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Sieh' dich vor, Scientology! Die Cybermasse ist da!

von am 07.01.2009 17:25, Rubrik philosophisches-politisches

Es herrscht Krieg. Das allein ist bedauerlicherweise nichts Neues, doch es geht hier um eine neue Art von Krieg: “Cyberkrieg”. Ich setze dies unter Anführungszeichen, weil Cyberkrieg hier nicht im Sinne von superfortschrittlich-computerisierter Um-die-Ecke-bring-Technologie gemeint ist, sondern im Sinne von Krieg im und durch das Informationsnetzwerk (widely known as Internet), und zwar geführt mehr oder weniger nach den Vorstellungen des (Post-)Cyberpunk.


Cyberpunk? Ja, Cyberpunk… jene ursprünglich literarische Stilrichtung des Science-fiction in den 80ern, die spätestens seit Matrix den Sprung in die Popkultur geschafft hat. Grundannahme des ursprünglichen Cyberpunk-Szenarios war die Vereinsamlung und Vereinzelung des Individuums in einer (damals) nah-zukünftigen Informationsgesellschaft. Nun, das Szenario mit dem vereinsamten Hacker, der irgendwo in der gesellschaftlichen Grauzone herumdriftet und doch das Bollwerk gegen die Korruption einer, von Großkonzernen gesteuerten, Welt ist, hat an Aktualität etwas eingebüßt (oder auch nicht). Das sogenannte Web 2.0, also die starke soziale Vernetzung durch individuelle Partizipation in der virtuellen Welt des Internet, hat gezeigt, dass zunehmende Technologisierung nicht zwangsweise Vereinsamung mit sich bringt. Im Gegenteil, sogar neue Arten sozialer Vernetzung können entstehen (was auch immer man von “Second Life” halten mag). Die literarische Konsequenz in der Science-ficiton war der sogenannte “Post-Cyberpunk”, der alles etwas positiver sieht: Informationstechnologie kann auch Gutes bewirken (gaaanz plump heruntergebrochen). Nun kommen wir zum eigentlichen Thema. Dieser Post-Cyberpunk-Vibe scheint sich auch im Internet langsam aber stetig zu manifestieren und zwar in zunehmendem Maße auch mit medienpolitischer Agenda. Aktuell haben wir die Situation, dass das Internet Scientology den Krieg erklärt hat. Klingt sehr seltsam und doch ist es so. Es ist der verheerendste Krieg, der heutzutage einem Staat oder einer Organisation erklärt werden kann: Medienkrieg.

Was ist der casus belli? Grund ist ein Scientology-Propagandavideo mit Tom Cruise (Scientologys Oberprediger), in dem dieser voller manischem Religionseifer erklärt wieso Scientologen so überlegen sind, die Welt einen können und überhaupt die einzigen sind, die bei einem Autounfall wirklich helfen können (sic!). Dieser Ausschnitt, Teil eines dreistündigen Videos, das eigentlich einzig für den internen Gebrauch bei Scientology gedacht war, wurde auf Youtube veröffentlicht. Jedoch drohte Scientology (wie so oft) mit Klagen und das Video verschwand von dort (wurde und wird aber weiterhin von der Internet-Nachrichtenseite Gawker gehostet) . Das rief “das Internet” auf den Plan. Der sogenannte “Internet activism” ist ein Phänomen, der sich immer mal wieder zeigt und in der Regel dann auftritt, wenn Teile der Internet-Comunity die Meinungs- und vor allem Informationsfreiheit oder – ironischerweise – Datenschutz gefährdet sehen (über die Ambilvalenz der sog. Hackerethik soll ein andermal gesprochen werden). Und just in dieses Wespennest hat Scientology mit der Aktion gegen die Verbreitung des besagten Videos wohl einmal zuviel gestochen. Unverzüglich bildeten sich diverse Gruppen und Grüppchen, Aktionen wurden gestartet und Initiativen ins Leben gerufen. Der Krieg wurde im Stile eines modernen Internet-Guerrillakriegs geführt. Die Gruppe, die sich selbst im Singular als “Anonymus” bezeichnet, verübte dabei zum einen Hackerangriffe auf die Webpräsenz von Scientology nebst anderer mehr oder weniger legaler Aktionen; zum anderen – und das ist das Erstaunliche – wurden einige Demonstrationen und Protestaktionen im “Reallife” auf die Beine gestellt. Das ist eine neue Ebene von online organisiertem politischen Aktivismus.
Das besondere an Anonymus ist, dass es im Grunde wie moderne Terrornetzwerke auf Basis von kleinen, voneinander unabhängigen Zellen funktioniert. Manche Zellen organisieren Proteste, manche bauen Informationsportale auf, manche vernetzen die Bestrebungen mehrerer anderer Zellen und manche treiben allerhand Schabernack mit Scientologys Webpräsenz. Das ganze Projekt baut dabei auf freier Partizipation auf: Jeder darf beitragen und jeder darf beitragen was und wie er will; keine rigide Parteiorganisation, keine Vereinsstrukturen, keine Hierarchien. Eine politische Bewegung, die ausschließlich aus Basis besteht. Natürlich handelt es sich hierbei um eine Basis, die der Schnellebigkeit der Zeiten und der Informationsgesellschaft entsprechend höchsten Fluktuationen unterliegt. Es ist eine politische Bewegung die ganz den Bedürfnissen des Web 2.0 entspricht. Sozialisation in einem gemeinsamen, medial vernetzten Bestreben. Sehr oft mag hierbei der Sozialisationsaspekt über das eigentliche politische Bestreben gehen, was sich eben in der großen Fluktiation in der Bewegung niederschlägt. Diese Fluktuation hat allerdings keinerlei Auswirkung auf die Bewegung, da diese als Masse auftritt. Nicht als Masse im Sinne einer Menge, sondern als Masse etwa im Sinne von Elias Canetti: Als beinahe organismushaftes Gebilde, dass eine einzelne Entität ist, weil der Einzelne in ihr die Individualität aufgibt… das gern zitierte Aufgehen in der Masse. Nichts anderes passiert hier. Nichts anderes impliziert die Selbstbetitelung als “Anonymus” (im Singular). Das Besondere daran ist, dass diese Masse diesmal vor allem im virtuellen Raum des Internets existiert. Der Massebildungsprozess wurde dabei 1:1 übernommen: Die Partizipienten geben ihre virtuelle Internetpersona auf und gehen virtuell auf in der Masse von Anonymus. Alles spielt sich virtuell ab, was einige interessante neue Aspekte hervorbringt. So ist die virutelle Masse potentiell unendlich groß, da ja jede Person prinzipiell mehrere virtuelle Personas haben kann (ein nicht zu unterschätzender Aspekt des Web 2.0). Dadurch kann so eine Masse eine unverhältnismäßig große Wirkung erreichen, da sie die, allen Internetphänomenen inhärente, Möglichkeit zu einer erstaunlichen Eigendynamik hat, insbesondere in einer Mediengesellschaft. Zumal “Project Chanology” – wie der Feldzug betitelt wird – ja bereits ein gutes Jahr anhält und kein Ende in Sicht ist, was für ein Internetphänomen eine durchaus beachtliche Lebenszeit ist. Die Wechselwirkung mit der Popkultur ist klar ersichtlich. So ist das politische Anarcho-Engagement durch die hollywoodmäßig aufbereitete Verfilmung von Alan Moores “V for Vendetta” inspiriert, wozu sich die Protestteilnehmer durch Guy-Fawkes-Masken bekennen. Und gerade durch diese Inspiration ist die Bewegung der popkulturellen Medienberichterstattung gut zugänglich, wie die Berichterstattung im Arte-Magazin “Tracks” zeigt.

Es bleibt abzuwarten, wie die ganze Sache weitergeht. Auf jeden Fall ist das Internet derzeit so spannend wie nie!


Kommentare

Endlich wieder ein Artikel auf aerosol! Und wirklich hochspannend die Sache. Basisdemokraten entdecken tatsächlich das Internet für sich;)

Ana · 08.01.2009 16:13 · #

Nö nö, das ist eben keine Basisdemokratie (Was’n Hippie-Scheiß!!), sondern eher anarchistisch-eigendynamisch organisierter politischer Widerstand oder – um einen weniger zerfledderten Begriff zu verwenden – politischer Aktivismus.

Stephan · 09.01.2009 01:51 · #

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