Die Propaganda funktioniert und lästige Fragen werden einem medialen Dahinplätschern überantwortet. Auf Gewalt wird nur dann kritisch reagiert, wenn sie drastisch genug dargestellt wird. Wer interessiert sich schon für die Nebenschauplätze weltweiter Konflikte, wo das Schicksal der Welt offenbar nur im Heiligen Land entschieden werden kann.
Die Propagandafalle hat ihre Wirkung getan, Haniyya sei dank!
Es geht mir nicht darum, das Geschehene zu bewerten, da dies mangels der Kenntnisse über die genauen Vorkommnisse nicht möglich ist. Die Frage die sich mir beim Zeitung lesen im Moment stellt ist: Wer ist noch in die Falle getappt? Dabei stoßen wir auf einige Intellektuelle die in Interviews ihre Meinungen kund tun und dabei wenig Intellektuelles von sich geben. Die im Gegenteil zeigen, dass sie in dieselbe Falle getappt sind. Es geht mir dabei nicht darum politische Prognosen zu erstellen. Deklarierte „Nahost-Experten“ sind dazu kaum in der Lage ohne emotional zu werden oder die schlimmste politische Agitation mit wissenschaftlicher Expertise zu verwechseln. Darauf lasse ich mich nicht ein. Aber ich will anhand zweier Zeitungsinterviews das Unterschwellige der Sprache dieser politisch engagierten Intellektuellen sichtbar machen, den Jargon beim Arbeiten beobachten.
Das erste Gespräch entstammt der Zeit (24/2010; online “hier”: http://www.zeit.de/2010/24/Barenboim-Interview) und wurde mit dem „Künstler von Weltruhm für Versöhnung im Nahostkonflikt“, Daniel Barenboim, geführt. Er sagt dort einige Dinge, die wahrscheinlich zutreffend sind und fühlt sich dann sichtlich so wohl, dass er doch noch Aussagen trifft, die beim Jargon-kundigen Leser für Kopfschütteln sorgen können. Auf die Frage, warum die Vermittlung der jeweiligen Lebenswelten von Israelis und Palästinensern „außerhalb des Orchesters“ nicht gelänge, antwortet Barenboim folgendermaßen: „Die israelische Gesellschaft ignoriert die palästinensische Gesellschaft. Man kann sich die andere Seite überhaupt nicht vorstellen. […] Es gibt in Israel keine Neugierde. Die Leute sind einfach total selbstbezogen.“
Es gibt also eine anthropologische Konstante, welche, diejenigen Menschen, die aus aller Herren Länder und verschiedenen Motiven nach Israel eingewandert sind, zwingt, selbstbezogen zu sein, und sie daran hindert die Palästinenser zu verstehen. Ergo müssen sie dieses Unverständnis mit Mitteln der Gewalt ausgleichen und die Unverstandenen werden zu Unterdrückten. Ohne auf die primitive Struktur dieses Vorurteils genauer einzugehen zeigt es doch ein Schema, das den Jargon der Israelkritik stark ausmacht. Die Verabsolutierung: Es geht um Gottes auserwähltes Volk das ins gelobte Land zurückgekehrt ist um nicht noch einmal Opfer des Holocaust zu werden. Das suggeriert nicht nur einen existentiellen Konflikt, es ist wirklich ein Kampf der Juden ums nackte Überleben. Aber die Frage ist, was der Jargon daraus macht. Das Problem kann doch nicht ernsthaft das jüdischer Ignoranz sein. Das Problem ist politischer, religiöser und ökonomischer Art und kann weder durch einen metaphysischen Diskurs noch durch ontologisierende Zuschreibungen gelöst werden. Die Verabsolutierung des Problems zu einer, das Schicksal der Welt entscheidenden, Frage und die damit verbundenen Zuschreibungen wirken eher auf die Ausbildung von stereotypen Begriffen als auf eine Lösung hin. Die Beispiele, die Barenboim zur Untermalung seiner These angibt, sind personalisierte Propaganda, von Sachverhalten sieht er ab. Eher noch spielt er mit dem, was man als jüdisch zu betrachten habe, genauso wie mit dem, was palästinensisch sein sollte. Wo die Juden in seiner Welt Spinoza, Maimonides und Martin Buber hervorbringen, gelehrt über Karl Marx disputieren können, scheinen die Palästinenser (so sie nicht in seinem Orchester mitwirken) als kulturarmes Volk, das durch die beständige Erniedrigung der Israelis auf die Religion (oder sein Orchester) als letztes Reservoir von nicht durch israelische Blockaden betroffenes Kulturgut zurückgeworfen sind. Intellektuelle ignorante Israelis und naive leidende Palästinenser. Wäre es so einfach, hätte man wahrscheinlich weniger Probleme. Die Anhänger der Hamas würden in Sonderschulen auf die Tätigkeit in Barenboims Orchester vorbereitet und würden dem Krieg gegen Israel abschwören, die Israelis würden ihre Siedler mit Maimonides-Lesungen ablenken (ignorant!) und ihre Siedlungen aus Ostjerusalem ins Inland verlegen.
Nicht zufällig beruft sich Barenboim auf Edward Said indem er diesen Unsinn postuliert. Der Verfasser des Werks „Orientalismus“ fiel während seiner Tätigkeit als „einer der intelligentesten Menschen der Welt“ (Barenboim) durch ähnliche intellektuelle Griffe in nahöstliche Klosetts auf. So pauschalisierte er die Presseagenturen von New York bis Jakarta als proisraelische Weltöffentlichkeit, die, und, (jetzt wissen wir wen Barenboim zitiert) das Thema der „jüdischen Selbstfindung“ (Said, Edward: Zionismus und Palästinensische Selbstbestimmung, Stuttgart 1981) als hervorragend geeignet für Berichterstattung ansah. Wen wundert es da, wenn er in der israelischen Besatzungspolitik (die man ja als solche kritisieren könnte) nicht eine Besatzungspolitik ausmacht sondern zionistische „Konzeption der Detailarbeit“, die wohl nur so selbstbezogenen Menschen wie den Juden einfallen konnte. Was damit kritisiert wird, ist nicht eine Politik oder ökonomische Ungerechtigkeit, sondern schlicht und einfach das jüdische Volk, das aufgrund seiner besonderen Eigenschaften eben so ist wie es ist. Nur Böswillige unterstellen einem Intellektuellen von Weltrang Antisemitismus. Ich würde das auch nicht tun. Ich unterstelle ihm und seinem größten Fan Barenboim eine gewisse Naivität im Umgang mit dem Jargon.
Naiv ist eventuell auch der zweite Arbeiter am Jargon, der „prominenteste Teilnehmer einer Aktion der ‚Free Gaza’-Bewegung“ (Spiegel 23/2010). Ja, es ist der schwedische Krimiautor Henning Mankell. Mit durchaus hehren Absichten vergleicht dieser die israelische Demokratie mit dem südafrikanischen Apartheidregime und beweist politisches Fachwissen. Die Unterstützung der von der türkischen Hilfsorganisation IHH, auf Aufforderung der palästinensischen National Rifle Association Hamas, organisierte Hilfsflotte zu unterstützen war von Mankell sicherlich als idealistischer Akt gedacht. Es sollte auf unbestreitbares Unrecht aufmerksam gemacht werden und es sollte humanitäre Hilfe geleistet werden. Ein engagierter Künstler kann sich so etwas nicht entgehen lassen, verspricht es doch Abenteuer und dient einem guten Zweck. Was dann passiert ist, war zu erwarten, wenn es auch durch die Todesopfer die Schmerzgrenze des Erträglichen tatsächlich überschritten hat. Aber was macht Mankell daraus?
Er ist besorgt über die Entwicklung im Nahen Osten und meint, die Blockade müsse ein Ende haben, weil es sonst „eine Explosion“ geben werde. Die Blockade sollte also nicht deshalb ein Ende haben, weil sie humanitären Grundsätzen widerspricht (wieder wird gestritten: befindet sich Israel im Krieg oder nicht?), sondern weil sonst irgendetwas explodieren wird. Was wird explodieren? Diese Aussage hört man in diesem Zusammenhang öfter und sie scheint von Marx entlehnt. Geht es um den „Seufzer der bedrängten Kreatur“, um die „Protestation gegen das wirkliche Elend“? Oder werden die Hisbollah aus dem Norden und die Hamas aus dem Süden ihre Raketen als Sprengmittel verwenden, um Israel zum Explodieren zu bringen? Auf diese Frage geht Mankell nicht ein. Etwas wird jedenfalls explodieren.
Was kann noch explodieren? Die Atombombe, die der Iran baut oder auch nicht. Man weiß es nicht, aber man kann gewiss sein, irgendetwas wird explodieren, und die islamische Republik Iran baut an irgendetwas. Tom Waits Frage: „What is he building?“ bleibt vorerst unbeantwortet. Mankell antwortet auf ein paar Fragen und er hätte es besser bleiben lassen. Denn nach dem unübertroffenen Vergleich zwischen Südafrika und Israel fällt ihm zur Hamas nichts ein. Die politischen Entwicklungen im Gaza-Streifen passen ihm zwar „gar nicht“, andererseits weiß er auch „zu wenig darüber“ um ein Urteil zu fällen. Diese Kunst des „Intellektuellen“, zu wenig zu wissen und sich dann doch ein Urteil zu bilden, weist auf seine Fähigkeit hin, aus diesem Unwissen auch noch Sicherheiten abzuleiten – nämlich sicher zu sein, nicht instrumentalisiert worden zu sein. Mankell treibt das auf die kriminalliterarische Spitze, indem er sich kein Indiz für ein Urteil durch die Sachlage verderben ließe. Wo ihn das Engagement für den Gaza-Streifen eine gefährliche Schiffsreise über das Mittelmeer machen lässt, verweigert er den Intellektuellen in Iran die Solidarität, indem er die Einladung zu einem Literaturfestival nach Teheran ablehnt, ohne das medienwirksam kund zu tun. Er begründet dies auf Nachfrage damit, Angst vor Instrumentalisierung gehabt zu haben. „Ich würde nicht tun können was ich tun möchte. Man würde mich für Propagandazwecke missbrauchen.“ Bei der islamischen Hilfsorganisation IHH und der radikalislamischen Hamas ist Propaganda selbstverständlich ausgeschlossen. Kommissar Wallander wäre mit so einem intuitiven Apparat ausgestattet nicht einmal Schülerlotse geworden. Der etwas hilflose Hinweis: „Übrigens habe ich viele jüdische Freunde …“ rundet die Sache auf eine ungute Weise ab. Der Jargon offenbart sich als Sprache der Halbbildung und des Vorurteils. Viele beherrschen ihn und reproduzieren ihn ohne recht zu verstehen oder auszusprechen was sie meinen. Der Jargon nimmt ihnen das Denken ab. Die Sprache spricht mit ihren Subjekten, nicht die Subjekte mit ihrer Sprache. Die Gemüter erhitzen sich.