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Michael Lüders: "Nahostexperte"

von am 09.05.2011 14:11, Rubrik philosophisches-politisches

(Vorsicht: Der Verfasser ist nicht frei von Ironie und im Drang zur Kennzeichnung von Problemen mit einer tiefen Liebe zur Übertreibung ausgesttatet.)

Ingrid Turnher: Haben Staaten die Lizenz zu töten?
Michael Lüders: Wo ziehen wir die Grenze? Wie definieren wir einen Staatsfeind so, dass wir uns das Recht herausnehmen ihn an einem anderen Ort der Welt zu töten. Wenn wir den Gedanken zu Ende denken wäre dann auch folgende Situation vorstellbar: die Regierung in China beschließt, dass ein bestimmter Dissident XY der in Berlin oder in Wien im Exil lebt […] wird als Staatsfeind definiert als ein Mann der die Sicherheit Chinas bedroht. Würden wir sagen, wenn die Chinesen eine solche Operation im Herzen von Wien oder Berlin durchführen, dass ist völlig legitim? […] Ich bin der Meinung dass Osama Bin Laden, ungeachtet der Verbrechen die er begangen hat, ein Mann war der im Grunde genommen ein Vertreter der Vergangenheit war. Er hat nicht mehr die gesellschaftliche Agenda bestimmt, weder er noch Al Kaida. Sondern es ist die arabische Revolte die jetzt die Herzen der Menschen erreicht. Wir erleben eine gewaltige Neuerung in den gesellschaftlichen und politischen Strukturen im Denken der Menschen von Marokko bis in den Irak und weit darüber hinaus. […] Osama Bin Laden interessiert diese Leute nicht.


Lüders hat wahrscheinlich Recht, dass die Rolle des Terrornetzwerks Al Kaida nicht mehr so groß ist wie zum Höhepunkt der Terroranschläge in Afrika, Europa und Amerika. Ob gewaltige Neuerungen bevorstehen bleibt abzuwarten. Bisher sehen wir auch in Ägypten zunächst nur den Austausch von Machtcliquen, die bisher vor allem für den Schutz ihrer Minderheiten nicht wirklich etwas unternehmen.

So wird also in der Meinung dieses Experten dem Mann der die Leute nicht mehr interessiert, doch zu wenig nachgetrauert. Die Trauerarbeit wird von Lüders geleistet indem er nach guter postnazistischer Expertenmanier alles in eins setzt und über die rhetorische Formel des Mannes der Vergangenheit (linguistic turn) ihn gleich von jeglicher (selbst der rechtsstaatlichen) Verfolgung exkulpiert. Der Gedanke dass ein Terroristenführer der selbst dem ganzen Westen den Krieg erklärt hat in eben diesem ermordet wurde ist ihm so unerträglich, dass er mit ihm auch gleich die ganze Welt zum Teufel schicken will.
Wie sonst lässt es sich erklären, dass sein Beispiel mit dem er meint klug die selbstgerechte Moral des Westens, in diesem Fall Amerikas, enttarnen zu können so dermaßen gegen jede demokratiepolitische Vernunft verstößt.
Zunächst ist der Gedanke ein chinesischer Dissident sei mit einem Verbrecher von Bin Ladens Kragenweite überhaupt vergleichbar infam. Darüber hinaus zeigt er damit wessen Geistes Kind seine Revanchephantasien sind. Hier wird die Kritik eines repressiven Systems mit der Ermordung Unschuldiger gleichgesetzt und die Einmahnung der Grenzen der Rechtsstaatlichkeit in Form der Reziprozität vorgenommen die wissentlich den Unterschied zwischen einem demokratischen und einem autoritären politischen System zum verschwinden bringen will. Ergebnis dieser Relativierung der politischen Bilder (iconic turn) ist das zur Disposition gestellte demokratische politische System, das sich ja scheinbar nicht mehr genau von einem repressiven unterscheiden lässt. Es muss sich aber auch nicht unterscheiden, denn wenn chinesische Dissidenten nur dann Anspruch auf Schutz ihres Lebens haben, wenn die USA Massenmördern mit rein rechtstaatlichen Mitteln gegenübertreten dann gilt das Individuum ohnehin nicht mehr viel.

Vielleicht wird hier sichtbar was Gerhard Scheit über den neuen Behemoth schreibt:
„Der deutsche Bürger, der als legitimer Erbe der nationalsozialistischen Vernichtung auftritt und sich zum bekennenden Europäer verallgemeinert hat, verharrt unwillkürlich in einem Verhältnis zum Staat, das sich selbst widerruft; er möchte die Rechtsform, die ihn auf den Souverän einschwört, immer wieder abstreifen, um mit ihm unterschiedslos zusammenzufallen: er möchte Volksgemeinschaft.“ (Jargon der Demokratie: 29)


Kommentare

Es ist tatsächlich terminologisch sehr unsauber, Bin Laden mit (verfolgten) Dissidenten der chin. Regierung zu vergleichen, zweifellos! Und als wär das nicht schon genug, lässt sich an Lüders Aussage parallel zu diesem Befund noch einiges mehr aussetzen. Nämlich, dass Bin Laden oder die Al Kaida die “gesellschaftliche Agenda” im Nahen Osten (nehm ich an, so klar wird das leider von dem Herrn nicht formuliert) nicht mehr bestimmt. Das kann man denk ich so nicht sagen. Denn, wenn Al Kaida Mitglieder immer noch etwas bestimmen, dann gerade die völlige Unplanbarkeit der Gesellschaft in bestimmten Regionen der arabischen Welt (allen voran Afghanistan), völlige Destabilisierung und die Unmöglichkeit einer funktionierenden Infrastruktur. Es kann ja immer mal wieder etwas in die Luft gehen, deshalb nehm ich heute lieber nicht den Bus nach Kabul…
Ich würde auch nicht unbedingt Ägypten oder Tunesien als Al Kaida-affine Regionen bezeichnen in denen die Organisation eine ernsthafte Alternative zum Totalitarismus der (zu einem Teil) gestürzten Diktaturen oder der von einigen eingeklagten Demokratie bzw. der von anderen wiederum geforderten religiösen Staatsführung darstellt. Al Kaida ist und bleibt eine substaatlich kriminelle Organisation, die als solche auch von der Mehrheit der Gesellschaft in der arabischen Welt begriffen und abgelehnt wird. Und, dass es zudem problematisch ist, gegen solche Organisationen, also zuvorderst Kriminelle (!), Krieg zu führen, ist aus völkerrechtlicher Perspektive mehr als nur bedenklich. Eine staatliche Lizenz zum Töten ist bitte nolens volens genau das, was eine reguläre Arme wie die der US Army, der Al Kaida methodisch näher bringt, nämlich eine asymmetrische Form der Gewalt und diese sollte nicht nur an einer Person wie Bin Laden diskutiert werden, sondern an der gesamten Gesellschaft, die durch den “war against terror” in Mitleidenschaft gezogen wurde (und das in doppelter Hinsicht).

Ana · 09.05.2011 16:07 · #

worin besteht das charakteristische, das uns diesen kommentar als postnazistisch bestimmen lässt?

unter postnazistisch wird ja wohl nicht gemeint sein, dass die analyse nach 1945 angestellt wurde, sondern wohl eher, dass sie in einem bestimmten verhältnis zur nationalsozialistischen vergangenheit steht.

die frage lautet also, welches verhältnis soll das sein?

Julian Zöschg · 09.05.2011 19:21 · #

Wer die Warnung am Anfang ignoriert ist selbst Schuld. Im Übrigen lässt sich die Antwort für den aufmerksamen Leser leicht im Text finden.

St.Max · 09.05.2011 20:09 · #

Also ich tippe mal der Verfasser hat sich eine Allusion auf die Trauerarbeit der Burschenschafter vom gestrigen achten Mai erlaubt. Dieser Logik oder man ist versucht zu sagen Neurose zufolge, werden zwei einander völlig divergente Sachverhalte, so wie Dissident und Terrorist, aka Opfer und Täter miteinander bös und sträflich vermengt :)

Schon fies, aber ob diesen Fauxpas hat sichs Lüders schon auch irgendwie verdient.

Ana · 09.05.2011 21:42 · #

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