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Der selige Adolf. Zwischenbilanz über einige Aspekte des Falschen in Österreich

von am 09.09.2009 09:38, Rubrik philosophisches-politisches


„… stärker ins Volkstümliche, damit sie die Niederlage ihres Lebens durch einen großen Sieg, den Sieg im zweiten Weltkrieg, krönen können, den dieses Volk im Singen und Jodeln gewonnen hat und zwar haben einfache Bauern, Arbeiter und Angestellte gewonnen, ihr Gesang ist insgesamt Waffenklang“
Elfriede Jelinek

Am 1. September 1939 überfielen Deutschland/Österreich ihren Nachbarn Polen und schlossen damit an ein Großprojekt von 1914 an, indem ebenfalls die obszöne Auslegung der Begriffe Grund und Anlass eine gewisse Rolle gespielt hat. Aktualität behalten historische Daten (wie dieses, das sich vergangenen Dienstag den 1. September zum 70. Mal jährte) aufgrund der beständigen Wiederholung und Bestätigung des Immer-Dummen von dem österreichische Verhältnisse nicht ganz absehen wollen.

I.
Politischer Anstand wäre geboten. Im Land der Berge befindet er sich seit Jahren auf Talfahrt.
Zum rechtsradikalen Grafen im Präsidentenamt des Parlaments fällt der konservativen Hälfte der Regierung nichts ein außer dem zynischen Appell an die Anständigkeit (Die Presse 8.August 2009) des FPÖ-Chefs Strache. Was den ÖVP-Generalsekretär bei dieser Aussage geritten hat, kann wohl nur ein gelernter Österreicher wirklich verstehen. Diese kokette Antwort auf alle Fragen der politischen Anbiederung an Rechtsextreme ist für Christlichsoziale immer schnell auf der Zunge, weil sie sich ja selbst boykottieren würden, wenn sie national gesinnten Kollegen Einhalt gebieten würden. Die eigene Klientel wächst ja auf dem Kompost, den diese aus den tiefsten Senken der Republik heraufbefördern. Ein Mulch aus Widergängern nicht allzu ferner Zeiten, ein orgiastisches Alpen-Zombie-Drama spielt sich vor den glänzenden Augen der angeblich christlich und sicherlich nicht sozialen Partei nah des rechten Randes ab. Sie genießen den Aufmarsch in vollen Zügen, können sich daher nicht dazu durchringen wirklichen Anstand zu wahren und müssen es auch nicht. Ihre Wählerschaft wüsste damit ohnehin wenig anzufangen.

Dass die Sozialdemokraten in ihrem Eifer an der Macht zu bleiben dem nicht nachstehen wollen zeigen die hilflosen Gesten des Kanzlers. Die Mahnung an die eigene Fraktion keinesfalls mit den Freiheitlichen zu kooperieren, wird zur Märchenstunde wenn gleich daraufhin die Länderentscheidungen zu diesem Thema davon ausgenommen werden (Der Standard 4.September 2009).

Dass sich der Vizelandeschef von Niederösterreich (ÖVP) in einem Interview zum Thema Föderalismusreform zu der Aussage versteigt: „Der letzte der das umkrempeln wollte, war der selige Adolf.“ (Der Standard 4. September 2009), zeigt die Verfassung in der sich politischer Anstand in Österreich befindet. Denn selig sind nach katholischer Vorstellung diejenigen Menschen, die von Gott in die Schar der Heiligen aufgenommen worden sind.

II.
Im Land der Kellerverliese reiben sich auch die Waffennarren die blutfetten Bäuche. Zwischen Jägerlatein und Schießverein schleicht sich in der Heimat großer Söhne die Blutlust ein, wenn leserbriefseitenweit Konsens herrscht über die Todesstrafe für Einbrecher. Nicht von ungefähr glaubt der Befürworter einer flächendeckenden Bewaffnung der Bevölkerung zur Abwehr marodierender Ostbanden (H.C.), dass nach dem Kremser Massaker nicht etwa die schießwütigen Spießgesellen überwachungsgeiler Innenministerinnen sich Fragen zu ihrem Verhältnis zum Leben anderer Menschen gefallen lassen müssten, sondern die Mutter des Ermordeten. Dieser Frau, der das Kind beim etwas übermütigen Spaziergang durch die Konsumwelt abgeschlachtet worden ist, sollte doch bitte jemand klar machen, dass sie daran auch noch schuld sei, weil ihr Sohn um diese Uhrzeit ja auch im Bett hätte liegen können. Berufsrisiko eben. (Der Standard 18.August 2009)
Die Verworrenheit der Argumentation reflektiert den Sachverhalt der weitgehenden Unmündigkeit des österreichischen Wahlvolks. Wer dieser Argumentation folgen kann stimmt auch mit Freuden jedem beliebigen NS-Ermächtigungsgesetz zu, das gerade auf den Tisch kommt.
Da braucht man sich nicht erst fünf entlarvende Fragen zur Kremser Tragödie (Kronenzeitung 15. August 2009) zu stellen.
Frau Z. offenbart in der Kronenzeitung ein sicheres Gespür dafür, wozu der Rechtsstaat in der Lage sein müsste, wenn er sich selbst abschaffen wollte. Etwa wenn eine körperliche Züchtigung für Einbrecher angeregt wird. Das wäre eine Präventivstrafe im besten Sinne habsburgischer Protogerichtsbarkeit. Eventuell könnte man diese Einbrecher dann auch nach Volksgruppen geordnet bestrafen. Aber die Anregungen sind damit noch nicht absurd genug. Die Volksseele kocht, schließlich ist ja ein Einbrecher erschossen worden! Moment. Ja, der Einbrecher, nicht der Polizist ist tot. Wieso also diese Wut? Wieso das höhnische Geifern? Wieso die Rechtfertigung des Mordes im Nachhinein?
„Wer handelt wie ein Erwachsener darf sich nicht wundern, wenn er auch behandelt wird wie ein Erwachsener.“
Abgesehen davon, dass der arme Junge sich nicht mehr wundern kann. Darf jetzt ab 18 Jahren geschlachtet werden? Scheinbar ja, denn: „Was wäre von einem 14-jährigen noch zu erwarten, der bereits in diesem Alter auf Einbruchstour geht?“
Dann muss er natürlich weg. Und warum ein teures Gefängnis bezahlen, wenn Frau Z. den gesamten Rehabilitationsprozess des modernen Strafvollzugs auf die, im Sadomaso-Kollektiv verankerte, Formel des naturrechtlichen Ausgleichs in Form des Mordes bringen kann. Ein Jugendstrafgesetz wird in dieser Deutung überflüssig. Wahrscheinlich schwingen erhebende Gedanken an das Abschlachten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit, wenn sich Frau Z. bei den Polizeibeamten für ihre Tat bedankt und ihnen wünscht sie mögen sich nicht entmutigen lassen.
Entmutigen lassen werden sie sich schwerlich. Sie sind schließlich bewaffnet und sichtlich jederzeit bereit zu schießen.

III.
Vor der Wiener Akademie für angewandte Künste stellt Ende Juni ein Student der Akademie eine Skulptur auf die ein Hakenkreuz darstellt, das von einem Herz eingerahmt wird und nennt es „liebe.allumfassend“. Worauf der Rektor Weisung gibt entweder das Hakenkreuz, oder aber die Skulptur sei zu entfernen. Der Student rechtfertigt sein Kunstwerk mit seinem Generalthema: der Liebe. Deren Gegenpol sei nun einmal der Hass, was sich in dieser Skulptur trefflich ausdrücke. Die Skulptur wurde entfernt.
Missverstandenes auf allen Seiten. Betrogen bleibt die historische Wahrheit und die Kontinuität der Kokketerie mit dem Nationalsozialismus behält ihr Recht. Der Student, der meint Liebe und Hass in einem Kunstwerk darzustellen und damit Antipoden gegeneinander zu treiben irrt. Er bildet, viel besser als ihm bewusst wird, die Gefühle einer nicht unbeträchtlichen Zahl von ÖsterreicherInnen ab und offenbart so eine tiefe Einsicht in die Möglichkeiten moderner Kunst, die ansonsten in Österreich eher hintangestellt wird. Der Rektor wiederum, um die Reputation der Akademie bemüht zeigt in seiner Reaktion die Stumpfheit kritischer Verarbeitung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Die Angst anzuecken, missverstanden zu werden, lässt ihn die Anordnung treffen, die sonst nur eines ehemals großkoalitionären Politikers würdig gewesen wäre: er lässt, so er die Skulptur nicht gänzlich entfernen will, das Hakenkreuz aus dem Herz herausschlagen.
Das Herz bleibt bestehen, das Hakenkreuz existiert bestenfalls als Phantomschmerz und kann daraufhin ausführlich beschwiegen werden. Die Skulptur aber verliert jeglichen (bewusst oder unbewusst) intendierten Sinn. Sie wird zum übergroßen Geschenkartikel. Der Kunst ist damit, wie es scheint, für die Verantwortlichen der Akademie, genüge getan.
(Der Standard 20./21. Juni 2009)

IV.
Die Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Ambulatoriums „pro:woman“ [http://www.prowoman.at/] nahm der Patriarch derjenigen Kirche, die am vehementesten dagegen auftritt das sich ihre Würdenträger vermehren, Christoph Schönborn zum Anlass sich politisch dafür einzusetzen das diese nicht statt finden. Das Ambulatorium, das laut katholischer Kirche, wenn schon existent doch tunlichst verschwiegen und schon gar nicht auch noch gefeiert werden sollte, bietet neben Sexualmedizin und Schwangerschaftshilfe auch Schwangerschaftsabbrüche an, was einem sexualitätsfeindlichen Hohepriester wie Schönborn selbstverständlich unheimlich sein muss. Nun ist die Sexualmoral der katholischen Kirche nicht undifferenziert zu betrachten und nur weil alle ihre Würdenträger auf sexuelles jeder Art verzichten, bedeutet das nicht, dass sie sich nicht eine zwischen fetischistischer Verfolgung (die sich nicht entblödet genau zu katalogisieren und damit sehr genau zu studieren was verboten ist) und zwangsneurotischer Hysterie (die gerne auf die eigenen Verfehlungen vergisst) angesiedelter, Laienmeinung zum Thema zurecht gelegt hätten.
Differenziert wäre hierbei der Part des Sexualaktes darzustellen, der nur, wenn er in bester kapitalistischer Manier einen Mehrwert, in Form des Taufobjekts Säugling erzielt, gut geheißen wird. Alles was der Lust entspricht und mehr dem künstlerischen Bereich zugeschlagen werden könnte, damit keinen bevölkerungspolitischen Mehrwert ausweist, wird „verteufelt“. Diese, zur völligen Verdinglichung von Liebe, Partnerschaft und Sexualität führende Praxis der Trennung von raffender und schaffender Sexualität steht allerdings keineswegs im Widerspruch zur vorgeblichen Spiritualität der katholischen Kirche. Vielmehr verwirklicht sich hier der Anspruch einer zur kollektiven Praxis gewandelten Zwangshandlung, die (ihr verbliebene) Herrschaft um jeden Preis zu erhalten.
Differenziert auch der Blick dieser Religionsgemeinschaft auf die Schwangerschaft, die von ihren erklärtesten Streiterinnen für die Sache, den Ordensschwestern, als Bürde auf dem Weg ins Paradies, in ihrem völligen Verzicht auf Sexualität überhaupt abgelehnt wird. Die Last der Geburten sollen andere tragen. Dass diese Frage aber keine demographische, gesellschaftliche, politische oder gar religiöse sein kann, sondern nur eine individuelle, das wollen diese Fortpflanzungsneurotiker nicht einsehen. Dass die gesellschaftlichen Tabus, die Frauen dazu zwingen abzutreiben, durch die katholische Kirche selbst und ihre irdischen Stellvertreterorganisationen in der Politik und durch die von ihnen beständig forcierte Sexualitäts- und Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft erst erzeugt werden, dass müsste in diesem Zusammenhang öfter festgehalten werden.
Bezeichnend dabei ist, dass Bürgermeister Häupl zwar nicht für den Schutz der Kliniken vor den Zwangsneurotikern sorgt, die sie belagern, dem Häuptling des neurotischen Kollektivs, aber ein Gespräch anbietet als wäre die Selbstbestimmung der Frau verhandelbar. (Der Standard 31. August 2009)


Kommentare

Gut, dass Du immer das Datum der jeweiligen Standardausgabe festgehalten hast- so kommt man aus dem Staunen erst gar nicht mehr heraus. Der Kuhhandel geht weiter, wer bietet mehr?

Ana · 09.09.2009 13:20 · #

ja stimmt, letztlich ist es eine kurze exemplarische studie über den Kuhhandel. find ich sehr treffend!

St.Max · 09.09.2009 14:56 · #

Umfassende Bilanz und doch nur ein geringer Teil des zu Bilanzierenden. Das Abendland geht wohl vielmehr an sich selbst zugrunde als an Überfremdung. Orient, errette uns!

Stephan mit ph · 10.09.2009 16:27 · #

wenn man demokratie und rechtsstaat nicht so wichtig findet dann ist der orient wahrscheinlich eine option …

KKraus · 10.09.2009 16:45 · #

Spiegel-TV:
http://www.youtube.com/watch?v=H0JDp9oDbLg
Nota bene: Auch Kinder mit kurzen Haaren sind Mädchen!

PV · 12.09.2009 16:53 · #

die kommentare die dauernd beim video eingeblendet werden sind fast lustiger als das video selber… übrigens finde ich viele kritikpunke von grünen und linke — ganz anders als die redakteure von spiegel-tv die alle als überzogen darstellen — als durchaus angebracht.

r. · 12.09.2009 17:50 · #

Ja, ein bisschen Pluralität wäre wirklich nicht zu verwerfen. Und ein Kurzhaarschnitt mit Rock würde sich ja vielleicht als Kompromiss anbieten ;)

Ana · 12.09.2009 18:40 · #

Der Grundgedanke, den diese wandelnden intellektuellen Bankrotterklärungen verfolgen ist durchaus ein richtiger. Nur, und hier kritisiere ich auch ein wenig Eueren Text, wenn man sich bei jedem Versprecher oder jedem ungegenderten Wort die Frage stellt “ob es wieder soweit ist”, dann schadete das der guten Sache. Denn auch durchaus berechtigte Kritikpunkte werden dann mit der Zeit nicht mehr ernst genommen.

PV · 12.09.2009 19:09 · #

Zustimmung, Zustimmung. Diese Filigrankunsttümelei, die man mit politischer Korrektheit verwechselt, lenkt oft vom Wesentlichen ab und spielt sich manchmal nur der Kritik um der Kritikwillen ab. Dem sollte man klar entgegentreten und sie der Lächerlichkeit preisgeben, was anderes hat sie gar nicht verdient. Geb´ich Dir völlig Recht. Das, was ich jedoch berechtigt finde, ist die Kritik an dem Mangel an ethnisch gemischtem Publikum. In Deutschbüchern (und das weiß ich beschämenderweise aus dem DaF Unterricht) ist dies mittlerweile Konvention geworden. Deshalb haben die Tanten sich wahrscheinlich so im Recht bei ihrer Kritik gewähnt, die letzten Bollwerke des latenten Rassismus anzuecken.

Ana · 12.09.2009 19:40 · #

also die eingeblendeten kommentare lassen ja eher darauf schließen, dass der verfasser sich mit der problematik nicht wirklich beschäftigt hat oder verstandesmässig an seine grenzen gestossen ist.
das man mit so einem bericht ein problem haben kann verstehe ich, denn es gäbe (wie im obigen text dargestellt) wichtigere probleme mit denen man sich auseinandersetzn kann.
das hat mit hysterie und vor allem mit der plakativen die in diesem bericht aufscheint nichts zu tun. man kann aber in den ländern des postns von politikern und politisch verantwortlichen eine gewisse sensibilität erwarten.
die aussage eines poilitikers als versprecher abzutun ist in diesem zusammenhang entweder eine bankrotterklärung an die geistigen fähigkeiten desjenigen politikers oder schlicht naiv.

St.Max · 13.09.2009 12:18 · #

ich hätte ja nie gedacht, dass es tatsächlich mal so weit kommt, aber in dem zusammenhang will ich mal den frisch erlesenen Adorno (Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. , S. 219) zitieren:

Dass Gescheitsein zur Dummheit wird, liegt in der historischen Tendenz.
(…) Der Widerspruch von der Dummheit des Gescheitseins ist notwendig. Denn die bürgerliche Ratio muss Universalität beanspruchen und zugleich zu deren Beschränkung sich entfalten. (…) Ihr präsentiert der Faschist die Rechnung. Er vertritt offen das Partikulare und enthüllt damit die Ratio, die zu Unrecht auf ihre Allgemeinheit pocht, als selber begrenzt. Dass dann mit einem Mal die Gescheiten die Dummen sind, überführt die Vernunft ihrer eigenen Unvernunft.

;)

r. · 14.09.2009 12:00 · #

Schön zitiert! (im Sinne von passend)
Man muss der Angst verbieten einem die Denkfähigkeit verkümmern zu lassen wie Horkheimer schreibt. Die paraonoiden Vorstellungen der Welt sind nicht selbst die Welt. Die politischen Drehbücher halten sich nur leider sehr stark an sie.

St.Max · 14.09.2009 13:13 · #

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