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Durch das Minenfeld

von am 13.08.2009 19:20, Rubrik Rezensionen-Kritik

Friesl, Christian/Polak, Regina/Hamachers-Zuba, Ursula [Hg.]: Die Österreicherinnen. Wertewandel 1990-2008, Wien 2009.

Das Buch von Friesl, Polak und Hamachers-Zuba nimmt sich der differenzierten Darstellung österreichischer Befindlichkeit, anhand einer vergleichenden Wertestudie die sich über einen Zeitraum von beinahe 20 Jahren erstreckt, an. Eröffnet wird damit ein Minenfeld der Divergenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit österreichischer Gesellschaft.


In der Krise ist der Aberglaube, der die Komplexität kapitalistischer Wirtschaftssysteme verschweigt, und den populistische Politik zu verstärken im Stande ist, ein weit verbreitendes Phänomen. Ökonomische Entwicklungen werden als Resultat subjektiver Willensentscheidungen dargestellt. Die Exzesse der Zirkulationssphäre als kulturelle Verfehlungen identifiziert, die einer individuellen Ethik entstammen sollen. Der anthropologische Impuls verleibt sich identifizierend die Subjekte ein und kategorisiert Menschen nach rassistischen Schemata.
Eine brauchbare Phänomenologie der Krise erfasst das Spektrum solcher Ereignisse und versucht sie als Teile einer Gesamtentwicklung zu analysieren. Bei der Analyse der Gesellschaft sollte mit Theodor Adorno gesprochen das, „was gesellschaftlich ‚der Fall ist’“ an dem gemessen werden „was es selbst zu sein beansprucht“ (Adorno 2003: 31).

Das Buch von Friesl, Polak und Hamachers-Zuba nimmt sich der differenzierten Darstellung österreichischer Befindlichkeit, anhand einer vergleichenden Wertestudie die sich über einen Zeitraum von beinahe 20 Jahren erstreckt, an. Eröffnet wird damit ein Minenfeld der Divergenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit österreichischer Gesellschaft.
Die demokratische, rechtsstaatliche und institutionelle Verankerung basaler Werte kann, wie schnell sichtbar wird, ihrer Vermittlungsaufgabe nur eingeschränkt nachkommen. Die Verbindlichkeit der Werte einer Gesellschaft lassen auf den Integrationsgrad ihrer Mitglieder schließen. Zwischen Tradition und Zeitgeist ergibt sich hier ein Code gesellschaftlicher Dos und Dont’s die die individuelle Verfasstheit der Menschen in Österreich entscheidend beeinflussen können. Anhand der Felder Beziehung, Arbeit, Religion und Politik wird ein „empirisches Lesebuch über die Einstellungen der Österreicherinnen und Österreicher“ vorgelegt, in dessen Zentrum der Wertewandel der letzten beiden Jahrzehnte steht.
Das „man keine heißen Eisen anfasse“ (Adorno 2003: 88) kann man dieser Studie dabei nicht vorwerfen. Grundaussagen sind die Erkenntnis, dass sich die Österreicher zunehmend der Politik verweigern. Das Vertrauen in politische Institutionen „sinkt in teils beängstigendem Ausmaß“ (208). Demokratiepolitisch ist das natürlich ein Warnsignal, das von den Verantwortlichen mehr beherzigt werden müsste. Das sich mit der Wirtschaftskrise die Unzufriedenheit und das Misstrauen den politischen Strukturen gegenüber eher noch erhöht hat, hängt auch mit der (eingangs erwähnten) Demagogie populistischer Politiker zusammen. Mit der auch die Ablehnung Fremder und vor allem in der Finanzkrise die Ablehnung als „international“ empfundener Menschen und Einrichtungen einhergeht. Die Stärkung der „Mikrosolidarität“, die Hinwendung zur unmittelbaren Familie, ist die positive Seite eines „neidgeprägten Individualismus“ (208) und der Ausländerfeindlichkeit. Sozial und politisch etwas verändern können wenige und wollen die wenigstens. Nur die Hälfte ist allerdings mit der „Art und Weise zufrieden, ‚wie die Demokratie in Österreich funktioniert’“ (218). Wobei die unzufriedenen markant an der rechten Seite des politischen Spektrums sichtbar werden.
Das sich ein Fünftel der Bevölkerung (21%) vorstellen kann „eine/-n starke/-n Führer/-in (zu) haben, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss“ (223), das die Hälfte (51%) der Befragten es als gut empfände wenn Expert(inne)n statt Regierungen über das Schicksal des Landes entscheiden und immerhin 6% es für erstrebenswert halten, das „das Militär … das Land regieren“ (223) solle, stellt dem politischen Bewusstsein der Befragten eine Armutszeugnis aus, das, trotz der unaufgeregten Darstellung der Studie Raum für Besorgnis bietet.

Das die „Liebe zu Österreich“ […] zunehmend weniger mit dem Stolz auf die Errungenschaften einer modernen, demokratischen Bürger/-innengesellschaft“ (275) zu tun hat legen die Autor/-innen als „zivilisatorisches Defizit“ (275) aus und zeigen so die Grenzen des demokratischen Projekts im Herzen Europas auf.
Die Studie ist, zumal für ÖsterreicherInnen, spannend zu lesen und informativ. Sowohl Politikwissenschafter, als politisch interessierte, aber auch Soziologen und Philosophen werden ihre Freude damit haben. Hier finden sie den Grundstock für bissige Kommentare.

Literatur:
Adorno, Theodor W.: Einleitung in die Soziologie, Frankfurt 2003.


Kommentare

… hauptsache man muss es nicht selber machen. Es reicht schon wenn der, der lenkt nicht fahren kann. Und wirklich schuld ist man dann im Grunde genommen ja auch nicht. Eine einwandfreie Gleichung.

Dass “Faschismen” immer dann auftauchen, wenn was schief geht liegt wohl in der Natur der/ihrer Sache :)

Ana · 13.08.2009 20:33 · #

“Die Herren haben sich von Kindheit auf arg vernachlässigt und schwer büße ich ihre Bildungslücken.”

KKraus · 13.08.2009 23:16 · #

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