euphemismus anfangs für “Lager für politische Häftlinge” und nachher “Lager für zu Ermordende”. Das selbe gilt auch z.B. für “körperlich/geistig behindert”, der ja als Euphemismus für “körperlich/geistig unterentwickelt” eingeführt wurde. Man beachte den qualitativen Unterschied in diesen beiden Beispielen für “Euphemisierung”: Erstere dient zur Vertuschung oder Kaschierung dessen, was es eigentlich bedeuten soll während letztere dazu dient, den Wert des Bezeichneten/Benannten nicht herabzusetzen.

Worauf ich eigentlich hinaus will: Das Beispiel, dass im Museum heute niemand mehr “Führer” ist, ist eher ein Ergebnis von dem, was ich mit Sprachmutation meine; die Nicht-Verwendung des Wortes ist nicht wirklich bewusst, sondern kommt eher daher, dass man sich individuell etwas unwohl fühlt, den Begriff in den Mund zu nehmen. Beim Abschiebelager (oder whatever) benutzt man den Euphemismus eher dazu, um gewisse (entlarvende) Konnotationen auszusparen.

Stephan mit ph · 20.06.2009 18:44 · #

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