Inglourious Basterds ist eine Hommage an die Action-Kriegsfilme der 60er und 70er, als deren Archetyp Das Dreckige Dutzend von 1967 angesehen werden kann. Der Weltkrieg ist hier nicht das behandelte Thema, sondern eher Kulisse und, salopp gesagt, Abenteuerspielplatz. Die Protagonisten sind in der Regel moralisch ambivalente Antihelden ohne patriotische Neigungen und mit eigennützigen oder fragwürdigen Motiven. Diese Art von Filmen steht im krassen Gegensatz zu glorifizierenden Kriegsfilmen im Stile eines Der Soldat James Ryan, die mit Soldatenromantik und Zurschaustellung plakativer Opferbereitschaft als Projektionsfläche für Patriotismus dienen sollen.
Tarantino zeigt seine Vorliebe für erstere und seine Abneigung gegen letztere vor allem in der Konzeption seinen Figuren: Die Rollen werden neu verteilt. Es sind die deutschen Soldaten, die nun Folterungen, Verstümmelungen und allerlei anderen Brutalitäten ausgesetzt sind und es sind amerikanische bzw. jüdische Soldaten, die diese durchführen. Es gibt im Film darüber hinaus keine Juden in der Opferrolle außer die Mitglieder von Shosannas Familie, welche jedoch nie sichtbar und daher innerhalb der Wirklichkeit des Films mehr Element von Shosannas Hintergrundgeschichte als tatsächliche Figuren sind. Shosanna sprengt durch ihre Flucht die Opferrolle und auch im weiteren Verlauf der Handlung ist sie nicht jüdisches Opfer, sondern aktive Widerstandskämpferin; die jüdische Herkunft hat im Grunde keinerlei Relevanz für den weiteren Handlungsverlauf. Ihre Rache emanzipiert sie von der Opferrolle. Auch die Figur des Schützen Zoller widersetzt sich üblichen Rollenbildern, er ist nach dem typischen Protagonisten eines glorifizierenden Kriegsfilms konzipiert: ein einfacher, unbescholtener und auf den ersten Blick durchaus sympathischer Soldat, der durch persönlichen Heldenmut eine Überzahl an Feinden besiegt. Darüber hinaus wird er zur Hauptfigur eines Films, der auf seiner Geschichte basiert; ein klarer Seitenhieb auf patriotische Kriegsfilme based on real events.
Ähnlich verhält es sich mit den SS-Offizieren: Sie sind es, die im Film durchaus reflektiert Struktur und Geschichte des Rassismus analysieren. Die vielschichtigste Figur im Film ist allerdings die des Hans Landa. Tarantino zeichnet ihn charmant, polyglott und intelligent, aber auch als opportunistischen Sadist. Er selbst bezeichnet sich einmal als Detektiv und genau das ist er: ein Sherlock Holmes in SS-Uniform. Neben seinem detektivischen Vorgehen ist es vor allem die ikonenhafte Meerschaumpfeife, die ihn als Hommage ausweist. In den Sherlock-Holmes-Filmen der 40er Jahre jagte der Titelheld neben Verbrechern vor allem auch Nazispione, nichts anderes macht Landa den Film über auf Seiten der Nazis. Gleichzeitig verkörpert er perfekt des Typus des Schreibtischtäters, der sein Handeln von den Konsequenzen abkoppeln will, indem er behauptet: „ich finde Menschen, manche davon sind Juden“ – so funktioniert Verdrängung.
Derartige Rechtfertigungsschemata für Gewalt sind in Inglourious Basterds ein zentrales Thema. „Die Nazis haben keine Menschlichkeit“, sagt Aldo Rayne in einer Szene zu seinen Männern und meint damit: Also werden wir ihnen gegenüber auch keine zeigen! Dies folgt dem typischen Schema der Gewaltrechtfertigung, demzufolge dem Zivilisierten die Zivilität und dem Barbaren die Barbarei gebührt. Dies ist eine Rechtfertigung, für die sich in der Geschichte unzählige Beispiele finden lassen. Die Nazis sind klar als die Barbaren ausgemacht (und wer wird es bestreiten). Doch dies ist nicht der einzige Zusammenhang, in dem die Kategorie des Barbaren auftaucht. Das Ziel der Basterds ist psychologische Kriegsführung: durch Gräueltaten Angst und Schrecken unter den deutschen Soldaten verbreiten. Rayne legt besonderen Wert darauf, dass der überwiegende Teil seiner Truppe aus Juden besteht und die Deutschen dies auch wissen. Sie sollen Angst vor den Juden und deren Rache haben. Die Juden sind für die Nazis die Barbaren im Inneren, die es auszumerzen gilt. Genau dieses Prinzip nutzen die Basterds: Sie erfüllen sozusagen konsequent diese Rolle des Barbaren im Inneren und nutzen dadurch die Angst vor dem, die Gesellschaft unterwandernden und zersetzenden Barbaren für sich. Dieses Prinzip wird noch deutlicher anhand der Ausführungen Raynes, nach denen die Basterds eine Guerillastrategie der Apachen während des Aufstands des Geronimo verfolgen. Nehmen nun die Juden die Rolle der Apachen ein, so fällt die der Nazis konsequenterweise an die USA. Spätestens diese doch recht subversive Auseinandersetzung mit der rassistischen Vergangenheit der USA (die nicht die einzige im Film ist) macht Inglourious Basterds als Projektionsfläche für US-Patriotismus gänzlich ungeeignet.
Es ergibt sich eine interessante Beobachtung: Die Rechtfertigung für die Gewalt gegenüber den Deutschen ist deren Barbarei. Dieser Barbarenstatus ist in den barbarischen Taten der Deutschen begründet. Die Deutschen wiederum rechtfertigen ihre Gräueltaten mit dem Barbarenstatus ihrer Opfer, der Juden. Deren Barbarenstatus bei den Deutschen dient Rayne und den Basterds als methodische Grundlage für ihre barbarischen Handlungen. Die Struktur der Rechtfertigung wird also zu keiner Zeit in Frage gestellt oder gar durchbrochen. Genau das will Tarantino aufzeigen. Dabei geht es ihm nicht darum, Nazideutschland mit den Alliierten gleichzusetzen, zu verharmlosen oder gar als eigentliche Opfer hinzustellen. In dieser Hinsicht bezieht die Geschichte um Shosanna klar Stellung: ihre Rache an diesem wird als rechtschaffen und bewundernswert dargestellt. Die persönliche Rache ist ein sehr beliebtes Sujet nicht zuletzt des Italowesterns, eines Genres, dem Tarantino vor allem im Handlungsstrang um Shosanna seine Reverenz erweist. Sie ist eine persönliche Angelegenheit und wird an konkreten Übeltätern für ein konkretes Vergehen vollzogen, womit die Rechnung beglichen ist. Auch die Basterds nehmen für sich in Anspruch, auf einem Rachefeldzug zu sein, jedoch haben sie kein konkretes persönliches Unglück, für das sie Rache nehmen können. Die gerechte persönliche Rache tritt in Gegensatz zur Rechtfertigung von politischer Gewalt.
Fortsetzung folgt.
Nächstes Mal: “Das Kino als Waffe”