Einleitung
Wolfgang Sofsky schreibt das Übel der Sprachpolitik werde sichtbar, wenn „die öffentliche Rede ins Unverbindliche ausweicht“. Er spricht von „pathetischem Geraune“ (Sofsky 2004: 16), das sich nicht eignet, konkrete gesellschaftspolitische Realitäten anzusprechen. Ein ernsthaftes Gespräch über die „tätige Seite“ (MEW 3: 5) der gesellschaftlichen Realität kann so nicht zustande kommen. Ein kommunikationstheoretischer Rückfall hinter Marx ereignet sich dort, wo dieses Phänomen auftritt. Neben der theoretischen Blamage eignet sich diese Sprachpolitik aber auch dazu, die Legitimität von Kritik zu desavouieren. Etwa die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen gesellschaftlich sanktionierten Massenmords zu verschleiern oder abzuschwächen. Denn die moderne Organisation der Konzentrationslager ermöglichte während des Holocaust neben der barbarischen Effizienzsteigerung auch die Distribution der Verantwortung „vom Usurpator auf dessen Gehilfen“, denn „ohne die Kollaboration und die Interessengemeinschaft mit den Nutznießern hätte das Lagersystem nicht lange existiert“ (Sofsky 2004: 318).
Das pathetische Geraune weicht der Gewalt reflexhaft aus und bleibt jedenfalls die Frage schuldig, wie sich so eine Interessengemeinschaft der Mörder herstellen lässt. Diese Frage ist wahrscheinlich zur Gänze nie zu beantworten, sie soll auch keine Antwort finden. Aber die Frage nicht einmal zu stellen, kommt einer Verhöhnung der Opfer gleich.
Michael Hirsch schreibt: „Vergeistigt und sublimiert, ‚entpolitisierte’ Heidegger das Politische konsequent zu einem reinen ontologischen Phänomen der Konstitution einer gemeinsamen Welt“ (Bedorf/Röttgers 2010: 343). Die oben beschriebene Sprachpolitik in Reinkultur.
Saul Friedländer sieht in der nationalsozialistischen Ästhetik mit Walter Benjamin eine „Ästhetisierung der Politik“ (Benjamin 2007: 50) am Werk, in der Kitsch und Tod einander zu einer politischen Ästhetik ergänzen, die ihre Wirkung „bis in die Verästelungen der Sozialität hinein, bis in die Tiefenstruktur menschlicher Subjektivität“ (Sofsky 1997: 319) trägt. Das Streben nach Höherem entfaltet seine Wirkung in Verbindung mit dem Todestrieb im Rahmen einer Sprache die „symbolverstärkend“ (Friedländer 2007: 13) wirken soll. Es geht um die Erzeugung von „Edelkitsch“ (Friedländer 2007: 14), der zwar nicht, wie Friedländer meint „leicht verständlich“ sein muss, der aber eine emotionale Sofortreaktion hervorrufen kann, die wiederum eine ursprüngliche harmonische Einheit suggerieren soll. Friedländer schreibt: „Der ‚Edelkitsch’ der Nazis war eingebettet in eine ‚Weltuntergangsphantasie’, deren wichtigstes Versatzstück der Tod war. Kitsch, der das Leben verherrlicht, wirkt offenbar nur kurz und schwach auf das Gefühl. Kitsch in Verbindung mit Tod und Opfergang dagegen scheint der Schlüsselreiz für eine bestimmte Spielart extremster politischer Mobilisierung zu sein.“ (Friedländer 2007: 16)
Meine These folgt der philosophischen Sprache Heideggers auf der Spur nach diesem Edelkitsch, der im Unpolitischen doch „vollendete Herrschaft, blinder Selbstzweck“ (Claussen 2005: 63) sein will und vor allem im ästhetischen Gewand verborgene Philosophie des Opfers ist.
Anfänge und mögliche Ausgänge: Edmund Husserl
Edmund Husserl führt in die „Lehre von den Erscheinungen“ (Ulfig 2003: 310), ausgehend von René Descartes , eine ontologische Sichtweise ein, in der das Formal-Allgemeine aufgezeigt werden soll. Diese allgemeine Wesenslehre mittels Wesensschau und der damit verbundenen Suche nach der „invarianten Struktur der Welt“ (ebda. 310) soll mittels einer Einstellungsänderung bewerkstelligt werden. Der Phänomenologe muss sich von der Vorstellung einer vorgegebenen Welt lösen und jede weltliche Seinssetzung damit ausschalten. Damit soll es gelingen, die Welt rein zum Vorschein zu bringen und sie somit als Phänomen zu erfassen. Damit eröffnet sich ihm die Wirklichkeit als reines Erfahrungsfeld, das er sehen und beschreiben kann als transzendentales Bewusstsein.
Das unmittelbare Sehen, das dadurch möglich wird, eröffnet eine Evidenz dessen, was betrachtet wird. Dadurch lassen sich die Dinge unmittelbar sehen, wie sie sind, als absolut gültige unhintergehbare Fakten.
Der Antrieb dabei ist für Husserl wie für Descartes derselbe. Die leitende Idee ist die „einer in radikaler Echtheit zu begründenden Wissenschaft und letztlich einer universalen Wissenschaft“ (Husserl 1995: 9).
Wirklich soll sein, was durch Sinngebung Realität erlangt. Empirische Sätze haben nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit und keine absolute Wahrheit. Nur die phänomenologische Betrachtung, die durch die Einstellungsänderung den Gegenstand erst sichtbar macht verfügt über sie.
„In der phänomenlogischen Einstellung unterbinden wir in prinzipieller Allgemeinheit den Vollzug aller solcher kogitativen Thesen, d.h. die vollzogenen ‚klammern wir ein’, für die neuen Forschungen ‚machen wir diese Thesen nicht mit’; statt in ihnen zu leben, sie zu vollziehen, vollziehen wir auf sie gerichtete Akte der Reflexion, und wir erfassen sie selbst als das absolute Sein, das sie sind, und mit allem, was in ihnen von ihrem eigenen Sein unabtrennbar Vermeintes, z.B.. Erfahrenes als solches ist.“ (Husserl 1950: 119)
In diesem Sinn ist „Wahrheit“ die volle Übereinstimmung von Gemeintem und Gegebenem. Das Erlebnis der Übereinstimmung ist die Evidenz oder Intuition von den wahren Sachen und Evidenz ist damit die unmittelbare Erfahrung. Sie ist korrigierbar, wenn sich im Nachhinein zeigt, dass die damalige Erfahrung nicht zutreffend war. Mittels eidetischer Reduktion stößt man dann durch die aus der Enthaltung gewonnene Neutralität hindurch zum Wesen einer Sache vor und gelangt zu den Sachen selbst. Jetzt sind nur noch die Bewusstseinsakte Gegenstand der Betrachtung. Die Existenz des Gegenstandes wird damit transzendiert. Was übrigbleibt, ist die „absolute Seinsregion des Bewusstseins“ selbst. Mit dieser eidetischen Reduktion gelingt eine Wesensschau, die uns zeigt, wie sich die Welt im Bewusstsein konstituiert. Und damit stellt sich eine auf radikaler Echtheit basierte Wissenschaft als Philosophie der Phänomene ein.
Wir haben es hier also mit einem Versuch zu tun, philosophisch auf den Grund der Dinge zu blicken, der den Anspruch erhebt, dies durch einen Perspektivenwechsel vollziehen zu können, der den Ursprung der Erkenntnis frei legt.
Das Problem des Ursprungs erscheint hier als Erkenntnisproblem. Es soll nicht ein eigentlich Erstes unter der phänomenologischen Betrachtung ausgegraben werden. Die „vorgeblich originären Begriffe“ der Phänomenologie Husserls sind vermittelt, also voraussetzungsvoll.
Es geht in der Auseinandersetzung darüber, ob der Inhalt des Ersten wichtiger sei als die Frage nach dem Ersten an sich, um die Setzung von Identität, die im emphatischen Gebrauch des Begriffs liegt.
„In dem als philosophisch Ersten behaupteten Prinzip soll schlechthin alles aufgehen, gleichgültig, ob dieses Prinzip Sein heißt oder Denken, Subjekt oder Objekt, Wesen oder Faktizität. Das Erste der Philosophen erhebt totalen Anspruch: es sei unvermittelt, unmittelbar.“ (Adorno 2003a: 15)
Aber das Prinzip des Ersten, auf das Philosophie reflektieren könnte, müsste, um kein Zufälliges zu sein, allgemein sein und enthielte damit Abstraktion. Aber dann kann dieses Erste nicht als Faktum, sondern nur als „das Prinzip vom Faktischen überhaupt“ (ebda. 15) betrachtet werden.
Aus diesem logischen Absolutismus entsteht ein Relativismus. Dadurch, dass jede einzelne Erkenntnis ohne weitere Bestimmungen für sich selbst stehen können muss, wird sie relativ.
Aus diesen isolierten Bestimmungen soll sich reine Subjektivität und reine Objektivität bilden: Das Zerlegen wird zum „Gesetz der Wahrheit“ (ebda. 94) und damit wird die Einstellungsänderung zur Willkür gegenüber den Dingen, die ihnen im Denken ein Attribut vorsetzt, dem sie sich nicht mehr entziehen können wegen der Übereinstimmung von Gemeintem und Gegebenen. Dies erinnert an den späten Fichte, der versucht immer stärker in direktem Vortrag suggestiv zu wirken, weil er der Schrift nicht mehr zutraut, seine Wahrheit zu transportieren. Er versucht die Identifikation mit Kommunikation zu überbrücken und sie somit den Gegenständen (seinem Gegenüber) unterzuschieben. Seine Hörer sollen ihm ihren Verstand übergeben. „Ich soll nicht denken, wie andre denken; sondern wie ich denken soll, so, soll ich annehmen, denken auch andre.“ (Zitat nach Sloterdijk 1998: 33).
Die Isolation der Lebenswelt von der reinen Welt der wahrgenommenen Phänomene stellt Identitäten in den Subjekten wie in den Objekten her, die diesen nicht entsprechen.
„Das ganz isolierte ist die bloße Identität, die in nichts über sich hinausweist, und die integrale Reduktion aufs Subjekt oder aufs Objekt verkörpert das Ideal solcher Identität.“ (Adorno 2003a: 94/95)
Dieser Relativismus wird durch seine Beharrung auf der „negativen Bestimmung alles einzelnen“ unwahr, anstatt über die Identität hinauszugehen und wenigstens den Subjekten ihr Recht zu lassen. Daraus entsteht ein Schein, der diese Art phänomenlogischer Erkenntnis wiederum an das Seiende bindet und damit lähmt. Danach wird nur eine „Ontologisierung des Faktischen“ erreicht.
„Sobald das Gegebene als ‚forderndes‘ über sich hinausweist, wird es damit nicht nur zum bloßen Teilmoment des übergreifenden Erkenntnisprozesses herabgesetzt, sondern erweist sich als prozessual in sich selber.“ (ebda. 140)
Der Begriff der „Gegebenheit“ etwa tritt als „ontisches Residuum inmitten des Idealismus“ (ebda. 146) auf und setzt die Dingwelt bereits voraus, die er eigentlich begründen müsste. Sie fordert ihrem Begriff nach ein Bezugssubjekt. Im Idealismus und Positivismus kommt nichts Gegebenes vor, nur ein mir Gegebenes.
Der Anfang der Heideggerschen Philosophie ist gemacht. Für Meister wie Schüler gilt, dass sie Begriffe aus der Erfahrung beziehen und „durch ihre Transplantation in den eidetischen Bereich mit einer altertümlichen Würde“ verkleiden, „die sie vorm Zugriff des gleichen rauen Lebens sichern soll, dem sie doch andererseits eben die Handgreiflichkeit verdanken, welche die der Abstraktion Müden besticht; immer wieder erscheinen bei beiden, umgekehrt, ganz formale Bestimmungen in einer Weise, die deren drastische Anschaulichkeit vortäuscht“ (Adorno 2003a: 192). Husserl behält sich aber einen Ausgang vor. Wo bei Heidegger, wie wir sehen werden, die Sprache völlig gegen die Selbstreflexion durch das Empirische abgedichtet ist, bleibt Husserls Philosophie durchsichtig auf die Welt. Denn seine Philosophie produziert „sämtliche Kategorien des subjektiven Scheins, gegen welche sie mobilisiert war“ (Adorno 2003a: 194) und macht eben darum das von ihr gesetzte Primat transzendentaler Subjektivität sichtbar. Das Denken, das sich vom Sein abkoppeln will, opponiert dennoch dem Relativismus. Und so wie es eben nicht durch das Politische kompromittiert sein möchte, ist es nicht so zynisch, sich dabei von ihm missbrauchen zu lassen. Bei Heidegger liegt der Fall anders.
Der Unpolitische und seine private Seinsgeschichte
Für Heidegger war der Nationalsozialismus ein Phänomen der Veränderung. In Seiner „Einführung in die Metaphysik“ beschäftigt er sich auch „mit der inneren Wahrheit und Größe dieser Bewegung“ (Heidegger 1953: 152). Diese Größe entsteht aus der historischen Konstellation. Die Welt leidet an „Seinsvergessenheit“ und taumelt metaphysisch betrachtet zwischen Russland und den USA, zwischen entfesselter Technik und verwaltetem Menschen hin und her. Sie muss ins Gleichgewicht gebracht werden und dieses Gleichgewicht muss von ihrem Zentrum ausgehen, also vom Volk, dass die absolute Mitte besetzt hält. Gemeint ist das deutsche Volk. Entstanden ist der Text im Jahr 1935, als sich dieses „Taumeln“ für die Nationalsozialisten ja wirklich schon angekündigt hat. Für Heidegger hat sich diese „seinsgeschichtliche Lage“ während der letzten 2000 Jahre vorbereitet. Der Nationalsozialismus ist für ihn die authentische Antwort auf das Problem des Daseins und damit opportuner Gipfelpunkt seiner Philosophie, die sich dem Politischen entziehen will indem sie sich dem Schlimmsten andient. Der Gestus des unpolitischen dient der Tarnung. Seine Philosophie gibt sich als mehr aus als sie ist. In Wahrheit ist sie weniger. In der Zuspitzung auf das Politische ist sie nur zynischer Reflex auf die historische Situation. Daher gelingt mit ihr auch nur die Errichtung eines Mythos und keine Kritik am Politischen.
„Gleichviel, ob die modernen Ideen im Namen der Vernunft oder der Zerstörung der Vernunft auftreten, das Prisma des neuzeitlichen Seinsverständnisses zerlegt alle normativen Orientierungen in Machtansprüche einer auf Selbststeigerung versessenen Subjektivität.“ (Habermas 1988: 161)
Die Kritik des neuzeitlichen Subjektivismus verfehlt ihr Ziel wenn sie die Vernunft zum Verstand erniedrigt. Es bleibt so nichts mehr für die Kritik an der Welt, nur mehr für die Kritik an Humanismus und Aufklärung. So hat das Unpolitische einen zutiefst politischen Kern in dem es philosophisch dem Denken opponiert, dass die Barbarei kritisiert. Im Gegenteil erweist sich diese Philosophie noch als nützlich und diensteifrig wird der „Meister aus Deutschland“ (Safranski) doch noch sehr eindeutig politisch. Etwa wenn er die Wahl von 1933 in der Freiburger Studentenzeitung beschreibt.
„Es gibt nur den einen Willen zum vollen Dasein des Staates. Diesen Willen hat der Führer im ganzen Volk zum Erwachen gebracht und zum einzigen Entschluß zusammengeschweißt.“ (nach Habermas 1988: 186) Es geht ums Ganze. Das Volk soll seinen kollektiven Willen im Führer vereinen. Er meint was er da schreibt und führt es bis in die Verästelungen seiner Philosophie auch aus. Bis weit nach 1945. Unbelehrbar bleibt er dem einzigen politischen Engagement auf das er sich einlassen wollte treu und schafft sich eine Theorie die dieses Verhalten deckt.
„Er interpretiert die Unwahrheit der Bewegung, von der er sich hatte mitreißen lassen, nicht in den Begriffen einer subjektiv zu verantwortenden existentiellen Verfallenheit an das Man, sondern als ein objektives Ausbleiben der Wahrheit.“ (Habermas 1988: 188/189)
Das Konzept der Seinsgeschichte ermöglicht ihm diesen Betrug. Die reale Geschichte wird hinter der „Geschichtlichkeit“ langsam aber sicher zum Verschwinden gebracht um den „naiv-prätetniösen Gebrauch von ad hoc aufgegriffenen Gegenwartsdiagnosen“ (Habermas 1992: 52) zu ermöglichen. Die Deutung der menschlichen Gesellschaft wird metaphysisch von der Wirklichkeit abgekoppelt. Sie muss sich nicht auf eine empirische Basis stützen um befriedigende Ergebnisse zu liefern. Glaubwürdiger für die Analyse der Seinsgeschichte ist ohnehin eher das Lauschen auf die Stimme des Meisters als die Auseinandersetzung mit ihren Grundlagen und Antinomien.
„Die konkrete Geschichte bleibt für ihn ein bloß ontisches Geschehen, der soziale Lebenszusammenhang eine Dimension des Uneigentlichen, die Aussagenwahrheit ein abgeleitetes Phänomen und Moralität nur ein anderer Ausdruck für verdinglichte Werte.“ (Habermas 1992: 59)
Exkurs: Heidegger und die Sprache; ein Vorschlag
Martin Heidegger interpretiert die Philosophiegeschichte als Geschichte einer Zudeckung der grundsätzlichen Fragen. Die Frage an den Frager Heidegger müsste also sein, ob er es wirklich schafft der Philosophie auf den Grund zu gehen, da das im Rahmen dieser kurzen Reflexion nicht möglich ist, soll nur vorgestellt werden, was passieren kann, wenn man so etwas versucht.
Semantische Dopplungen („das Nichts nichtet“) zeichnen Heideggers Sprache in dem Versuch aus, auf den Boden der Philosophie vorzudringen und die theoretische Distanz zum Begriffenen zu reduzieren. Diesem Verhalten der Sprache Heideggers, die sich im Spätwerk damit befasst, die Alltagssprache semantisch zu transformieren, liegt die Überzeugung zu Grunde, man könne differenziert denken ohne den Umweg über die „Anstrengung des Begriffs“ (Adorno) nehmen zu müssen, der für Heidegger eine Verfälschung oder Verdeckung der im Denken der Menschen verborgenen Wahrheit bedeutet.
Diese Wahrheitssuche ist aber mit einem Problem konfrontiert, das jeder, der eine Lehrveranstaltung über Phänomenologie besucht hat, sofort erkennen kann. Der am Heidegger-Diskurs geschulte Gelehrte kann kaum außerhalb der hochspezialisierten Terminologie für seine Sache argumentieren. Jede Nachfrage wird mit einem Verweis quittiert, der noch tiefer in diesen Jargon hinein führt. Heidegger ist nur im Rahmen seiner eigenen Begriffe erklärbar und überhaupt sinnvoll. Das liegt auch daran, dass diese Philosophie, die versucht mit der Wahrheit auf das Ganze zu gehen, die ganze Wahrheit gar nicht kennen will. Kaum findet sich ein Wort zur konkreten gesellschaftlichen Situation oder zur Illustrierung bestimmter Probleme, die sich etwa im Rahmen der Beschäftigung mit dem Thema Tod doch durchaus anbieten würden. Zumal von einem Zeitgenossen des Holocaust.
Dabei kommt es zu ein wenig spielerisch vorgetragenen Selbstverständlichkeiten, die wie aus einem Bauernkalender entnommen wirken können: „Die nächsten Dinge, die uns umgeben, nennen wir das Zeug.“ (Heidegger 1975: 232)
Der „um-zu“ (Heidegger 1975: 233) Charakter des Zeugs entscheidet wiederum über dessen Werkzeugcharakter, der wiederum maßgeblich für die Rolle des Zeugs in Bezug auf die Wahrheitsfindung ist. Das führt dann zu philosophischen Höhepunkten wie dem, dass man ohne Schuhe mehr Erdhaftung genießt.
Diese verspielte Beharren auf den Einzelheiten des Lebens geht zu Lasten einer wie auch immer gearteten kritischen Pointe. Der Versuch die Grundverfassung des Daseins denkend zu erreichen, verstellt den Blick auf die Geschichte. Die Betrachtung der Welt gerät zum Sprachspiel über Geschichtlichkeit und enträt jeglichen Anspruchs der Kritik. Das problematische Verhältnis dieses Denkens zum Nationalsozialismus, das von Heidegger selbst unkommentiert geblieben ist, verdankt sich wahrscheinlich diesem Mangel an historischer und gesellschaftlicher Tiefenschärfe, der dem starren Blick auf den Ursprung geschuldet ist.
Die heideggersche Ursprungssuche führt zu einem komplexen System neuer Blicke auf die Genese der Philosophie. Sie führt aber auch zu einer Theorie, die einen Ursprung durch Sprachcharaktere suggeriert und dabei die Welt (absichtlich?) aus den Augen verliert. Man braucht sich nicht durch die Negative Dialektik Adornos zu kämpfen und die „Anstrengung des Begriffs“ über sich ergehen zu lassen, um ein Gefühl für dieses Problem zu entwickeln das sich selbst als Phänomen darstellt. Es handelt sich bei diesem Phänomen der Ursprungssprache darüber hinaus um einen hochkomplexen Phänomenhaushalt, der eventuell dadurch entwirrt und auf seine Brauchbarkeit für künftige Philosophie hin getestet werden könnte, indem man Heideggers Philosophie außerhalb der Heideggerschen Sprache theoretisieren würde.
Der Problembereich ist damit umrissen. Ich werde jetzt anhand Martin Heideggers Ontologie des Todes zu konkretisieren versuchen, wohin die pathetische Theorie führen kann.
Die pathetische Sprache und der Tod
Günther Anders kritisiert vieles an Heidegger. Hier interessiert nur die Linie der Kritik, die durch die pathetische Sprache auf den Tod führt. Er vergleicht die „Okkupations-Doktrinen“ (Anders 2001: 70) der Heideggerschen Phänomenologie und des Nationalsozialismus und erkennt: „beide machen die Welt in der sie leben, zum Attribut der eigenen Existenz“.
Gleichzeitig unterschlagen sie beide die Begriffe des Individuums. Das Ich, die Person gehen im „Dasein“ auf. Oder wie die NSDAP in einer Parteischrift formuliert: „Das allgemeinste unerbittliche Gesetz des Lebens ist nun Kampf um sein Dasein und seine Entfaltung.“ (Hofer 2002: 32)
Daher misslingt Heidegger auch die Beurteilung der historischen Situation. Es liegt an seiner „philosophically overdetermined capacity for historical mystification“ (Wolin 1992: 142), dass er durch das von ihm konstruierte semantische Sein nicht mehr auf die Wirklichkeit blicken kann. Er versucht während der 1920er und 30er Jahre mit dem Anspruch durch die absolute Seinsregion des Bewusstseins selbst hindurch zu denken und vermeint, die Essenz des Nationalsozialismus damit erfasst zu haben. Die Seinsgeschichte scheint ihn zu berechtigen, metaphysisch das als richtig zu deuten, was sich empirisch als grauenhafte Barbarei bereits zu erweisen beginnt. Die Theorie des Zurücktretens geht für die Erkenntnis nicht weit genug. Sie bleibt in einer Zwischenwelt gefangen. Diese Doktrin „represents in truth only a further mystification of the historical reality of National Socialism“ (Wolin 1992: 144).
Die Sprache als Edelkitsch passt das Denken gründlich der ontologischen Wahnstruktur an und suggeriert dabei durch die Sprache von ihr abstrahieren zu können. Das Gegenteil ist der Fall. Hier „wird der Tod zugleich verherrlicht und bagatellisiert“ (Anders 2001: 70) – durch die Gleichsetzung des Eigentlichseins mit dem „Sein zum Tode“.
Das Dasein ist also im NS bestimmt durch den Kampf und die Opferbereitschaft für das Volk. Heidegger beschreibt auf metaphysische Weise die ideologische Vorstufe dieser Existenzform in „Sein und Zeit“:
„Im Tod ist das Dasein weder vollendet, noch einfach verschwunden, noch gar nicht fertig geworden oder als Zuhandenes ganz verfügbar […] Der Tod ist eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist: sobald ein Mensch zum Leben kommt, sogleich ist er alt genug zu sterben.“ (Heidegger 2006: 245)
Die Untersuchung des Lebens steht also immer unter dem Arbeitstitel „Tod“.
„Die existenziale Interpretation des Todes liegt vor aller Biologie und Ontologie des Lebens.“ (Heidegger 2006: 247)
Da dem Wesen Heidegger die Welt Attribut seiner Existenz ist, kann er auch die sich ihr anschließenden Assoziationen bequem unter die eigene Befindlichkeit subsumieren. Die psychologische Verfassung des Kollektivsubjekts Martin Heidegger wird der auf den Tod ausgerichteten Welt einfach übergestülpt. „Angst“ ist die determinierende Befindlichkeit. Das Dasein hat Angst vor dem Tod: „wovor die Angst sich ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst“ (Heidegger 2006: 187), denn „man“ selbst zu sein bedeutet wesentlich dem Tod gewidmet zu sein. Die „Sorge“ die sich daraus entwickelt, lässt Heidegger aber nicht, wie man vermuten könnte, bei den realen Bedrohungen des Lebens als Auslöser sehr berechtigter Todesängste ansetzen, also konsequenter Weise den Nationalsozialismus als das kritisieren was er ist: eine Ideologie des Todes, die das Kollektiv als Opfergemeinschaft installiert. Er bleibt einfach wo er ist und fürchtet sich.
Das gesamte Leben bestimmt sich also über den wesentlich-unwesentlichen Begriff des Todes, der als einziger die Individuen voneinander zu scheiden vermag. Vor dem Tod sind alle gleich und eben dadurch im Tod verschieden. Daher stellt sich die Wirklichkeit der Menschen vor dem Tod auch als Gleichheit dar, die menschliche Gesellschaft als Kollektiv. Das ontologische Volk ist das Einerlei der zum Tode Präformierten und also opferbaren. Der Trick liegt darin, das zu antizipieren ohne es politisch ausformulieren zu müssen. Heidegger meistert diesen Trick und diese semantische Sensation gelingt auch.
Grund dafür ist die „Schein-Konkretheit“ (Anders 2001: 72) von Heideggers Philosophie. Man hat es nicht etwa mit „jenen bloß verbalen ‚Synthesen’“ zu tun, die das übliche metaphysische Geraune auszeichnen, sondern mit einem komplexen Versuch der Herstellung sprachlicher „Neutralität“ (Anders 2001: 73) der inhaltlich natürlich gründlich daneben geht und daher auch nur semantisch angerufen oder ausgerufen werden kann.
Heidegger erkennt zwar den Zusammenhang von Welt und Praxis, aber er benennt ihn nicht. Er sieht zwar „Sorge“ und „Hunger“, aber er will vom Grund dafür nicht sprechen.
„Der Bereich von Heideggers Konkretheit beginnt hinter dem Hunger und hört vor der Wirtschaft und der Maschine auf: in der Mitte sitzt das ‚Dasein’ herum, hämmert sein ‚Zeug’ und beweist dadurch ‚Sorge’ und den Neubeginn der Ontologie.“ (Anders 2001: 83)
Neubeginn der Ontologie als Treiben des Seins auf den Tod zu. Als Denken des Wirklichen unter dem Primat des Unvermeidlichen. Hier betreibt einer ein Einfangen der Realität in den Bahnen des Opferbegriffs. Wo die Deutsche Romantik, namentlich Schelling den Übergang des Menschen vom Leben in den Tod noch als Wechsel der Potenzen auffasst, nämlich den „Übergang des Menschen aus der ersten Potenz seines Lebens in die zweite, also vom Tode“ (Schelling 1985: 86) sieht. Der im Tod eine Trennung erblickt zwischen „Seyendem und Nichtseyendem“ (Schelling 1985: 86) und so der Mensch nach dem Tod weiterhin ist „was auch hier schon Er selber war, und nur das bleibt zurück, was nicht Er selber war“ (Schelling 1985: 87). Der christlichen Theologie folgend das Selbst als identisch mit der unsterblichen Seele betrachtet, öffnet sich bei Heidegger eine neue Schiene.
„Nicht das ‚Eigentliche’ ist unsterblich, sondern das Auf den Tod hin-Leben macht eigentlich.“ (Anders 2001: 183)
Heidegger zwingt das Individuum mit dem „Dasein zum Tode“ in das Zwangskollektiv der Opferbereiten. Wo die christliche Theologie noch das Leben in seiner Unterwerfung unter Gott und die Kirche anerkennt, gibt es bei ihm nur mehr den Tod und die Sorge davor so weit Mensch zu werden, dass man ihn auch erleben könnte. Eigentlich ist am Dasein nur der unweigerliche Tod. Brimborium wie „Genußfähigkeit“ (Heidegger 2006: 43) gilt als Uneigentlich. Zu sinnlich, zu individuell, zu spontan ist die Fähigkeit zu genießen als dass sie sich als Existenziale dieses aufgespreitzten Jargons der Metaphysik eignen könnte.
Das Individuum ist daher im Volk allemal besser aufgehoben und kann so auf dem Weg der eigenen Entmenschlichung auch noch dem Tod ein Schnippchen schlagen. So die Übersetzung in die Vorstellung der Nationalsozialisten. Der Mensch soll sich in sein Schicksal fügen, lieber noch ein paar andere mitnehmen. Das Leid soll angenommen werden, das Individuum ist ohnehin nur eine Marginalie des Daseins. Der Mensch hat außer dem Tod keine Würde mehr. Fast könnte man sagen es „menschelt“. „Darin versteht sich die allmenschliche Sprachgebärde mit dem totalen Staat.“ (Adorno 2003b: 457)
Die Ontologie des Todes will vom Mord nichts wissen. Der Holocaust bleibt ihr fremd und setzt seine historische Vergesslichkeit „als wäre diese bereits das menschlich Unmittelbare“ (Adorno 2003b: 455).
Fazit
Heideggers philosophische Sprache ist das Derivat eines gesellschaftlichen Zusammenhangs, der nicht in einer eindeutigen Entlarvung aufgehen kann. Wie gesagt nicht das Fehlen der Antwort ist das Problem dieser Philosophie, sondern der Mangel an Fragen. Nicht dass sich diese Philosophie über die empirische Fundierung erheben will ist ihr Problem, sondern wie sie es tut. Sie erledigt das Problem, indem sie eine Sprachpolitik betreibt, die eine Zwischenebene zwischen der empirischen Wirklichkeit und dem einzieht, was sie als das eigentliche Sein ansieht, und diese dazu benutzt, das Sprechen ihrem Denken anzugleichen. Der Jargon der Eigentlichkeit zentriert damit die Betrachtung auf Kollektivsubjekte und überantwortet diese dem Tod. Individuen werden in dieser Sprache nur als Opfer angerufen und der Gewalt eines Ganzen überantwortet, das nicht als rechtfertigungsbedürftig erscheint, weil seine opake Oberfläche im Dasein zum Reflex einer angstvollen Ausflucht aus dem Individuellen sich gegen den Gedanken an ein mögliches Anderes hermetisch abdichtet. Die Sprache bleibt selbstbezüglich, weil auch die in ihr transportierten Begriffe nur im Bezugssystem überhaupt Sinn machen. Dieses Bezugssystem ist der Autor selbst.
Seine Theorie klammert das Gesellschaftspolitische auf zynische Weise aus und eignet sich gerade deshalb besonders gut „Schlüsselreiz für eine bestimmte Spielart extremster politischer Mobilisierung zu sein“. Die Theorie vom Sein zum Tode verfügt über keine Möglichkeit der Kritik, da es die Welt nicht als vom Menschen gemacht erkennen will. Sie verfügt daher aber auch über keine Resistenzkraft gegen den politischen Extremismus, der ihr die banalsten Rechtfertigungen für das Sterben von Menschen überhaupt entlockt hat.
„Das Opfer ist die allem Zwang enthobene, weil aus dem Abgrund der Freiheit erstehende Verschwendung des Menschenwesens in die Wahrung der Wahrheit des Seins für das Seiende. Im Opfer ereignet sich der verborgene Dank, der einzig die Huld würdigt, als welche das Sein sich dem Wesen des Menschen im Denken übereignet hat, damit dieser in dem Bezug zum Sein die Wächterschaft des Seins übernähme.“ (Heidegger 1960: 49)
So erhöht diese Metaphysik des Todes das Opfer, das in der christlichen Theologie wenigstens noch denen vorbehalten war, die gestorben sind um den Glauben zu verbreiten und nicht einfach nur Andersgläubige oder einfach andere zu töten.
Das, was am Sterben besprechenswert wäre, seine politische Herstellbarkeit, wird nicht thematisiert. Der Philosoph schweigt sich langatmig dazu aus. Die Blindheit des Theoretischen zieht die Stummheit des Politischen nach sich. Es öffnet sich ein Raum für mythische Ressentiments und zotige Semantik.
Literatur
Adorno, Theodor W.: Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, Frankfurt 2003a.
Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit, Frankfurt 2003b.
Bedorf, Thomas/Röttgers, Kurt [Hg.]: Das Politische und die Politik, Frankfurt 2010.
Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Kommentar von Detlev Schöttker, Frankfurt 2007.
Claussen, Detlev: Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus, Frankfurt 2005.
Descartes, René: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Hamburg 1993.
Friedländer, Saul: Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus, Frankfurt 2007.
Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt 1988.
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Heidegger, Martin: Was ist Metaphysik?, Frankfurt 1960.
Heidegger, Martin: Die Grundprobleme der Phänomenologie, Frankfurt 1975.
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Herf, Jeffrey: Reactionary Modernism. Technology, culture, and politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge 1984.
Hofer, Walther [Hg.] Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945, Frankfurt 2002.
Husserl, Edmund: Cartesianische Meditationen, Hamburg 1995.
Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Den Haag 1950.
Rosa-Luxemburg-Stiftung [Hg.]: MEW. 42 Bände, Berlin 1956-2006.
Safranski; Rüdiger: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit, Frankfurt 2009.
Schelling, F.W.J.: Ausgewählte Schriften. 6 Bände, Frankfurt 1985.
Sloterdijk, Peter [Hg.]: Philosophie jetzt! Fichte, München 1998.
Sofsky, Wolfgang: Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager, Frankfurt 1997.
Ulfig, Alexander: Lexikon der philosophischen Begriffe, Köln 2003.