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Das Kino als Waffe

von am 27.04.2010 14:40, Rubrik philosophisches-politisches

(Fortsetzung von Weltkrieg mit neu verteilten Rollen )

Im 2. Weltkrieg wurde der Film erstmals als effizientes Mittel im Propagandakrieg entdeckt und in großem Stile eingesetzt. Das Kino wurde zur Waffe. In seinem Weltkriegsfilm Inglourious Basterds reflektiert Tarantino eben diesen Missbrauch. Er führt ihn vor, übt Kritik und zeigt eine Überwindung dieses Missbrauchs durch das Kino selbst. Das Kino wird im übertragenen wie wortwörtlichen Sinn zur Waffe gegen seinen Missbrauch durch die Politik.


Letztes Mal habe ich schon das Genre des Italowesterns angesprochen und dass Tarantino ihm seine Reverenz erweist, indem er klassische Sujets daraus in seinen Filmen verwendet. Ein solches Sujet, das auch in Inglourious Basterds auftaucht, ist das Massaker. Es ist nicht weniger als der ungehemmte Exzess der Gewalt und darin ihre ultimative Übersteigerung und Zuspitzung. Die Gewalt wird um der Gewalt Willen ausgeübt. Ein Massaker im Italowestern zeichnet sich durch eines oder mehrere der folgenden Kennzeichen aus: Ausgeliefertsein der Opfer; Akkumulation an Opfern; exzessiver Charakter der Gewaltanwendung; Genuss des Täters am Vollzug. In der barocken Welt des Italowesterns wird das Massaker für gewöhnlich vom Antagonisten ausgeführt, im Kontrast zur sparsam eingesetzten, pragmatisch motivierten Gewalt des Protagonisten. In Inglourious Basterds gibt es vier Stellen, die zumindest eines der Merkmale aufweisen. Die Abfolge der jeweiligen Situationen wirft eine sehr interessante Reflexion fiktiver medialer Gewalt auf.
Die erste Stelle ist das Massaker an Shosannas Familie. Das zentrale Merkmal ist das Ausgeliefertsein der Familie. Ausgeliefert ist sie nicht nur der Gewalt der Soldaten, sondern auch der Verschwörung hin zur Gewalt durch Landa, der mit dem Bauern explizit in einer Sprache spricht, die die Familie nicht versteht und somit deren Ermordung in ihrer unmittelbaren Hörweite in die Wege leitet, ohne dass sie etwas davon mitbekommen könnte. In Tarantinos Filmen bedeutet das Beherrschen einer Sprache immer Macht, was Landa zur mächtigsten Figur im Film macht.
Die zweite Stelle ist die Stelle, in der die Basterds einen gefangenen deutschen Soldaten totschlagen. Auch hier ist das Opfer hilflos ausgeliefert. Was bei dieser Szene noch hinzukommt, ist das Publikum in Form der anderen Basterds. Diese genießen die exzessive Gewaltanwendung ihres Kameraden, die Gewalt erhält einen ästhetischen Wert, wird zum Konsumgut. Hier wird allerdings noch (innerhalb der Wirklichkeit des Films) reale Gewalt konsumiert.
Die dritte Stelle ist diejenige, in der das Nazi-Publikum sich im Kino den Propagandafilm Stolz der Nation anschaut. Darin erschießt der Schütze Zoller, der sich selbst spielt, von einem Turm herab unzählige amerikanische Soldaten. Ein Massaker ist dies durch die Akkumulation von Opfern sowie deren Ausgeliefertsein. Auch hier gibt es Publikum, nämlich das Kinopublikum bestehend aus Nazigrößen. Auch für sie hat die Gewalt – hier allerdings fiktive mediale Gewalt – ästhetischen Wert. Der Film dient ihnen darüber hinaus als Projektionsfläche für Patriotismus. Der Propagandafilm im Film ist wohl die deutlichste Absage an Kriegsfilme wie Saving Private Ryan. Stolz der Nation über­nimmt viele Merkmale der Ästhetik von Saving Private Ryan in Sachen Schnittechnik und Inszenierung, die ihn stark von der Ästhetik von Inglourious Basterds abheben. Das vom Schützen Zoller in den Boden geritzte Hakenkreuz ist eine direkte Analogie zur Schlussszene von Saving Private Ryan, wo vom Gesicht eines der Protagonisten direkt zu einer flatternden US-Flagge übergeblendet wird. Die Intention Tarantinos ist klar: Kriegsfilme mit patriotischem Inhalt sind stets Propaganda und strukturell daher immer dasselbe.
Die vierte Stelle ist schließlich die Szene gegen Ende des Films, in der die beiden Basterds von der Loge herab ins das panisch flüchtende Nazi-Publikum schießen. Auch hier ist wieder das Ausgeliefertsein der Opfer das zentrale Erkennungsmerkmal. Des Weiteren weist auch der exzessive Charakter der Gewaltanwendung die Tat als Massaker aus. Was bei diesem vierten und letzten Massaker im Film besonders ist, ist dass es in der Inszenierung weitgehend dem des Propagandafilms entspricht. Die Kameraeinstellungen in denen die beiden Basterds gezeigt werden, entsprechen denjenigen auf Zoller im Propagandafilm Stolz der Nation. Dies schafft eine skurrile Situation: Das reale Kinopublikum findet sich de facto in der Situation des Nazi-Publikums im Film wieder. Wir haben zwei Möglichkeiten, uns zu der Gewaltdarstellung auf der Leinwand zu verhalten:
Wir können die Taten der Basterds auf der Leinwand (immerhin die Massakrierung Hitlers und Goebbels’ sowie der Nazi-Führungselite) bejubeln und uns an dem Spektakel ergötzen. Damit nutzen wir die fiktive mediale Gewaltdarstellung und damit den Film als Projektionsfläche für politische Überzeugungen. Wir machen den Film zum Propagandafilm.
Andererseits können wir das Massaker wegen der vorgeführten Rechtfertigungsmechanismen als strukturell bedenklich erkennen. Strukturell bedenklich deshalb, weil die Rechtfertigungen für die fiktive mediale Gewalt als Rechtfertigungen für reale Gewalt angesehen und bei Propagandafilmen auch gezielt so intendiert werden.
Tarantino will hier folgendes zeigen: Fiktive mediale Gewalt ist per se weder abstumpfend noch moralisch bedenklich; über ihren ästhetischen bzw. künstlerischen Wert lässt sich freilich streiten. Bedenklich wird sie erst dann, wenn sie reale Gewalt rechtfertigen soll; etwa durch Rechtfertigungsschemata, die Wahrheits- und Wirklichkeitsanspruch erheben, d.h. die als auf die reale Welt übertragbar präsentiert werden. Wichtig ist hier auch die Unterscheidung zwischen allgemeiner Rechtfertigung der Basterds („es ist allgemein gut, wenn jemand Deutsche tötet“) und der konkreten Rechtfertigung Shosannas („es ist gut, dass ich Deutsche töte, die direkt oder indirekt mir Leid zugefügt haben“). Ersteres erhebt Anspruch auf allgemeine und daher auch reale Anwendbarkeit. Letzteres hingegen bezieht sich auf eine konkrete fitkive Situation. Die Rechtfertigung für die fiktive mediale Gewalt erhebt keinen realen moralischen Anspruch, sondern ist als Sujet Teil der Dramaturgie. Betrachtet man Shosannas Gewaltanwendung, so ist diese wie die ganze Dramaturgie ihres Handlungsstrangs kurios: Sie sperrt die Nazi-Führungselite in einem Kino ein und verbrennt dieses mithilfe von Filmrollen als Brandbeschleuniger. Eine Form der Gewaltanwendung, die kaum auf die reale Welt übertragbar ist. Die Form der Gewalt, die die Basterds ausüben, ist hingegen sehr gewöhnlich und in der Realität ohne weiteres reproduzierbar.
Tarantino tritt gegen einen Missbrauch des Kinos bzw. des Mediums Film für politische Zwecke auf. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde der Film im Propagandakrieg eingesetzt. Das Kino wurde zur Waffe. Dies stellt für Tarantino eine Degradierung des Kinos dar, die dessen Fähigkeit, Kultur und Gemeinschaft zu stiften, pervertiert. Er zeigt die andere Seite des Kinos: Die Liebe und Verehrung für das Kino im allgemeinen und das deutsche im speziellen stiftet eine Gemeinsamkeit zwischen dem Schützen Zoller, Shosanna und dem Filmexperten unter den Basterds Lt. Hicox, also Vertretern aller drei Parteien im Film. Das bewundernswerte Kino lässt Tarantino uns am Publikum erkennen. Der Propagandafilm Stolz der Nation gefällt lediglich dem Nazi-Publikum, dem es nicht um den Film geht, sondern lediglich um dessen Botschaft. Der Schütze Zoller ist von der Glorifizierung seiner Heldentat sichtlich abgestoßen und bekennt durchaus ernsthaft, nicht stolz auf seine dargestellten Taten zu sein. Hier thematisiert Tarantino die außerordentliche Fähigkeit des Mediums Film zur Sensibilisierung. Nachdem Shosanna Zoller niederschießt sieht sie Zoller auf der Leinwand in einer Szene ängstlich zusammengekauert. Mit der Menschlichkeit Zollers konfrontiert, empfindet sie Reue für ihre Tat und Mitleid für den Angeschossenen.
Tarantino drehte mit Inglourious Basterds ein Liebesbekenntnis zum Film und darüber, wie das Kino zur Waffe wird; nicht nur für Entmenschlichung und Rechtfertigung für Gewalt, sondern auch gegen diese. Die Macht, die Tarantino dem Kino beimisst, führt er uns in Inglourious Basterds vor Augen, indem er das Kino wirklich (und wortwörtlich) zur Waffe gegen seinen Missbrauch macht:
Im Kino vernichtet er die Nazis im Kino durch das Kino.


Kommentare

Ein guter Film sollte ja die Gewalt nicht nur registrieren, sondern sie auch enthüllen. Du hast schön aufgezeigt wie das diesem Film doch einigermaßen gelingt.

St. Max · 30.04.2010 11:11 · #

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