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Comic Anders

von am 01.09.2009 16:33, Rubrik

Animationsfilme und Comics ermöglichen eine neue Art der Erzählung – beziehungsweise der „Verbildlichung“ – von historischen Ereignissen die insbesondere für die psychische Aufarbeitung derselben Vorteile gegenüber dem Medium des klassischen Films und der Photographie oder realistischen Literatur birgt.


Insbesondere bei der Erzählung von historischen Ereignissen wie Krieg und Terror ermöglichen Comic und Animationsfilm mit der Zeichnung eine realitätsnahe – aber nicht wie der Film photographische und damit „reale“ – Darstellung von extrem gewalttätigen, schockierenden und verstörenden Inhalten. Das Primat des Bildes vor dem Wort postulierend ist die Zeichnung unmittelbarer und also wirksamer als die verbale Nacherzählung der Geschehnisse.
Die Schilderung von Ereignissen durch das Medium des Comics oder der Comiczeichnung bringt eine Verfremdung mit sich, die mit dem Schutzmechanismus des menschlichen Gehirns überlappt. Aus der Psychologie ist bekannt, dass Menschen die einer extrem belastenden und lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt waren oft so genannte dissoziative Phänomene entwickeln und sich vom Erlebten bewusst entfremden und distanzieren. Diese Derealisation und Depersonifikation lässt sich im Comic leicht und überzeugend nachstellen. Zahlreiche ästhetische Mittel der Comiczeichnung decken sich mit Beschreibungen von derealisierenden Personen, zum Beispiel erscheint derealisierenden Personen die Welt als schemenhaft, teilweise nur in einer Farbe gehalten, künstlich oder wie auf einer Bühne auf der Personen eine gekünstelte Rolle spielen. Fast willkürliche Verschiebungen von Perspektive, Zeit und Raum sind möglich. So können sich zum Beispiel einzelne Handelnde über Gesetze der Schwerkraft hinwegsetzen, Zeit kann im Bachtin‘schen Sinn, also je nach Geschehen oder Perspektive, gerafft oder verzögert verlaufen. Andererseits kann die Selbstwahrnehmung gesteigert sein, aber Teile oder das gesamte Selbst unwirklich, isoliert oder künstlich erscheinen.

Im Umkehrschluss also „funktioniert“ der Comic und der Animationsfilm als kollektiv (als mit jedem/jeder LeserIn/ZuschauerIn/Betrachter) erlebte Dissoziation. Der/Die ComiczeichnerIn oder AnimationsfilmregisseurIn dissoziiert quasi für den Betrachter und macht dem Betrachter durch die Entfremdung und „Entschärfung“ den Horror des Kriegs und den Schrecken des Terrors fassbar. So wird die Dissoziation zum Interpretationsinstrument. In klassischen Filmen hingegen ist der/die ZuschauerIn den ungefilterten und authentischen (oder vermeintlich authentischen) Bildern des Grauens ausgesetzt und tritt nach kurzer Schockstarre die Flucht aus dem Kino an, oft ohne sich mit dem Gesehenen auseinandersetzen zu wollen weil das Gesehene unterschwellig als tatsächlich real und erlebt empfunden wird, und also wie ein traumatisches Erlebnis verdrängt oder eben als zu unangenehm um es zu reflektieren empfunden wird. In anderen Worten überwiegt bei klassischen Filmen der Schock und das Ekel vor Krieg und Terror und verhindert eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt.

Weiters ermöglichen der Comic und der Animationsfilm ein höheres Maß an Intertextualität als der konventionelle Film. Im Comic oder im Animationsfilm können mehrere Ebenen gleichzeitig nebeneinander oder zueinander in Beziehung stehen: einerseits eine übersteigerte, surreale und „absichtlich“ entfremdende Comic-Ebene die unter Umständen ähnlich funktioniert wie der Brecht‘sche Verfremdungseffekt, eine realitätsnahe Ebene die den/die LeserIn oder ZuschauerIn fesselt oder einfängt, und eine dritte Ebene in der „reale“ – also photographische oder photographisch genaue – Bilder mit dem Comic oder der Animation montiert werden. Auch kann der Comic oder der Animationsfilm durch das Medium der Zeichnung leichter Bilder generieren, die im Betrachter Assoziationen mit anderen bekannten Bildern wecken. Durch Entfremdung und Verzerrung, Verkürzung oder Abstraktion beziehungsweise Reduktion einerseits, und Zitat oder Nachahmung und Nachstellung von bekannten Bildern andererseits können Comic und Animationsfilm – viel besser noch als konventioneller Film – Zusammenhänge aufzeigen und dem Dargestellten eine weitere Bedeutungsebene geben.
Auch sind im Comic und Animationsfilm Stilmittel des Films wie bewusstes Einsetzen von Schatten- und Lichteffekten, sowie Verwendung von Farben als Symbolen unmittelbarer einsetzbar.

Der Comic – beziehungsweise der Animationsfilm – umgeht die unmittelbare Brutalität und Grausamkeit – nicht durch Auslassung, sondern durch Transfer in eine andere Verarbeitungsebene – und ermöglicht so die direkte Auseinandersetzung von Seiten der LeserInnen/ZuseherInnen.


Kommentare

Was da wohl der Siegfried Kracauer dazu sagen würde?

St.Max · 01.09.2009 17:25 · #

vielleicht… “Die kleinen aerosols gehen ins Kino?”

(wir waren übrigens am überlegen ob wir in den neuen Tarantino gehen… der text bezieht sich übrigens auf “Waltz with Bashir” —)

r. · 01.09.2009 17:48 · #

Komisch anders und anders komisch. Ein erfreulicher Text zu unerfreulichen Sujets.

Ana · 03.09.2009 20:26 · #

Inglorious Basterds solltet ihr euch unbedingt angucken. Der beste weil einzig wirklich gute Tarantino seit Pulp Fiction.

Waltz With Bashir fand ich auch sehr gut und musste natürlich beim Lesen gleich an den Film denken.

Stephan mit ph · 04.09.2009 22:26 · #

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